Ich und der Fussball - das sind lauter runde Geschichten, allerdings von der Seitenlinie her, aber Niederlagen und Triumphe gab es trotzdem. Fussball? Das Wort fehlte zunächst in meinem Vokabular. Ich kann mich nicht erinnern, dass bei uns jemals das Radio lief, nur weil ein Match übertragen wurde. Wir lauschten den Hörspielen.
Dann kam mein Noviziat beim «St. Galler Tagblatt», und wenn ich Sonntagsdienst hatte, musste ich manchmal einspringen und das Telefondiktat der nebenamtlichen Fussballreporter entgegennehmen, in der Halbzeitpause und am Schluss. Der Fussballjargon war mir restlos fremd, ich wusste nicht, dass eine Schwalbe nicht nur keinen Sommer macht, sondern auch eine artistische Einlage in der Hoffnung auf einen Penalty war, und ich scheine öfters so merkwürdige Wortgebilde formuliert zu haben, dass ich von dieser Aufgabe befreit wurde.
Die Geräuschkulisse des FC Brühl kannte ich, weil ich in akustischer Nähe wohnte. Dieser Club wurde mir erst viel später wirklich ein Begriff, als die Paul-Grüninger-Stiftung es endlich fertigbrachte, dass das Stadion nach dem Flüchtlingsretter benannt wurde, weil Grüninger ein Fan des FC Brühl gewesen war.
Die Frauen und die Offside-Regel
Als mich die Arbeit nach Zürich führte, war ich begeistert: Schauspielhaus! Opernhaus! Bis mir ein Freund sagte, er begleite mich gerne ins Theater, aber ich könnte doch auch gelegentlich mit ihm ein Fussball- oder Eishockeyspiel besuchen. Gleichberechtigung ist keine Einbahnstrasse, und ich muss ihm etliche für ihn spannende Matches verdorben haben, weil er geduldig meine vielen Fragen beantwortete.
Allgemein wird angenommen, dass Frauen die Feinheiten des Spiels nicht verstehen, insbesondere nicht die Offside-Regel. Vor und während der WM 2010 in Südafrika füllten sich die Mailboxen zahlreicher Frauen mit Varianten einer spassigen Erklärung. Sie geht so:
Eine Frau steht im Schuhgeschäft an der Kasse. Vor ihr befindet sich nur noch eine einzige andere Kundin, und beide vergucken sich gleichzeitig in ein weiteres Paar Schuhe im Regal hinter der Kassiererin. Die zweitvorderste Frau muss der vordersten unbedingt zuvorkommen, aber sie hat nicht genügend Geld für ein zweites Paar dabei. Ihre Freundin, die auf sie wartet, erkennt das Dilemma und wirft ihr das eigene Portemonnaie zu, über die vorderste Kundin hinweg. Die Frau umrundet die hinderliche Person, fängt den Geldbeutel und kann nun zwei Paar Schuhe bezahlen. Wäre sie jedoch bereits an der Rivalin vorbeigezogen, als sich das Portemonnaie noch in der Hand der Freundin und noch nicht in der Luft befand, wäre sie im Abseits gestanden. Versteht doch jede, oder?
Aussenseiterin am Cupfinal
Eines Tages kamen die Kollegen auf die geniale Idee, mich eine Kolumne über den Cupfinal in Bern schreiben zu lassen. Bis dahin hatte ich lediglich meinen fussballbegeisterten Mann nach Bern begleitet, mit dem Sohn den Bärengraben besucht, im spanischen Restaurant die ersten Filme der Fotografen entgegengenommen und auf die mobile Dame gewartet, die sie nach Zürich transportieren sollte (und einmal gar nicht auftauchte). Jaja, wir befanden uns in der kommunikativen Steinzeit. Der Sohn blieb also für einmal bei der Oma, und ich schaute mir das Geschehen von einem Tribünensitz aus an. Getreu dem, was ich sah und hörte, titelte ich meine Geschichte «Vom Leerlaufen und Volllaufen». Worauf ich nie mehr eine Aussenseiter-Kolumne vom Cupfinal schreiben durfte.
Wohlwollende Fussball-Altstars
Es gab dennoch weitere berufliche Fussball-Einsätze, etwa vor der EM in der Schweiz und in Österreich. Ich schrieb für mein grosses deutsches Magazin darüber, dass die Hälfte der Schweizer Nati aus Bundesliga-Söldnern bestand. Und ich machte ein grosses Interview mit Stéphane Chapuisat. Er freute sich, dass er in Zürich von kleinen Buben immer noch um Autogramme gebeten wurde. Nationaltrainer Köbi Kuhn rief mich nur zurück, weil seine kürzlich verstorbene Frau Alice es mir versprochen hatte.
Andy Egli war ein anderer Gesprächspartner, weil er vor wenigen Jahren im Berner Wankdorf-Stadion den «FC Religionen» betreute, in dem Priester, Pfarrer, Rabbiner und Imame gegen den FC Nationalat spielten, auch dieser mit zugewandten Orten bzw Kickern. Alle diese Fussball-Altstars behandelten mich nicht gerade nach dem Motto «um schonendes Anhalten wird gebeten», eher sehr wohlwollend, und sie beantworteten gerne Fragen, die ihnen Sportreporter offenbar kaum je stellten.
Das Wankdorf heisst jetzt Stade de Suisse, und der deutsche Botschafter Otto Lampe organisierte zum Jubiläum des «Wunders von Bern» von 1954 für den 15. Juni ein Fussballfest. Eine Diplomatenmannschaft soll gegen den FC Nationalrat antreten.
Im eiskalten WM-Wasser
1966 warfen mich die Kollegen der «Schweizer Illustrierten» ins eiskalte Wasser, als sie mir die Betreuung der WM in England aufhalsten und in die Ferien reisten (wir waren damals erst zu viert). Ich sollte, blutjung und fussballunerfahren wie ich war, mit dem legendären Sportreporter Karl Erb kooperieren, der meine Themenvorschläge am Mittwoch ablehnte und am Freitag doch mindestens einen davon guthiess. Er schrieb kompetente Texte, die auch am Erscheinungstag Montag nach einer ganzen WM-Woche noch immer aktuell wirkten. Täglich sass ich vor Bergen von Schwarzweiss-Fotos und begriff nur mit Mühe, was darauf so fotowürdig war. Am meisten beeindruckte mich unser Torhüter Karl Elsener, der einem Gegner half, den Schuh zu binden.
À propos Reporter-Legenden: Vor dem 40. Jahrestag des mörderischen Überfalls von Palästinensern auf die israelische Olympiamannschaft in München von 1972 rief ich Sepp Renggli an, der damals am Radio vorübergehend vom Sport- zum Politreporter mutieren musste. Ich sagte ihm, dass ich seine oft stockende Stimme noch im Ohr hätte. Weit über 80, erzählte er mir, was er damals erlebt und empfunden hatte. Und ich ziehe auch den Hut vor Fussballreportern wie Fredy Wettstein, der demnächst nach 40 Jahren Berichterstattung über eine Fussball-WM als Sportchef des «Tagi» zurücktreten will, und anderen beinahe Ehemaligen. Was machen die alle bloss mit ihrem angehäuften Know-how? Wie kann es die Medienwelt zulassen, dass das alles verloren und vergessen geht?
Kauderwelsch und ein peinlicher Fehler
Einige Jahre nach «meiner» WM 1966 war ich mit einem hoch begabten Hobby-Fussballer verheiratet, der jeden Sonntag in der dritten Liga spielte. An einem Silvesterabend in Arosa schritten wir eben vom Apéro in der Bar zum Speisesaal. Das gleiche tat ein jüngerer Mann im schicken graukarierten Kilt. Mein Mann rief hinüber: «Celtic?» Und der Schotte antwortete lachend: «No - Rangers!» Ich fühlte mich im falschen Film. Was für ein Kauderwelsch war da eben an mir vorübergezogen? Noch vor der Vorspeise erfuhr ich dann, dass es sich um zwei berühmte schottische Fussballclubs handelte. Völkerverständigung dank dem runden Leder (hoffentlich für einmal nicht von Kindern genäht).
Während einer nächsten WM brachte der Gatte jeden Abend ein halbes Dutzend Leute aus dem Institut nach Hause, die vor unserem kleinen, ziemlich sicher noch schwarz-weissen Fernseher sassen und meine Wähen assen. Einer von ihnen war ein «visiting scientist» aus Korea, der bald darauf im heimatlichen Seoul eine Professur erhielt. Weil sich niemand den Namen des Herrn Dr. Son merken konnte, nannten ihn alle «Putzi».
Putzi Son verneigte sich am ersten Fussballabend und überreichte mir ein kleines Rollbild, mit dem ich wirklich nie etwas anfangen konnte. Ich beging dann den peinlichen Fehler, dass ich ihm erstens etwas Freundliches sagen und zweitens damit aufschneiden wollte, wieviel ich - angeblich - wusste. So berichtete ich ihm von meiner grossen Freude von 1966, als die Koreaner die Fussball-Grossmacht Italien heimgeschickt hatten. Putzi brachte immerhin ein gequältes Lächeln zustande. «Thank you», sagte er. «Aber das war Nordkorea.»