Mit einer Bilanzsumme von rund 168 Milliarden Franken ist Raiffeisen knapp vor der ZKB die drittgrösste Bank der Schweiz. Nun ist die Raiffeisen eine Genossenschaft, in der 316 Einzelbanken zusammengefasst sind, alle unter dem Mutterhaus Raiffeisen Schweiz mit Sitz in St. Gallen. Diese Gruppe haftet unbeschränkt für alle einzelnen Raiffeisen-Banken, während wiederum deren Genossenschafter pro Nase mit bis zu 8’000 Franken haften. Sollte eine Kleinbank ein gröberes Problem bekommen, müssten dafür alle 316 Banken mit ihrem gesamten Eigenkapital geradestehen. Eigenkapital und Nachschusspflicht belaufen sich auf rund 25 Milliarden Franken.
Daraus ergäbe sich eine relativ gesunde Eigenkapitaldeckung von rund 17 Prozent. Im Vergleich zu den beiden Dinosaurierbanken UBS und CS, die eine nackte Eigenkapitaldeckung von weniger als 2 Prozent haben, eigentlich paradiesische Zustände.
Der schwarze Schwan
Auf der anderen Seite fährt Raiffeisen in Bezug auf Hypothekarkredite einen ziemlich heissen Reifen; sie ist in diesem Segment in den letzten Jahren überdurchschnittlich gewachsen. Nun könnte man annehmen, dass die Vergabe von Krediten zwecks Finanzierung von Immobilien eines der sichersten Bankgeschäfte ist, die es so gibt.
Dass dem nicht so ist, weiss man spätestens seit der US-Hypothekarpapierkrise, in der es durch eine Blase und die Verwurstung solcher Papiere fast zu einer Kernschmelze des Weltfinanzsystems kam. Davon sind die Schweiz und Raiffeisen weit entfernt.
Aber es gibt wie immer das Problem des schwarzen Schwans. Das besteht darin, dass alle zukünftigen Entwicklungen anhand einer sogenannten Normalverteilungskurve, auch bekannt als Gauss’sche Glocke, berechnet werden. Hohe Wahrscheinlichkeiten, also eine Fortsetzung der Vergangenheit und Gegenwart, liegen in der Mitte. Und an den Rändern, wo alle Immobilienpreise gleichzeitig senkrecht nach oben oder nach unten gehen, wird abgeschnitten, weil angeblich zu unwahrscheinlich. Aber genau dies ist Realität in jeder Blasenbildung.
Systemrelevanz
Als einziger kleiner Lerneffekt aus der Finanzkrise 1 werden nun, Jahre danach, in der Schweiz den Banken strengere Vorschriften gemacht, wenn ihr Zusammenbruch eine ernsthafte Gefahr für das gesamte Finanzsystem darstellen könnte. Diese beinhalten etwas härtere Eigenkapitalvorschriften und Pläne, wie es zu einer geordneten Abspaltung und Abwicklung von Bankeinheiten kommen könnte, wenn dort Land unter ist.
Das ist nun bei der Genossenschaftsstruktur von Raiffeisen eine echte Knacknuss. Schön, dass sich die drittgrösste Bank der Schweiz dazu laut eigenen Angaben noch keine Gedanken gemacht hat. Ebenso wenig wie die viertgrösste Bank der Schweiz, die ZKB, die unlängst als systemrelevant erklärt wurde.
Als drittgrösste Bank der Schweiz ist Raiffeisen sicherlich systemrelevant, dazu bei der Vergabe von Hypothekarkrediten auf der Überholspur. Ist das wohl im Sinne der Raiffeisengründer?
Systemrelevanz stellt einerseits einige neue Aufgaben an die Bankenlenker, ist andererseits natürlich auch ein Wettbewerbsnachteil oder -vorteil. Was man da rausholen kann, belegt mal wieder der allseits bekannte Bankenprofessor Kunz.
Die professorale Meinung
Kunz meldete sich flugs in der Sonntagspresse zu Wort und sieht bei einer möglichen Systemrelevanz von Raiffeisen «ein riesiges Problem»; der Bankenprofessor fährt fort: «Muss die Raiffeisen einen Notfallplan ausarbeiten, ist ihr ganzes System als solidarische Genossenschaftsbank infrage gestellt.»
Nun muss man wissen, dass Bankenbüttel Kunz nebenher Gutachten, beispielsweise für die Grossbank Credit Suisse, erstellt. Gegen Honorar, versteht sich. Genauso, wie er sich für die Economiesuisse bei der Abzockerinitiative in die Bresche warf und für 80'000 Franken «als unabhängiger Wissenschaftler» zum Ergebnis kam, es handle sich bei der Minder-Initiative um einen «Irrweg», eine «Skurrilität». Ihre Annahme werde, so die professorale Prognose, «die Schweiz in die gesellschaftsrechtliche Isolation treiben». Davon ist bislang aber noch nichts zu erkennen.
Wie bei jedem Parteiengutachten, das Professor Kunz absondert, muss man sich auch bei jeder sonstigen öffentlichen Äusserung von ihm fragen: Cui bono? Wem nützt es. Während er eine mögliche Abspaltung von Geschäftsteilen bei der UBS oder der CS für «problemlos» erklärt, weil es sich um AGs handle, sei das bei Raiffeisen sehr, sehr schwierig, könne sogar die Geschäftsgrundlage der Genossenschaftsbank in Frage stellen.
Mediales Problem
Da Kunz immer bereit ist, in jedes ihm hingehaltene Mikrophon zu sprechen, wird er von den Medien gerne als der sogenannte «Fachexperte» zitiert, der einem ansonsten oberflächlichen Artikel professoralen Glanz verleiht. Wie unabhängig er dabei ist, welche Motive er für seine Meinung haben könnte, wird dem Leser vorenthalten. Genauso merkwürdig ist, dass sich die Universität Bern, an der Kunz lehrt, keine Gedanken über ihr Renommee macht. Denn obwohl das Abfassen von honorierten Parteigutachten in der Schweiz ein völlig legaler Nebenerwerb für Professoren ist, müsste eine Hochschule eigentlich auch an ihr Ansehen denken.