Dass sich Machtträger unserer globalisierten Welt zum 44. Mal in der Schweiz treffen, ist einmalig und bemerkenswert. Konkrete Resultate, spürbare Ergebnisse, nachhaltige wirtschaftliche Abkommen und Denkansätze vieler Manager hätten dagegen Aufholpotenzial. Es gibt Vorbilder.
„The Reshaping of the World“, lautete das Leitthema des letztjährigen WEF‘s. 2500 Leader aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft aus der ganzen Welt hatten sich im Januar 2014 in Davos-Klosters versammelt, um „die Welt umzugestalten“. Dieses Jahr werden sich noch mehr Repräsentanten im modernsten Kongresszentrum der Alpen einfinden, um „The New Global Context“ zu erörtern. Gemäss den Organisatoren wird es diesmal darum gehen, nach einer 25-jährigen Periode zunehmender wirtschaftlicher Integration und internationaler Zusammenarbeit taugliche Antworten auf Komplexität, Fragilität und Unsicherheiten der aktuellen Globalisierungsphase mit ihren dramatischen Umwälzungen zu erörtern.
Eine Rockballade in h-Moll
Die englische Rockband „Queen“ machte 1977 Furore mit „We will rock you“ und „We are the Champions“. Beide Songs eignen sich bestens zur Beschreibung der illustren Gesellschaft der WEF-Top- und anderen Shots. 1991 dann überraschten die Sänger mit ihrer Rockballade in h-Moll: „The Show Must Go On“. In diesem wunderbaren Song mit tragischem Unterton träumen sie
„Leere Räume – wofür leben wir?
Verlassene Orte – ich denke, wir kennen die Bewertung…
Immer weiter und weiter!
Weiss den irgendjemand, wonach wir alle suchen?
[…]
Ich setze noch einen drauf!
Ich werde alles übertreffen!
Ich muss einfach den Willen haben, weiter zu machen!
Weiter, einfach weiter mit der Show!
Die Show muss weitergehen.“
„Weiss den irgendjemand, wonach wir alle suchen?“
Die Frage, vor 24 Jahren von Brian May (Queen) formuliert und mit der stoischen Einsicht abgeschlossen: „Die Show muss weitergehen“, ist bohrend und ungemütlich zugleich. Die weltweit explodierenden Krisen- und Kriegsherde signalisieren auf dramatische Weise eine völlig andere Entwicklung als jene, die sich die WEF-Geladenen vor einem Jahr unter „Umgestaltung der Welt“ vorgestellt haben mögen. Auch der beherzte Untertitel des letztjährigen WEF: „Konsequenzen für die Gesellschaft, Politik und Wirtschaft“, lässt erahnen, dass die dannzumal evaluierten Incentives wohl eher im wirtschaftlichen, technischen oder digitalen Kontext angesiedelt waren.
Auf der Homepage des WEF ist nachlesen, welches die wichtigsten Themensetzungen, Panels, Gespräche, Ratschläge und Prognosen im Januar 2014 waren. In Bild, Ton und Schrift wird z.B. kundgetan, woran die Welt kranke, wie die neue Welthandelskarte aussehen werde, welche Rolle der Iran in der Welt spielen würde, was Israels wirtschaftliche und politische Ausblick bedeutete, auch wie Mexikos Transformations-Agenda aussehen werde. Über den Gender-driven-growth (Geschlechter-orientiertes-Wachstum, Rolle der Frau) wurde diskutiert und an Podiumsgesprächen der Zentralbanker dieser Welt über die Zukunft debattiert, Australiens Vision für die G20-Konferenz ausgebreitet oder David Camerons EU-Schelte in Erinnerung gerufen.
Heute, ein Jahr später, sind die ambitiösen Ziele des WEF 2015 bekannt. Auch sie können im Internet studiert werden (Global Agenda). Klaus Schwab meinte am 14.1.2015 an der Präsentation dieses Programms: „Wir sind in einem kritischen Jahr.“
„Leere Räume – wofür leben wir?“
Maliziöse Frage, zweifellos. Wer sich diese Frage stellt, soll sich auf die Suche machen. Die Antworten werden individuell unterschiedlich ausfallen.
Die Schwerpunkte dieser Suche formuliert das WEF – stark verkürzt – etwa so: Leaders sind aufgerufen, ihr Bewusstsein und ihre Intelligenz in Bezug auf die aktuelle Weltlage zu fokussieren und zu stärken. Dafür bietet die Jahrestagung des Weltwirtschaftsforums eine unvergleichbare Plattform: Notwendige Einblicke zu erhalten, um Ideen und Partnerschaften im Hinblick auf die neuen Herausforderungen zu entwickeln. Dies alles im Rahmen der „Globalen Agenda“, der „Wirtschaftlichen Agenda“, der „Regionalen Agenda“, der „Industrie- und Geschäfts-Agenda“ und der „Zukunfts-Agenda“.
Ob damit die „leeren Räume“ insofern gemeint sind, als diese tatsächlich dringend entrümpelt und neu möbliert werden müssten? Wird Davos gar zum „ Zauberberg“? Wo das Leben im „Sanatorium“ seine eigene Faszination und Dynamik entwickelt? Das, in freier Anlehnung an Thomas Mann, „eine abgeschlossene Welt darstellt, in deren Abgeschiedenheit es der Konzentration repräsentativer Charakteren - deren Handeln in nuce die sozialen, politischen und geistigen Auseinandersetzungen der damaligen Welt widerspiegelt - ermöglichen wird“ eine bedeutende Rolle bei der Bewältigung akuter Krankheitsschübe im aktuellen Global Village zu spielen?
Die Unterteilung der Diskussionsschwerpunkte in „Agenden“ tönt etwas gar business minded. Zu erledigen sind tatsächlich eine Vielzahl von Aufgaben. Besprechen und abhaken kann man diese wohl auch in Davos nicht. Best practice ist dafür nicht in Sicht. Statt Agenda vielleicht Fokus oder Brennpunkte?
„Davos Man at the Sanatorium“
Vor rund zwei Jahren schrieb ich in meiner Kolumne zum WEF 2013: Der Kult um Global Leaders steht tatsächlich in auffälligem Kontrast zum ernüchternden Stand der globalisierten Welt. Dem ist auch heute wenig beizufügen. Ausser: Der Kontrast ist nicht mehr zu übersehen. Nicht nur zwischen global leaders und global world, vor allem auch in Anbetracht der gelebten Realitäten. Fast scheint es, als bewegten jene sich in einer künstlichen leader world, diese aber repräsentiere die world of realities.
„Lifetime Award“
Während 15 Jahren hat Public Eye jeweils in Davos jenen Preis an Konzerne verliehen, den so gar niemand sich wünschte. Diese kritische Gegenveranstaltung einiger Dutzend NGOs zeichnete den Konzern aus, der sich aus ihrer Sicht besonders verantwortungslos gegenüber Mensch und Umwelt verhalten hatte. Gemäss EvB (Erklärung von Bern) und Greenpeace wird es am 23. Januar 2015 zu einem Abschiedsfeuerwerk kommen. Mit der Verleihung des „Lifetime Award“ wird jenes Unternehmen beglückt, dessen Lebens(un)werk den besonderen Schmähpreis verdient hat. Wer will, kann sich auf www.publiceye.ch am Online Voting beteiligen.
Fokus Zukunft-Agenda
Die Suche nach tauglichen Antworten der Wirtschaft auf die Herausforderungen der Gegenwart ist anspruchsvoll. Nicht alle Kongressteilnehmer beteiligen sich ernsthaft daran. Antworten könnten z.B. umfassen, dass „moderne“ Errungenschaften wie dreimonatige Bilanzkonferenzen – also die Dominanz des kurzfristigen Denkens der Konzernspitze – ersetzt würden durch die gute alte Jahresrechenschaftstagung. Damit erhielte die langfristige Planung (wie die Beachtung einer umweltverträglichen Ausrichtung als ein strategischer Fixpunkt) vermehrt die ihr zustehende Wichtigkeit.
Eine zweite, längst überfällige Einsicht soll in Taten umgesetzt werden. Gerade die grossen Konzerne müssen personelle Ressourcen freisetzen und die Faktoren Politik und Gesellschaft vermehrt in ihr Handeln auf der obersten Managementebene einbeziehen. Gewinnmaximierung und Pflege der eigenen Stakeholders ist das eine (Shareholder Value), soziale Verantwortung gegenüber dem Menschen, der Gesellschaft und den sie vertretenden Organisationen und NGOs das andere (Shared-Value-Konzept). Wo das zu wenig bedacht wird, öffnet sich ein Graben zwischen Wirtschaft und Gesellschaft, der letztlich zu einem Vertrauensverlust und zum Schaden beider führt.
Allein den Profit als Ziel eines Unternehmens zu verfolgen ist ein überholtes Managementdenken. Die gesellschaftliche Akzeptanz – wie und womit ein Unternehmen seinen Profit erwirtschaftet – wird immer entscheidender (www.gemeinwohl.ch - Universität St. Gallen).
Somit ist – als dritter Vorschlag – die Verantwortung der obersten Top-Manager im Kontext der Gestaltung unserer globalen Zukunft nicht delegierbar. Die Erkenntnis, dass, wer diese Verantwortung wahrnimmt, entscheidend zum langfristigen Erfolg seines Unternehmens beiträgt, steckt noch in den Kinderschuhen. Den Kompass richtig gestellt hat Paul Polman, CEO Unilever. Sein „Unilever Sustainable Living Plan“ stellt sich dieser Verantwortung und die Konzernresultate überzeugen.
Global World
„Wir sind da, um die Welt zu verbessern (improving the state of the world)“, sagen die Verantwortlichen des WEF. Das Ziel kommt einer Herkulesaufgabe gleich. Wenn die vielbeachteten Auftritte und abgeschotteten Zwiegespräche hoher Machtträger allein durch ihr Zustandekommen dazu einen konkreten Beitrag leisten können, ist das ein wohlverdienter Applaus wert. Ein solches Networking-Tool könnte da und dort zu spürbarer politischer Entspannung oder wirtschaftlich nachhaltigem Gesamtnutzen beitragen.
Wenn die gleichen Leader dieser Welt sich aber im nächsten Jahr wieder treffen - einige allerding nicht mehr dabei, weil inzwischen in Ungnade geraten oder abgewählt – ohne dass signifikante WEF-Auswirkungen sichtbar geworden wären, hat der grösste Privatclub der Welt einen eher kleinen vorzeigbaren Leistungsausweis. Hohe Eintritts- oder Mitgliedspreise kann sich allenfalls ein schicker Golfclub leisten.