Wer schriftliche Produktionen als Erzählungen oder Romane unter die Leute bringt, kann es sich erlauben, Fakten zu fiktionalisieren, Erfindungen als Tatsachen auszugeben. Leserinnen und Leser wissen, dass sie sich mit artistischen Spielen beschäftigen – und oft genug gehört das Mischen von Fakt und Fiktion, das ihnen geboten wird, zu den Hauptanreizen des literarischen Spiels.
Anders ist es beim Journalismus. Da geht das geneigte Publikum immer noch davon aus, dass das, was es liest, wahr ist, der Realität entspricht, stimmt. Auch wenn es im postmodernen Journalismus Mode geworden ist, an der Realität als solcher zu zweifeln, „alternative Fakten“ neben gesicherten gelten zu lassen, Geschichten zu erzählen, statt die Wirklichkeit zu beschreiben, stimmig zu formulieren, statt dafür besorgt zu sein, dass das Geschriebene stimmt. Selbst wenn das so ist, möchte man der Zeitung, die man liest, vertrauen und also davon ausgehen können dass das, was geschrieben steht, wahr ist.
Der österreichische Autor Robert Menasse kann beides. Romane schreiben: „Die Hauptstadt“ ist einer der besten, die in letzter Zeit im deutschsprachigen Raum erschienen sind. Der überzeugte Europäer äussert sich gerne in Zeitungen und Zeitschriften und ist dann – auch – ein Journalist. Als solchem wies man ihm nach, dass er mehrmals einem der Gründerväter der EU, Walter Hallstein, Zitate in den Mund gelegt hat, die dieser so nicht gesagt hatte.
Menasse hat sprachliche Fakten ein bisschen hergerichtet, damit sie ihm in den politischen Kram passen. Als die Sache aufflog, meinte er in einer ersten Stellungnahme, sinngemäss sei er ganz nahe bei Hallstein geblieben, nur im „Wortwörtlichen“ sei er abgewichen. Inzwischen ist er von dieser Haltung ein Stück weit abgerückt. Dass sich der Journalist im Gegensatz zum Schriftsteller an Fakten halten muss, scheint ihm neuerdings einzuleuchten.
Kann einem im Ernst ein so begabter und bewusster Sprachmensch wie Menasse weismachen wollen, dass es beim Schreiben weniger auf das Wortwörtliche als auf das Sinngemässe ankomme? Gehört nicht die Lust und die Arbeit am Wort, am richtigen Wort zu den Grundvoraussetzungen literarischen wie journalistischen Schaffens? Zitate sind eine Art von Fakten. Werden sie mir in einem Zeitungsartikel serviert, gehe ich davon aus, dass sie stimmen. Wortwörtlich natürlich, nicht sinngemäss.