Wie vor den Kopf geschlagen war die französische, ja die Weltöffentlichkeit, als der IWF Chef Dominique Strauss-Kahn vor sechs Wochen vor einem New Yorker Gericht der versuchten Vegrewaltigung angeklagt, erst ins Gefängniss gesteckt und dann unter strengen Hausarrest gestellt wurde.
Man erinnert sich, wie empört die französische Öffentlichkeit in den ersten drei Tagen reagierte, nachdem sie hatte mit ansehen müssen, wie Dominique Strauss-Kahn wie ein x beliebiger Verbrecher in den Gängen des New Yorker Gerichts neben Kleinverbrechern, Drogendealern und Dieben auf seine Verhandlung warten musste, danach in Handschellen abgeführt wurde, nicht wie üblich auf Kaution frei kam, sondern den Charme eines der härtesten Gefängnisse der amerikanischen Metropole geniessen durfte.
Wer einmal lügt ....
Nach so viel Empörung wegen der Tatsache, dass ein Mächtiger dort behandelt wurde wie ein gewöhnlicher Gauner, meldeten sich in Frankreich dann langsam und sehr heftig andere Stimmen zu Wort, die daran erinnerten, man würde hier ständig Strauss-Kahns Schicksal beklagen, aber niemand rede von dem mutmasslichen Opfer - einem Opfer, das im Gegernsatz zu Strauss-Kahn gesichtslos war, verschwunden blieb und von dem niemand wirklich etwas wusste - wie man nun, sechs Wochen später, offensichtlich feststellen muss.
Nicht Strauss-Kahns millionenschwere Staranwälte, sondern die Untersuchungsbeamten des Staatsanwalts selbst haben nach diesen sechs Wochen das Image der hart arbeitenden alleinerziehenden Mutter, der armen dunkelhäutigen Immigrantin aus Guinea und gläubigen Muslimin, die seit drei Jahren sich als Zimmermädchen im Sofitel Hotel nichts hatte zu schulden kommen lassen, revidiert.
Gewiss: Es bleiben die Spermaspuren Dominqiue Strauss Kahn auf der Kleidung des Zimmermädchens, angebliche blaue Flecken, eine Sehnenverletzung an ihrer Schulter und eine zerrissene Strumphhose - doch das hat vor der amerikanischen Justiz, wenn das mutmassliche Opfer und die Klage Führende gegenüber dem Staatsanwalt und vor einer Grand Jury so oft gelogen hat, zuletzt nur geringes Gewicht.
Filmreiche Szene
Nun, da die 32 jährige Nafisatou Diallo nicht mehr als die auf jeden Fall unschuldige, gläubige, hart arbeitende schwarze Immigrantin dasteht, die von einem mächtigen reichen weissen Mann überrumpelt und sexuell angegriffen wurde, sondern am Tag danach mit einem wegen Drogendelikten Einsitzenden telephoniert und ihm dabei gesagt hat: "Mach Dir dir keine Sorgen, der Typ hat viel Geld, ich weiss was ich tue", wobei sich inzwischen herausstellte, dass dieser Gefangene ihr zweiter Mann ist - da darf man sich plötzlich wieder die ein oder andere Frage stellen.
Denn auch die filmreife Szene, wonach sie angeblich nach der mutmasslichen Vergewaltigung aus dem Zimmer gestürmt sei, sich in einem Besenschrank versteckt habe und danach unfähig gewesen sei zu reden, stimmt nicht mehr. Sie hat anschliessend noch ein anderes Zimmer gereinigt und war danach nochmals in die Suite 2806 zurückgekehrt, bevor sie die Direktion über den angeblichen Vorfall informierte. Und ihr Bankkonto, auf dem zwischenzeitlich 100 000 Dollar geparkt worden waren, passt auch nicht zur armen Bewohnerin der Bronx.
Das Sofitel - ein diskreter Ort
Fatalerweise bekommen angesichts dieser neuesten Entwicklungen in der Affäre die Verschwörungstheorien, die in den ersten Tagen nach den Erreignissen im New Yorker Sofitel Hotel in Frankreich zirkulierten, plötzlich wieder deutlich mehr Gewicht. Ebenso manche Hypothesen, die einem damals aus internen Kreisen der Pariser Sozialisten zu Ohren gekommen waren und die der sozialistische Abgeordnete, Francois Loncle, zumindest in Anspielungen, jetzt am Wochenende auch erstmals öffentlich geäussert hat.
Demnach sei das New Yorker Sofitel Hotel seit langem bekannt als diskreter Ort , an dem die Superreichen und Mächtigen aus aller Welt, Spitzenvertreter internationaler Grosskonzerne sowie der New Yorker und der internationalen Finanzwelt gerne absteigen, um sich quasi per Knopfdruck Luxuscallgirls zu bestellen, die in unmittelbarer Nähe des Sofitels logieren. Ausserdem, so wurde in den sozialistischen Kreisen argumentiert, sei die Generaldirektion des weltweit agierenden Hotelkonzerns Accor, zum dem das Sofitel in New York gehört, der politischen Rechten in Frankreich eng verbunden.
Und immer lauter wird jetzt auch die Frage gestellt: Kann es sein, dass der Direktor des Sofitel Hotels in New York, ein gewisser Jorge Tito, am 14. Mai die New Yorker Polizei auf eigene Initiative verständigt hat, ohne vorher die Konzernspitze zu konsultieren, in einer Angelegenheit, in der immerhin der Generaldirektor des Internationalen Währungsfonds eine Rolle spielte?
Konsternierende Aussage
Plötzlich stellt man sich auch die schon am Anfang dieser Affaire immer wieder gestellte Frage neu, die da lautet: Hätte Strauss Kahn nach einer Vergewaltigung oder einem Vergewaltigungsversuch tatsächlich im Sofitel angerufen, um darum zu bitten, ihm sein vergessenes Handy zum Flughafen zubringen - ein Anruf, der es der New Yorker Polizei ermöglichte, ihn aus dem startklaren Flugzeug Richtung Paris zu holen ?
Wirklich konsternierend und in merkwürdigem Licht erscheinen schliesslich Aussagen von Dominique Strauss-Kahns engsten Vertrauten, die ihn zwei Wochen vor den New Yorker Ereignissen in Paris getroffen hatten. Der IWF Chef hielt sich damals um den 28 . April herum mehrere Tage in der französischen Hauptstadt auf, um die Ankündigung seiner Präsidentschaftskandidatur vorzubereiten . An seinem Wohnort, an der Pariser Place des Vosges oder in den Salons umliegender Hotels, traf er damals mehrere langjährige Weggefährten.
Francois Pupponi, Nachfolger Strauss-Kahns als Bürgermeister der nördlichen Pariser Vorstadt Sarcelles und Intimus des IWF Chefs, hatte seit einiger Zeit den Eindruck, sein Freund sei leicht paranoid geworden. Strauss-Kahn, bisher hinsichtlich seines Privatlebens alles andere als vorsichtig, schien plötzlich überaus misstrauisch geworden zu sein. Bei ihrem Treffen bat der IWF Chef, wie "Le Monde" schreibt, seinen langjährigen Freund, den Akku aus seinem Handy zu nehmen. Der erwiderte, ungläubig und amüsiert zugleich, man wolle doch nicht die Banque de France sprengen, sondern nur den Elyseepalast erobern. Darauf Strauss-Kahn, hinter vorgehaltener Hand: "Der Russe im Internationalen Währungsfond will mich zu Fall bringen, bevor ich zurücktrete. Dahinter steckt Putin, der manövriert."
Putin und Sarkozy
Wenige Stunden vorher hatte Strauss-Kahn mit einigen Journalisten zu Mittag gegessen und, für alle sichtbar, sein Handy am Empfang zurückgelassen und zu verstehen gegeben, Claude Gueant, Sarkozys engster Vertrauter und Innenminister, könnte ihn abhören. Bei diesem Treffen kam er auch auf seine Schwäche für Frauen zu sprechen und redete offen von der Möglichkeit, man könnte ihm eines Tages eine dunkle Geschichte anhängen, wonach er in einem Parkhaus eine Frau vergewaltigt habe, der man 500.000 oder 1 Million Euro versprochen habe, um diese Geschichte zu erfinden.
Bei einem dritten Treffen in diesen Tagen Ende Mai begegnet DSK Claude Bartelone, einem alten Hasen in der Hierarchie der sozialistischen Partei und Präsident des Departements Seine Saint Denis nördlich von Paris. Ihn warnte er, die Kameraden sollten bei ihren Erklärungen vorsichtig sein und Bartelone solle seinen, Strauss-Kahns Namen, nicht in seinen Terminkalender schreiben, bevor er auch ihm gegenüber sagte: "Gewisse Leute haben ein Interesse daran, dass ich aus dem IWF rausfliege. Die Russen sind am meisten daran interessiert und Putin steht Sarkozy nahe .."
Im Grunde , so sagen sich nicht nur Strauss-Kahns Freunde heute, hatte der IWF Chef in diesen Maitagen an der Pariser Place de Vosges zumindest einen Teil des Drehbuchs für einen Film geschrieben, der 14 Tage später über die Bühne gehen sollte...