Es waren merkwürdige, ja denkwürdige Momente im Machtzentrum eines der wichtigsten EU-Staaten, am Tag nach einer verlorenen Kommunalwahl – wohlgemerkt nur einer Kommunalwahl.
Da sass ein Präsident, der so viel Macht auf sich vereint, wie kein anderer Staats- und Regierungschef der so genannten westlichen Welt - und wusste schlicht und einfach nicht, was tun.
Gegen Hollandes Willen
Am Abend des 30. März 2014 musste sich François Hollande von Minute zu Minute immer mehr damit abfinden, dass die Kandidaten und Kandidatinnen der Linken und ganz besonders der sozialistischen Partei von den Wählern so zahlreich und umfassend in die Wüste geschickt worden waren, dass er, zudem als unbeliebtester Staatspräsident seit Gründung der 5. Republik, definitiv nicht mehr so tun konnte, als sei nichts geschehen. Einfach Aussitzen ging nicht mehr.
Nach vielem Hängen und Würgen und entgegen aller seiner ursprünglich kalkulierten Zeitpläne hinsichtlich der Europawahlen in diesem Mai und der Regionalwahlen 2015, musste der Präsident – entsprechend der etwas merkwürdigen politischen Gepflogenheiten in derartigen Situationen hierzulande - zumindest eine Regierungsumbildung ankündigen.
Schnell war klar, dass auch dies nicht reichte und die Gepflogenheiten und ungeschriebenen Gesetze etwas mehr forderten, nämlich auch noch einen neuen Premierminister.
Jean-Marc Ayrault, der bisherige, hatte an den Wahlabenden der beiden Durchgänge nach den Debakeln bereits Fernsehauftritte hingelegt, die so aussahen, als wollte er seine eigene Beerdigung verkünden – blass, ausgelaugt, fast atemlos sprach er in die Kameras. Ein im Grunde absolut loyaler, ehrenwerter Mann, der getan hatte, was er konnte, musste gehen, um zu signalisieren, dass man an höchster Stelle die Lektion der Kommunalwahlen verstanden hatte.
Valls – der Machtbesessene
An Ayraults Stelle tritt jetzt einer, der einen Teil der letzten 20 Monate als Innenminister damit verbracht hatte, gegen seinen Vorgänger zu intrigieren, einer, den Präsident Hollande eigentlich nicht haben wollte, an dem er aber angesichts dessen Popularität, die weit über sozialistische Kreise hinaus reicht und angesichts der eigenen Unpopularität, einfach nicht mehr vorbei kam. Der 51-Jährige mit dem ungezügelten Machthunger war François Hollandes letzter Trumpf. Und Valls wusste das. Eiskalt hatte er sogar damit gedroht, als Innenminister zurückzutreten, sollte Ayrault als Regierungschef im Amt bleiben. Und der Präsident gab klein bei, wobei es ihm auf ein Paradox mehr oder weniger auch nicht mehr ankam.
Hatte doch die Linke die Kommunalwahlen haushoch verloren, in erster Linie weil die eigenen Wähler in Massen zu Hause geblieben waren und so ihren Missmut und ihre Enttäuschung über die bisherige Politik des Präsidenten zum Ausdruck gebracht hatten. Als Antwort darauf ernennt der Präsident den absoluten Rechtsausleger der sozialistischen Partei, den Mann für Recht und Ordnung und dezidierten Anhänger eines wirtschaftsliberalen Kurses zum neuen Regierungschef. Vordergründig signalisierte man, die Botschaft des Wählers verstanden zu haben, bei genauerem Hinsehen aber wurde schnell deutlich, dass der Präsident an seiner bisherigen Politik nichts ändern will und wird.
Merkwürdige Architektur des neuen Kabinetts
Die Zusammensetzung des neuen Kabinetts nach dem Motto „ Aus Alt mach Neu“ ist zugleich ein Meisterwerk des Ausbalancierens unter den verschiedensten Tendenzen der Sozialistischen Partei Frankreichs. Gegen den Rechtsausleger Valls als Regierungschef hat der Präsident alle wichtigen Ministerien mit Personen aus seinem allerengsten Umfeld und mit seinen ältesten Weggefährten besetzt. Gleichzeitig hat er der Parteilinken, dem reichlich grossmäuligen Arnauld Montebourg, seines Zeichens lautstarker Prophet eines Staatsinterventionismus, das Wirtschaftsministerium und Benoit Hamon das wichtige Bildungs- und Forschungsministerium überlassen. Hollande hat damit endgültig seinen Kritikern recht gegeben, die betonen, er betreibe die Regierungsgeschäfte und manage sein Kabinett, wie er einst über ein Jahrzehnt lang als Generalsekretär die Sozialistische Partei zusammengehalten hatte. Nämlich mit dem permanenten Versuch, es jedem Recht zu machen und die unwahrscheinlichsten Kompromisse zu suchen und einzugehen.
Doch falls es Monsieur le Président noch nicht gemerkt haben sollte: den Franzosen sind dieses Geplänkel und interne Parteikalküls so etwas von egal, wie er es sich überhaupt nicht vorstellen kann. Leider deutet vieles darauf hin, dass François Hollande sich nach zwei Jahren im Elysée ohnehin überhaupt nichts mehr vorstellen kann von dem, was an der Basis so los ist und was die Menschen im Land bewegt.
Wie anders wäre zu erklären, dass der Präsident exakt eine Woche vor den Kommunalwahlen ein Dutzend ranghoher Politiker, bis hin zum Präsidenten der Nationalversammlung, an einem Sonntag zu sich gerufen hatte, um hinsichtlich der anstehenden Wahlen den Puls des Landes zu fühlen. Entweder hatten die meisten in der erlauchten Runde genauso wie der Präsident gewaltige Tomaten auf den Augen oder aber sie gebärdeten sich fast allesamt als notorische Stiefellecker. Da sich François Hollande an diesem Abend davon überzeugt zeigte, dass man die Wahl natürlich verlieren werde, aber in sehr überschaubarem Ausmass, letztlich noch einmal davonkommen und am Ende sicherlich gar nicht so schlecht da stehen werde, pflichteten ihm die meisten kopfnickend bei. Nur „Don Bartolone“, Claude mit Vornamen, der Parlamentspräsident, der seit 30 Jahren seine Parteibasis in den nördlichen und östlichen Pariser Vororten bis in den letzten Winkeln in und auswendig kennt, hatte gewagt, lautstark zu widersprechen, prophezeite eine gewaltige Schlappe und sollte recht behalten.
Erste Misstöne
Manuel Valls, der gestrenge Zampano mit dem Killerblick, der Macher-Typ und Sarkzoy-Verschnitt mit dem weit vor gereckten Kinn, mit den schnellen und forschen Worten vor den ständig laufenden Kameras, er sollte es jetzt also richten und mit seinem autoritären Stil in einem reduzierten, übersichtlicheren Kabinettshaufen endlich für Ordnung und Disziplin sorgen, und dafür, dass die ständigen Pannen und widersprüchlichen Äusserungen verschiedener Minister derselben Regierungsmannschaft endlich ein Ende haben.
Doch es ist einfach hoffnungslos. Manuel Valls hatte im Hotel Matignon noch nicht mal seinen ersten Umzugskarton ausgepackt, da drangen schon die ersten, lauten Misstöne aus dem einen oder anderen Ministerium.
Die Fürstin aus Poitou-Charentes
Natürlich gehörte zu den ersten Lärmmachern in dieser neuen Regierung, an der so gut wie gar nichts neu ist, Ségolène Royal. Gerade sie ist schon gar nicht neu, auch wenn sie zu den zwei Neuzugängen im Kabinett gehört. Sie zog doch tatsächlich auch noch in dasselbe Ministerium ein, in dem sie Anfang der 90-er schon einmal ein paar Monate als Hausherrin verbracht hatte. Eigentlich hätte sie sich ja einfach zur Ruhe setzen können. Schliesslich war sie schon im Machtzentrum mit dabei, als Frankreich einst das Rentenalter auf 60 herunter gesetzt hatte und könnte davon heute doch ganz einfach profitieren. Seit der Rentenreform unter Sarkozy eben als Frührentnerin, hätte sie sich, sozial ohnehin anderweitig abgesichert, die zwei Jahre vor dem vollen Rentenanspruch doch etwas anderem als der Politik zuwenden können.
Doch mitnichten. Die Präsidentin des Regionalrates der Region Poitou-Charentes - ihr “politisches Labor“, wie sie nicht müde wird zu betonen - vermittelt seit Jahren und reichlich penetrant den Eindruck, dass ihre Partei, ja das gesamte Land ihr etwas schuldig seien, seit sie 2007 die Präsidentschaftswahl gegen Nicolas Sarkozy verloren hatte. Eine Wahl verlieren und dann für immer abtreten, ist aber nicht Teil des politischen Erbguts der französischen Republik. Und für Ségolène Royal kam das schon überhaupt nicht in Frage. Zumal sie im Grunde und tief in ihrem Herzen und Hirn ganz offensichtlich nie verstanden hat, dass sie die Wahl 2007 damals wirklich verloren hatte!
Unvergessen, wie sie fast mystisch und abgehoben in der Nacht des Wahlsiegs von Nicolas Sarkozy am 6. Mai 2007 im Scheinwerferlicht auf dem Balkon des sozialistischen Parteisitzes in der Pariser Rue Solferino unweit des Orsay-Museums stand und dort in der Höhe, während das enttäuschte Wahlvolk unten die Tränen trocknete, irgendetwas von einem Neubeginn faselte, von Kräften, die sich erhoben hätten und den Eindruck vermittelte, als sei sie endgültig entschwebt und könnte mit dem Wahlkampf überhaupt nicht mehr aufhören. Es war, als sei die Droge einfach zu hart gewesen, um davon wieder wegzukommen.
Sieben Jahre nach der Niederlage
Offensichtlich war sie es wirklich. Sieben Jahre sind seitdem vergangen, doch Ségolène kann es nicht lassen. Sie scheint derartig von sich selbst eingenommen, dass sie ganz gewiss felsenfest davon überzeugt ist, dass das Land sie unbedingt braucht und dass ihr das einfach zusteht, wenn sie jetzt plötzlich sogar als protokolarische Nummer 3 der Regierung wieder ganz oben im Machtgefüge auftaucht und damit am wöchentlichen Kabinettstisch zur Rechten von François Hollande zum Sitzen kommt. Links vom Präsidenten sitzt die No. 2, Aussenminister Fabius, rechts die Frau, die am Abend des 2. Durchgangs der verlorenen Parlamentswahlen im Juni 2007 nichts besseres zu tun hatte, als im Fernsehstudio live zu verkünden, dass sie ihren Jahrzehnte langen Gefährten und Vater ihrer vier Kinder, eben einen gewissen François Hollande, gebeten hatte, nun endlich das gemeinsame Pariser Domizil zu verlassen. Plötzlich war das die Hauptnachricht des Wahlabends und nicht das Ergebnis der Wahl.
In den seitdem verflossenen 7 Jahren hat Ségolène Royal durch nichts besonderes auf sich aufmerksam gemacht, es sei denn dadurch, dass sie es 2012 bei den Parlamentswahlen nicht mal geschafft hatte, einen Abgeordnetensitz in der Nationalversammlung zu ergattern. In ihrer Überheblichkeit und Machtbesessenheit hatte sie einfach vergessen, dass im von ihr auserkorenen Wahlkreis in La Rochelle ein anderer aus der sozialistischen Partei seit 5 Jahren Wurzeln geschlagen hatte und nicht daran dachte, sich einfach zurück zu ziehen, nur weil Madame Royal beschlossen hatte, dass ihr dieser Wahlkreis zusteht und überzeugt war, dass ihr Sieg nur eine Formalität sein würde. Nichts war, abgewatscht wurde sie und in Tränen stand sie vor den Kameras an einem Junitag 2012 und war nur noch die Fürstin der Region Poitou-Charente.
Jetzt sind die Kameras wieder da, wie ein Pawlowscher Reflex: Ségolène wird etwas sagen und alle Objektive und Mikros richten sich nur noch in ihre Richtung. Sie geniesst es, kann nicht anders.
Schon auf dem Weg zur Amtsübergabe im Umweltministerium liess sie sich von ihrer Wohnung aus auf der Strasse von Kameras begleiten. Selbstverständlich ging sie - so lange die Kameras angeschaltet waren - zu Fuss, schliesslich wurde sie ja Umweltministerin.
Die anschliessende Amtsübergabe im Ministerium geriet prompt zum Remake der Filmfestspiele von Cannes. Hysterisches Geschrei von Photographen und Kameraleuten neben dem roten Teppich, um die Diva im richtigen Licht und der richtigen Pose zu erwischen - ein Schauspiel, das Madame sichtlich genoss. Endlich wieder so richtig im Rampenlicht.
Vielleicht könnte aber den Herrschaften wie Ségolène Royal oder dem Wirtschaftsminister Montebourg, der auf dem Weg zur Amtsübergabe gleich ein Kamerateam mit in sein Auto genommen hatte - ein für allemal sagen, dass, das öffentliche Zur-Schau-Tragen ihrer überdimensional gewachsenen Egos schlicht unerträglich, unappetitlich, ja unverschämt wirkt, angesichts der wirtschaftlichen und sozialen Lage, in der sich Frankreich derzeit befindet.
Eine Mannschaft sollt ihr sein, so oder so ähnlich klang das Motto, das Präsident Hollande versucht hatte, seiner neuen (alten) Truppe mit auf den Weg zu geben. Gleich mehrere haben das geflissentlich überhört.
Ségolène und die Ökomaut
Ségolène Royal hat sich schon nach wenigen Stunden im neuen Ministerium als erste in die Nesseln gesetzt und ganz nebenbei die Lunte unter ein hochexplosives Thema gelegt. Unbedingt musste sie sofort ihren Senf zur Ökomaut geben, die seit Monaten auf Eis liegt, nach den wütenden Protesten der Rotmützen in der Bretagne. Diese Steuer müsse noch einmal von vorne diskutiert werden, flötete sie ganz nebenbei und überhaupt sei sie gegen eine „punitive Umweltpolitik“. Das fängt gut an. Eine Umweltministerin im zweiten Anlauf, die daran glaubt, dass man ausgerechnet hier in Frankreich im Umweltsektor etwas erreichen kann, ohne die Bürger am Geldbeutel zu packen. Man ist bereit, einiges darauf zu wetten, dass es Madame Royal auch nicht wirklich um den Inhalt ging, sondern einfach darum, gleich in der ersten Stunden ihrer Amtszeit ein wenig von sich reden zu machen. Ein dummes Spiel, aber sie war nicht die einzige, die es spielte.
Fabius und die Brieftasche
Auch den altgedienten Aussen- und ehemaligen Premierminister Laurent Fabius - noch mal einer, der schon unter Mitterrand gedient hatte - hat irgendein Pferd geritten. Für niemanden verständlich hat er, noch bevor das Kabinett ein erstes Mal zusammengetreten war, einen Streit um die Zuständigkeiten für das Ressort des Aussenhandels vom Zaun gebrochen, das bisher natürlich und logischerweise im Wirtschaftsministerium angesiedelt war.
48 Stunden lang zankte er sich mit Wirtschaftsminister Montebourg - welcher bei den komplizierten Amtsübergaben im Wirtschafts- und Finanzministerium mit der ganzen Innbrunst seiner Arroganz demonstrativ Däumchen gedreht hatte, als der neue Finanzminister, Hollande-Intimus Sapin, eine kurze Rede hielt. Warum war die Frage über die Zuständigkeiten für Frankreichs eher maroden Aussenhandel eigentlich nicht von vorneherein geregelt worden? Und warum sprach Manuel Valls, der neue Mann mit der angeblich so grossen Autorität als Regierungschef nicht in der Stunde nach dem Ausbrechen des kindischen Gezänks ein Machtwort? „Fabius hat das Portefeuille des Aussenhandels an sich gerissen“ - lauteten am Ende die Schlagzeilen. Das klingt, als ob dieser Aussenminister ein Dieb sei, der da einfach eine Brieftasche klaut und im übrigen bis heute niemandem erklärt hat, warum der französische Aussenhandel nun unbedingt bei den Diplomaten im Quai d'Orsay angesiedelt sein soll.
So sind sie, die ersten Schritte einer neuen/alten Regierung, die im Grunde dazu angelegt sein sollte, der zweiten Hälfte der Amtszeit des französischen Präsidenten frischen Wind einzuhauchen. Irgendwie scheint es nicht zu funktionieren.