Ein Unternehmer, Alt-Bundesrat und dessen Volkspartei malen eine rabenschwarze Zukunft für unser Land an die Wand. Wer diese Drohkulisse durchschaut, vertraut darauf, dass unsere direkte Demokratie dann gestärkt wird, wenn Stimmbürgerinnen und Stimmbürger souverän zu unterscheiden wissen zwischen Völkerrecht, nationalem Recht und Propaganda.
Ein starkes Zeichen
Wenn alle politischen Parteien ausser der SVP, wenn der Schweizerische Arbeitgeberverband (SAV), der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB), economiesuisse und SWISSMEM – also die Vertreter von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, sowie Operation Libero, die engagierten Jungen, und Allianz der Zivilgesellschaft (120 Vereine und Verbände), wenn Bundesrat, Nationalrat und Ständerat, wenn sie alle aus Überzeugung die Selbstbestimmungsinitiative ablehnen, ist das an sich schon ein starkes Zeichen.
Sie alle sind für die Selbstbestimmung unseres Landes im Rahmen der internationalen Vereinbarungen und wollen unser Land nicht aus der Idee der Zusammenarbeit mit friedensfördernden Institutionen herauskatapultieren. Dazu brauchen Mannen und Frauen keine Nachhilfestunden über die Vorteile unserer direkten Demokratie. Einmal mehr versucht die Schweizerische Volkspartei SVP unter der Oberaufsicht ihres Übervaters aus Herrliberg einen Keil in die Schweizer Bevölkerung zu treiben.
Doch Letztere hat schon mehrmals gezeigt, dass sie wahre und getarnte Argumente zu unterscheiden weiss. Sie vertraut auf Bewährtes.
Ein Graben durchzieht die Schweiz
Wer in den letzten Wochen die Diskussion zwischen Befürwortern und Gegnern dieser Spaltungs-Initiative gesucht hat, konnte unschwer feststellen, wie sehr die oft hitzigen Gespräche jenen von 1992 ähneln. Es entwickelte sich damals wie heute eben kein echter Gedankenaustausch – zu sehr waren und sind die Bilder in den Köpfen von Schlagworten besetzt. Damals: kein schleichender EU-Beitritt! Heute: keine fremden Richter! Eigentlich schade. Beide Seiten könnten davon profitieren, wenn sie die echten Argumente (Schlagworte und Bilder sind keine solchen) des andern bedenken würden.
Denn – wie immer – gibt es auf beiden Seiten nicht nur falsche, sondern auch beachtenswerte Gründe und Bedenken. Doch 26 Jahre nach der EWR-Spaltung der Schweiz (50,3 Prozent NEIN, 49,7 Prozent JA) beanspruchen die damaligen Abstimmungssieger noch immer jene Deutungshoheit für sich: „Das Volk hat NEIN gesagt“ und die Verlierer verzweifeln daran, dass „die andern“ einer vertieften Analyse aus dem Weg gehen. Was offensichtlich für beide Seiten Gültigkeit hat: „In grosser Sorge um unser Land“ versuchen sie, zu argumentieren …
„Direkte Demokratie und ihre Gegner“
Die Wortklaubereien und Unterstellungen der SVP passen ins gewohnte Muster, sie sind höchstens noch ein bisschen dreister geworden. Natürlich sind die Gegner dieser neuesten Spaltungs-Initiative keine Gegner unserer direkten Demokratie. Die gegenwärtige politische Klasse sei dabei, dem Souverän von Volk und Ständen das Initiativrecht zu entreissen, warnt weiter Thomas Matter, SVP-Nationalrat. Doch weit und breit ist keine solche Tendenz festzustellen – ausser wohl in den Propagandazentralen und den Köpfen der vermeintlich letzten Verteidigern der direkten Demokratie.
Die Liste der Unterstellungen, mit denen die SVP Andersdenkende eindeckt, ist noch länger. Wie die Operation Libero klarstellt und aufdeckt, sind es zum Beispiel folgende: Das Erfolgsmodell Schweiz sei in Gefahr, Volkentscheide würden ausgehebelt, Internationales Recht behindere die Schweizer Justiz.
Die ausführliche und fundierte Widerlegung dieser und weiterer „Irrtümer“ kann auf der Homepage www.operation-libero.ch nachgelesen werden. Ganz generell soll es ja die volksferne Elite sein, die daran arbeite, den politischen Normalzustand der Schweiz mutwillig zu zerstören. Diese These können Sie, liebe Leserin, lieber Leser, selbst am besten überprüfen. Falls Sie diese Initiative ablehnen, müssen sie sich selbst fragen, ob Sie mit diesem NEIN die Schweiz zerstören oder vielleicht doch vor Schlimmerem bewahren möchten.
Schlagworte wie „Wir müssen die direkte Demokratie retten“ tönen gut. Mit ähnlichen Wohlfühl-Statements werden laufend Volksinitiativen übertitelt, denn wer könnte schon gegen höhere AHV-Renten, gesunde Kühe oder gerechte Mindestlöhne sein. Sie sollen ihre Wirkung auf diejenigen Leserinnen und Leser ausüben, die sich mit Titellesen begnügen. Doch nur durch diese würde selbst die direkte Demokratie nicht gerettet.
Zum Glück lesen erstaunlich viele Abstimmende das ominöse rote Büchlein der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Es erklärt – für den Abstimmungssonntag, den 25. November 2018 - auf 38 kleinbedruckten Seiten in Kürze, im Detail und neutral, was von den Initianten der Initiativen bezweckt wird und welches die Folgen sein würden. Hochgeschraubte Rhetorik, wie sie an den landauf, landab organisierten Volksveranstaltungen zur Orientierung des Stimmvolks gang und gäbe ist, hat darin keinen Platz.
Folgen eines JA
So erklärt der Bundesrat zum Anliegen der SVP: „Die Initiative setzt internationale Verträge aufs Spiel. Sie gefährdet so Stabilität und Rechtssicherheit, was den Wirtschaftsstandort und den Menschenrechtsschutz schwächt. Vertragsanpassungen brauchen auch immer die Zustimmung der Vertragspartner. Mehr Selbstbestimmung bringt die Initiative deshalb nicht.“ In der Detailargumentation erinnert der Bundesrat (der auch im Namen der Mehrheit des National- und Ständerats spricht) daran, dass die Schweiz selber bestimmt, welchen Vertrag sie abschliesst, sie bestimmt also selbst. Damit wird klar: Die Initiative bringt nicht mehr Selbstbestimmung. Sie schützt das Erfolgsmodell Schweiz nicht – sie gefährdet es.
Jean-Daniel Gerber, ehemaliger Staatssekretär und Direktor des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) äussert sich in der NZZ am Sonntag sehr dezidiert: „Die Selbstbestimmungsinitiative pflegt die Illusion, ein Kleinstaat sei mächtig, wenn er sich international isoliere und selbst beschneide. Das Gegenteil davon ist richtig.“ Weiter erinnert er daran, dass die Konsequenz eines JA heissen würde, dass unser Land bestehende Verträge neu zu verhandeln, ja nötigenfalls zu kündigen hätte, würden sie irgendwann unserer Verfassung widersprechen.
Wo bleibt da der Realitätssinn? Offensichtlich sieht die Realität im Bundeshaus und bei den Verhandlungen der Schweiz mit befreundeten Staaten etwas anders aus als in der Propagandazentrale der SVP. Darauf deutet auch der abgebildete, mit einem JA versehene Stimmzettel auf dem SVP-Flyer hin – damit auch alle lieben Mannen und Frauen unter Realität jener der SVP-Vordenker folgen werden.
Deshalb ein NEIN
Was die Gegner der Initiative mit ihrem NEIN bezwecken, ist die Fortsetzung einer freundschaftlichen, erfolgreichen Zusammenarbeit unter befreundeten Nationen. Sie akzeptieren auch internationales Vertragsrecht, das einen verlässlichen Ideen- und Warenaustausch garantiert. Sie wollen weiterhin davon profitieren, dass unser Land Konflikte auf der Basis internationaler Rechtsprechung lösend kann. Sie halten nichts von nationaler Selbstüberschätzung.