War da was? Sechs Wochen ist es her, da sangen plötzlich ein guter Teil der Wirtschafs- und Finanzwelt und die dazu gehörende Presse im In- und Ausland, die entsprechenden Kreise in Brüssel und all die, die von Reformen sprechen, wenn es darum geht, Massen zu entlassen und die Sozialleistungen zu beschneiden, ein Loblied auf den französischen Präsidenten.
Bei seiner Neujahrsansprache hatte François Hollande den so genannten «Pakt der Verantwortung» in die Welt gesetzt, sich zu einer Angebotspolitik bekannt und sich bei einer grossen Pressekonferenz vierzehn Tage später bemüht zu detaillieren, was hinter all dem stecken könnte – und nebenbei noch verkündet: ja, er sei Sozialdemokrat. Ein Wort, das für Frankreichs Linke immer noch ein halbes Schimpfwort ist.
«Pakt der Verantwortung» soll heissen: 30 Milliarden Abgaben weniger für die Unternehmen, die sich im Gegenzug verpflichten sollen, Arbeitsplätze zu schaffen. Und das möglichst schriftlich, quasi per Vertrag, und wenn möglich eine Million in den nächsten fünf Jahren.
Arbeitgeber skeptisch
Doch da hakt es schon. Sie wollen von dieser Verpflichtung nicht wirklich etwas wissen, die Unternehmen.
Der Chef ihres Verbandes, Pierre Gattaz – Sohn von Yvon, der denselben Posten vor über dreissig Jahren schon bekleidete – hat ausgerechnet während eines dreitägigen Staatsbesuchs von Präsident Hollande in China nichts besseres zu tun gehabt, als das für Unsinn zu erklären. 24 Stunden später musste er das wieder dementieren. So sehr hatte man ihm von allen Seiten auf die Finger geklopft.
Doch das Vertrauen in den «Pakt des Vertrauens» will nicht aufkommen in einem Land, in dem es die Kultur einer Mitbestimmung oder eines verantwortungsvollen Verhältnisses zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern nie wirklich gegeben hat. Dialog zwischen beiden Seiten heisst fast immer noch: zunächst mal Streik, erst danach wird geredet.
Gewerkschaften schwach
Dies alles ist um so dramatischer, als die französischen Gewerkschaften de facto kaum mehr Gewicht haben. Nur mehr rund 8 Prozent der Beschäftigten sind Gewerkschaftsmitglieder, so wenige wie in kaum einem anderen europäischen Land.
Nur im öffentlichen Dienst, bei der Bahn, den Pariser Verkehrsbetrieben und unter Lehrern ist der Organisationsgrad noch so hoch, dass der Eindruck vermittelt werden kann, Frankreich sei ein Land der mächtigen Gewerkschaften. Von wegen.
Der immer wieder beschworene soziale Dialog, der gerade für Hollandes «Pakt der Verantwortung» so dringend nötig wäre, hat leider keine echte Grundlage. Zumal vier, fünf oder sechs, manchmal zehn verschiedene Gewerkschaften, die sich seit sechzig Jahren häufig untereinander bekriegen, den immer wieder beschworenen sozialen Dialog wahrlich nicht leichter machen.
Einsamer Präsident
Sechs Wochen nach seiner grossartigen Verkündigung scheint vom «Pakt des Vertrauens» nicht mehr als eine heisse Luftblase übrig geblieben zu sein. Von einem Schock des Vertrauens, den sich Präsident Hollande versprochen hatte, keine Spur, und niemand zieht gemeinsam an einem Strang.
Der Präsident, der ein Jahrzehnt nach der Schröderschen Wende seinem Land eine ähnliche Kur verordnen möchte, wirkt alleingelassen, seine Regierung verängstigt und die sozialistische Fraktion, auch mit Blick auf die Gemeinderatswahlen in einem Monat, richtiggehend gelähmt und in Angst erstarrt. Und dass ihr Präsident sich zum französischen «Genossen der Bosse» mausern will, gefällt einem ganzen Teil der sozialistischen Partei durchaus nicht.
Prompt machen jetzt die Gerüchte von einer Regierungsumbildung wieder mal die Runde. Was die bewirken könnte, weiss freilich kaum jemand zu sagen. Auch die Frage, was die zwei grünen Minister eigentlich noch in dieser Regierung verloren haben, muss unbeantwortet bleiben. Die als zentrales Vorhaben von Präsident Hollande angekündigte Energiewende kommt und kommt nicht aus den Startlöchern, wie sich generell der Eindruck breit macht, dass nirgendwo etwas vorangeht.
Merkwürdige Rhetorik
Im Jammertal der Unpopularität mit gerade noch 20 Prozent Zustimmung in der Bevölkerung – und dies schon seit Monaten – und mit einer Konjunktur, die einfach nicht in Gang kommen will, ist Präsident Hollande inzwischen ein sehr einsamer Mann geworden und von der angekündigten Wende nach Sarkozy ist so gut wie nichts zu spüren.
Zu allem Überfluss legt er sich jetzt auch noch mehr und mehr die Rhethorik seines Vorgängers zu. Das ursprüngliche «Wir» ist in seinen Reden seit Monaten schon geradezu inflationär durch das «Ich» ersetzt worden, 32 Mal in den knapp zehn Minuten seiner Neujahrsansprache. Sprachwissenschaftler haben das gezählt und auch festgestellt, dass Hollande noch eine andere Marotte von Sarkozy übernommen hat, nämlich in seinen Ansprachen ständig Fragen einzubauen, wo die Menschen eigentlich doch eher Antworten hören möchten. Ganz zu schweigen davon, dass er in jüngster Zeit immer häufiger von der «France forte», dem starken Frankreich spricht, so als wäre das 2012 nicht der Wahlkampfslogan von Nicolas Sarkozy gewesen.
Normaler Präsident
Und von wegen «normaler Präsident». Immer wieder meint Präsident Hollande offensichtlich auf die alten Rezepte von Francois Mitterrand zurückgreifen zu müssen. Erst vergangene Woche hat er sich in der Pariser Gedenkstätte der Widerstandskämpfer am Mont Valérien auf eine Art und Weise filmen lassen, wie Mitterrand vor über dreissig Jahren in den sorgfältig ausgeleuchteten Hallen des Pariser Pantheon nach dem Wahlsieg im Mai 1981: ein Präsident, der alleine, feierlich und langsam durch mit Geschichte beladene Räume wandelt. Nur dass Hollande jetzt keine rote Rose in der Hand hielt.