Von Heiner Hug, Alex Bänninger, Reinhard Meier, Urs Meier, Ignaz Staub und Stephan Wehowsky, 18.02.2016
Die Durchsetzungsinitiative, über die wir am 28. Februar abstimmen, will zur Erhöhung unserer Sicherheit ausländische Kriminelle automatisch ausweisen. Sicherheit ist wichtig. Darüber besteht Einigkeit. Aber die Initiative hält nicht, was sie verspricht. Es macht den Anschein, Sicherheit sei gar nicht das Ziel, sondern diene lediglich als Vorwand, um die Ausländerfeindlichkeit bis zum Siedepunkt hochzukochen. Ob das eine, das andere oder beides als Gemisch: Aus der Vielzahl der Ablehnungsgründe greifen wir sieben heraus.
1. Unnötige und verschärfende Zwängerei
Am 28. November 2010 hiessen 52.3 Prozent der Stimmenden und 17½ Stände die von der SVP lancierte Ausschaffungsinitiative gut. National- und Ständerat nahmen die Arbeit an der Ausführungsgesetzgebung auf. Für die SVP dauerte dies zu lange und nahm angeblich den Weg der falschen Milde. Die Partei reagierte deshalb mit der Durchsetzungsinitiative und weitete die Delikte, die zur automatischen Ausweisung führen, massiv bis zu Bagatellfällen aus.
Das ist eine Zwängerei und zudem eine Respektlosigkeit gegenüber dem Parlament, das den Auftrag der Ausschaffungsinitiative bis an die Grenzen des Möglichen erfüllt hat. Wer weitergehen will, erhebt faktisch den Machtanspruch, die Mehrheit habe nach der Pfeife der Minderheit zu tanzen.
2. Populistisches Täuschungsmanöver
Die grösste kriminelle Gefahr kommt von Ausländern, die kurzzeitig in die Schweiz einreisen, ihre Straftaten verüben und derartig schnell aus dem Land verschwinden, dass die Polizei das Nachsehen hat.
Diesem Phänomen ist mit der Androhung drakonischer Strafen nicht beizukommen. Sie ist effekthascherisch. Die Initiative täuscht mit ihrem Populismus Sicherheit bloss vor.
3. Vorsorgliche Kriminalisierung
Die Initiative will nicht nur ausländische Mörder, Räuber, Diebesbanden, Vergewaltiger, Raser und Geiselnehmer automatisch ausweisen, sondern alle Ausländer, die innerhalb von zehn Jahren zwei Bagatelldelikte begangen haben.
Wer aus Blödsinn, Nichtwissen oder Unaufmerksamkeit eine rechtliche Bestimmung übertritt, gehört weiterhin bestraft, aber zweifellos nicht ausgewiesen. Personen, die ein Zigarettenpäckli klauten, ein Formular falsch ausfüllten oder einen Beamten beleidigten, sind Übeltäter, aber keine Verbrecher.
Die vorsogliche Kriminalisierung eines Viertels unserer Bevölkerung drückt diese an den gesellschaftlichen Rand und ist allen Beteuerungen zum Trotz das Gegenteil all dessen, was Integration und friedliches Zusammenleben heisst.
4. Totalitäre Praxis
Die Initiative verbietet den Gerichten, vor einer Verurteilung die Motive für eine Tat unter die Lupe zu nehmen. Der Leumund, ob gut oder schlecht, spielt keine Rolle. Die Prüfung der Verhältnismässigkeit einer Strafe im Einzelfall für Ausländer aufgehoben. Das ist eine den Rechtsstaat elementar missachtende Diskriminierung.
An ihr wird besonders deutlich, was die Initiative charakterisiert, nämlich eine zur Rache gesteigerte Härte, um unter den Ausländern, und gerade auch unter den längst integrierten Secondos, Angst und Schrecken zu verbreiten. Dies wollen wir in der Schweiz unter keinen Umständen.
5. Mühe mit der Wahrheit
Die Initiative verwischt arglistig den Unterschied zwischen Ausweisung und Ausschaffung. Bereits heute können die Gerichte als Zusatzstrafe die Ausweisung anordnen. Sie leitet das Ausschaffungsverfahren ein.
Dieses Verfahren verläuft allerdings häufig im Sande, weil sich entweder das Herkunftsland beim besten Willen nicht feststellen lässt oder das Herkunftsland die Rücknahme verweigert. Die Initiative haut zwar kräftig auf den Putz, aber garantieren kann sie die Ausschaffung nicht. Auch bei diesem zentralen Punkt weicht die Initiative berechnend der Wahrheit aus.
6. Verletzung der Menschenrechte
Die Initiative verletzt gewollt die Europäische Menschenrechtskonvention. Die Schweiz hätte noch und noch Verurteilungen durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu gewärtigen und würde riskieren, die Konvention kündigen zu müssen. Auf dem Spiel steht der Schutz, den die Menschenrechte auch uns gewähren.
Diese Auswirkung der Initiative belastet die ohnehin schwierigen Beziehungen zur EU zusätzlich. Daran können wir neben den rechtlichen auch aus wirtschaftlichen Gründen nicht das geringste Interesse haben.
7. Schnellschüsse aus der Hüfte
Die Durchsetzungsinitiative veranschaulicht exemplarisch das rauschhafte Verlangen, die Politik in einen Dauerwahlkampf zu verstricken. Dessen Folgen sind die Orientierung an Vorurteilen, das kurzfristige Denken und die Atemlosigkeit. Die blendende Sofortwirkung von Schnellschüssen aus der Hüfte geht auf Kosten sorgfältiger Lösungen.
Die Gewalttaten in Köln und anderswo, die nach jetzigem Kenntnisstand von Migranten und auch Flüchtlingen bandenmässig begangen wurden, sind kein Argument für die Durchsetzungsinitiative. Überführte Bandenkriminelle können schon heute ausgewiesen werden.
Wir haben eine Rechtsordnung. Es gibt Gesetze. Sie werden angewandt. Die Forderung nach einer heisslaufenden Gesetzgebungsmaschinerie will uns glauben machen, in einer Bananenrepublik zu leben, in der uns die SVP vor dunkeln Mächten retten muss.
Nein
Die Durchsetzungsinitiative erschüttert die Fundamente des demokratischen Rechtsstaats, beschädigt das internationale Ansehen der Schweiz und löst wie bereits die Masseinwanderungsinitiative keine Probleme, sondern schafft neue.
Ein Nein am 28. Februar ist die richtige Antwort.