Unser Nationalfeiertag ist da, um gemeinsam zu feiern, Verbindendes zu betonen, allen hier Lebenden unsere Geschichte und Grundwerte in Erinnerung zu rufen: Bürgerinnen und Bürgern, ebenso wie ständig oder vorübergehend in der Schweiz lebenden Ausländerinnen und Ausländern.
Wie wir alle wissen, waren und sind Ausländer in der Schweiz in der Vergangenheit, in der Gegenwart und in der Zukunft ein ebenso fester wie unverzichtbarer Teil unseres Landes. Ohne ausländische Fachkräfte würden hierzulande weder Spitäler noch Schulen und Ausbildungsstätten funktionieren, müssten Hotels und Restaurants schliessen, würden Baustellen und Industriefliessbänder stillstehen, Kulturstätten veröden – kurz die Schweiz würde zur lebensunwerten Wüste.
Kein EU-Beitrittskandidat
Die grosse Mehrheit der in der Schweiz lebenden Ausländer, ebenso wie viele Touristen stammen aus europäischen Ländern, also der EU. Der Frontalangriff der SVP auf die EU aus Anlass unseres Nationalfeiertages richtet sich einmal gegen sie als Unionsbürger. Aber auch gegen die gut zwei Drittel aller abstimmenden Schweizer Bürgerinnen und Bürger, welche die SVP nicht wählen, weil sie ein Schweizbild hochhalten, das dieser nationalkonservativen Partei diametral entgegengesetzt ist - weil sie die Schweiz von gleichgesinnten Partnern umgeben sieht, nicht von Feinden umzingelt.
Die bewusste Niedertracht zeigt sich in dem von SVP-Nationalrat Lukas Reimann ausgehenden Auftrag an den Bundesrat, ein längst nicht mehr aktuelles Beitrittsgesuch der Schweiz zum Vorgänger der EU formell zurückzuziehen. Dass die Schweiz im Moment kein EU-Beitrittskandidat ist, weiss hierzulande jedermann und ganz sicher die wenigen, für das Schweizdossier zuständigen Beamten in Brüssel. Das formelle Rückzugschreiben von der offiziellen Schweiz, Ende Juli abgesandt, ist also bewusst ein Tritt an die Wade der ohnehin mit Problemen kämpfenden EU.
Mit Europa ins Reine kommen
Lächerlich ist das, weil die Beziehungen der EU zur Schweiz für alle EU-Länder wahrlich keine Priorität darstellen. Brexit, schwer kontrollierbare Migration und eine gerechte Verteilung von Asylanten, islamistischer Terror, ein zunehmend antidemokratisch werdendes Regime in der Türkei, Bankenkrise in Italien und ein allzu zaghaftes Wachstum sind ungleich schwieriger zu lösen als ein von der Schweiz selbst geschaffenes Problem. Wir sind ein Land im Zentrum Europas und haben wirtschaftlich, politisch, sozial und kulturell überhaupt keine andere Wahl als mit der EU, der Verkörperung dieses Europas ins Reine zu kommen.
Damit existiert das in Helvetien so hitzig diskutierte, und von schweizerischen Politikern bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit auf europäischer Bühne vorgebrachte ‘Problem’ der künftigen Beziehungen weder in ‘Brüssel’ noch in den Hauptstädten unserer Partnerländer.
"Nur noch wenige Verrückte wollen beitreten"
Indessen werden helvetische Gemeinheiten, adressiert an die EU-Länder, von wichtigen Meinungsmachern durchaus registriert. So fand etwa der saudumme Spruch des nationalkonservativen Ständerats Minder, ‘nur noch wenige Verrückte wollen der EU beitreten’, Aufnahme in einen zentralen Europakommentar der ‘Financial Times’, dem wichtigsten Wirtschaftsblatt Europas. Die 28 europäischen Länder - eingeschlossen im Moment noch Grossbritannien - gehören also alle einem Club von Geistesgestörten an. Solche Freundlichkeiten gehen nicht vergessen. Mit Minder sollten sich damit auch jene Politiker der bürgerlichen Mitte schämen, welche den Bundesrat zum Rückzugsgesuch gezwungen haben.
Halbwahrheiten, Verdrehungen und zumindest eine faustdicke Lüge sind im offenen Brief von SVP-Präsident Rösti an ‘Liebe Schweizerinnen und Schweizer’ zu finden, welcher als Inserat zum 1. August in wichtigen schweizerischen Medien platziert wurde. Dazu ist zunächst festzuhalten, dass die Unterschrift, ‘Ihr Albert Rösti’ eine plumpe Anbiederung darstellt. Dies für die grosse Mehrheit der Schweizer, welche weder SVP-Mitglied sind noch dies beabsichtigen. Man könnte sich weiter fragen, warum sich die grösste seriöse Tageszeitung der Schweiz zur Publikation, auf Seite 5 im ersten Bund, eines solch offensichtlich tatsachenverdrehenden Inserates hergibt.
Kaum eine Zeile davon stimmt; die faustdickste Lüge findet sich im - vom Inserenten so gewählten - fetten Untertitel ‘Bewährten bilateralen Weg erhalten’. Mit ihrer Masseneinwanderungsinitiative hat die SVP dafür gesorgt, dass der ‘bewährte bilaterale Weg’ für die Schweiz nicht weiter gangbar ist. Entweder verzichtet die Schweiz auf die durch den SVP-Initiativtext ultimativ geforderte Aufgabe der EU-Personenfreizügigkeit - was in Form einer gewissen Gummiklausel allenfalls geschehen wird - oder dann werden die Bilateralen gekündet. Punkt, fertig.
Es darf drittens getrost davon ausgegangen werden, dass dieses Inserat an bester Stelle eine ganze Stange Geld gekostet hat. So wie vor über zwanzig Jahren die damals massiv und wochenlang geschalteten ‘EWR-Nie´-Krokodil-Inserate und die unzähligen Wahl- und Abstimmungskampagnen der SVP seither, eingeschlossen flächendeckende Plakatwände und Wahlzeitungen an alle Haushaltungen in der Schweiz. Da sind viele Millionen geflossen. Bekannt ist, dass zumindest ein Teil davon aus drei Kassen in Herrliberg, Zürich und dem Tessin stammt. Von dort kommen auch die Mittel für die nationalkonservative Aufrollaktion von vormals unabhängigen Schweizermedien (Weltwoche, Basler Zeitung, Übernahmeversuche der NZZ etc.).