Die Herausgeber des im Schwabe Verlag erschienenen Bandes versuchen dazu eine Antwort. Eine internationale Jury habe aus 681 Einsendungen die besten Arbeiten herausgefiltert. Insgesamt gibt es vier verschiedene Disziplinen: "Werbefotografie mit Fashion/Beauty/Lifestyle", "Redaktionelle Fotografie", "Architektur-Fotografie" und "Fine Art and Free". Für jeden dieser Bereiche wurden jeweils mehrere Spezialisten als Juroren bestellt.
Im ewz-Unterwerk Selnau – die ganze Veranstaltung der vfg, der „Vereinigung fotografischer GestalterInnen", wird vom Energieversorger Zürichs gesponsert – wurden innerhalb von zwei Tagen die „besten“ Fotos ausgelesen. Die hohe Zahl der Einsendungen und die Qualität der Jury sollen also dafür bürgen, dass es sich bei der Auswahl tatsächlich um die Spitzenleistungen der Schweizer Fotografie handelt. Stellt sich beim Betrachten eine dem entsprechende Begeisterung ein?
Suche nach dem Besonderen
Das ist nicht der Fall. In Einzelfällen, etwa bei den Architekturbildern von David Willen, Solid Faith, gibt es so etwas wie einen Aha-Effekt, weil eine Betonkirche wirklich beeindruckend ins Bild gesetzt wird. Und die Reportage von Meinrad Schade aus Kasachstan, Verbrannte Erde, erschüttert, weil er empathisch die Verheerungen der Atomtests darstellt. Aber würde man auch die Fotos als solche für qualitativ überragend ansehen?
Bestechend in ihrer handwerklichen Präzision sind die Fotos von Uhren, die Thomas de Monaco vorgelegt hat. Und Bruno Kuster hat die Aufgabe, die Utensilien von Malern und Gipsern ins Bild zu rücken, mit Witz und Können gelöst. Andere Arbeiten werfen eher die Frage "Was soll das?" auf. Dazu zählt die monumentale und kaum deutbare Aufnahme, die Andrea Good mit einer Camera obscura von der Kirche St. Arbogast in Oberwinterthur angefertigt hat.
Manche Fotografen bemühen sich krampfhaft, irgendetwas zu finden, was ihre Arbeit zu etwas Besonderem macht. So hat Roger Frei in seiner Serie „nox lunae“ bei sternklaren Vollmondnächten mit durchschnittlich 2-stündigen Belichtungszeiten einen besonderen Bildeffekt erzeugt. Damit möchte er sich von der schnellen zeitgenössischen Fotografie absetzen. Aber wozu? Ein anderer, Nico Amman, hat einfach Screenshots mit seinem iPhone von Google Street View gemacht. - Vor kurzem konnte man ähnliche Aufnahmen von Kurt Caviezel in der Fotostiftung Winterthur bewundern.
Zweifelhafte Massstäbe
Sollte man nicht auf Wertungen wie „die besten Fotos“ ganz verzichten, wie das bis zum Jahr 2007, als noch von „Auswahl“ die Rede war, geschehen ist? Dieser Vorschlag mag wie eine Haarspalterei wirken. Aber es bedeutet einen grossen Unterschied, ob eine Jury Bilder als repräsentativ für die zeitgenössische kommerzielle und künstlerische Fotografie auswählt oder ob sie damit eine qualitative Wertung verbindet, deren Massstäbe durchaus zweifelhaft sind. Das Unbehagen ist in den Begleittexten zu spüren. Man habe über Themen wie „Ästhetik versus Konzept, Umsetzung versus Idee“ diskutiert, so Oliver Füglister in seinem „Jurybericht“. - Der Leser wüsste gern, warum die Ästhetik zum Konzept und die Umsetzung zur Idee in der Formulierung Füglisters Gegensätze bilden.
Und so entsteht wieder einmal der Eindruck, dass im Meer der Ununterscheidbarkeit von einigen „Experten“ Kriterien ins Spiel gebracht werden, die wahrscheinlich nur Insidern einleuchten, weil diese die Bezüge und Zitierweisen kennen, die in der Szene dafür sorgen, dass der eine vorankommt und der andere nicht. Kaschiert wird dieses Vorgehen, indem freigebig Bezüge zu den ganz Grossen der Fotografie hergestellt werden. So vergisst Gisèle Tavernier in ihrem „Commentaire“ nicht, die modernen Copy-und-Paste-Techniken in einen Zusammenhang mit „Necéphore Nièpce, les frères Lumière, Man Ray und Alexander Rodtschenko“ zu stellen.
Trotz dieser Einwände kann man nur hoffen, dass der Schwabe Verlag auch in den nächsten Jahren die „Swiss Photo Selection“ in seinem Programm behält. Denn als Dokumentation der zeitgenössischen Schweizer Fotografie ist sie allemal interessant und sehenswert.