1. Oktober, 09:30 h : Die Sonne brennt erbarmungslos auf den Wüstenboden, das Auto des Schweizer Botschafters ist verspätet. Ein Dorf wartet geduldig in der aufziehenden Hitze. Die Schule in Douiret wird heute eingeweiht, zwei weitere in Médenine und Bir Lahmar sind schon am Vortag fröhlich feierlich übergeben worden. Alle drei Schulen sind bei der Renovation und Erweiterung von der Schweiz finanziell unterstützt worden. Drei weitere Schulen in der Region hat man schon früher übergeben können. Insgesamt sind über 2 Millionen Franken in die Schulinfrastruktur der tunesischen Provinzen an der libyschen Grenze geflossen. 2500 Schüler profitieren von einer besseren Lernumgebung, durch die Bauaufträge an lokale Kleinunternehmen sind für ein paar Monate mehrere Arbeitsmöglichkeiten entstanden.
Douiret ist ein kleines Berber-Dorf, das urspünglich auf einem Tafelberg in der Wüste lag, 20 Kilometer von der Provinzhauptstadt Tataouine im Süden Tunesiens entfernt. Das Dorf wurde nach der Unabhängigkeit Tunesiens vom Berg ins Tal umgesiedelt, eine Schule gebaut. Diese kam in die Jahre und brauchte dringend eine Erneuerung. Die Schweiz hat sich für die Schule eingesetzt, ihr modernere hygienische Verhältnisse beschert und auch eine verbesserte und nachhaltigere Infrastruktur, zum Beispiel eine wasserfassende Dach-Struktur. Das gefasste Wasser füllt eine Zisterne im Schulhof. Ein Osmose-Filter macht das Wasser trinkbar und Trinkwasser ist sehr kostbar in dieser Wüsten-Region. Eine neue kleine Küche ermöglicht es ausserdem, die Kinder in der Pause zu verpflegen. All das wird heute am 1 . Oktober gefeiert, eine Dankeschön ausgesprochen und die südtunesischen Behörden hoffen auf eine weitere Zusammenarbeit mit den Schweizern.
Opfer der Zentralisierung
Noch vor 60 Jahren haben etwa 3000 Personen in Douiret gewohnt. Seither ist das Dorf massiv von der Landflucht getroffen. In den letzten 20 Jahren haben die Regionen im Innern und im Süden des Landes keinerlei Aufmerksamkeit vom Ben Ali Regime erhalten, die Folgen dieser Zentralisierungs -Politik sind heute überdeutlich : Viele Familien sind aus schlichten Überlebensgründen nach Tunis oder sogar ganz ins Ausland ausgewandert. Das Dorf lebt hauptsächlich von den finanziellen Zustüpfen, welche Arbeitsmigranten nach Hause schicken. Nur Pensionierte sind hier vereinzelt noch zurück gezogen. Die Schule hat heute noch 26 (!) Schüler, vor drei Jahren waren es noch über 40. Der Schulleiter zählt sie auf: je 4 Schüler in der 1. – 4. Klasse, je 5 Schüler in der 5. und 6. Klasse. Die Renovation soll helfen die Abwanderung zu stoppen und Orte wie Douiret wieder attraktiver zu machen.
Die Leute wissen, wie es um sie steht
Eine Gruppe Jugendlicher steht auf dem Schulhof, die Jungs sprechen kaum ein Wort französisch. Sie beantworten alle Fragen stereotyp mit “Oui”. Sie haben keine Aussicht auf Jobs in der Region, denn Jobs gibt es hier nicht. Die örtliche Krankenschwester fasst mich am Arm, bittet mich eindringlich etwas für dieses Dorf in Bewegung zu setzen. Es sei einfach deprimierend von verschiedenen Seiten immer wieder vertröstet zu werden, und schliesslich passiere gar nichts. Die Schule sei zwar ein Anfang, aber hier würden vor allem Arbeitsplätze fehlen.
Der Schulleiter zeigt sich hingegen optimistisch, dass die neu renovierte Schule für Familien eine gewisse Anziehungskraft ausüben wird. An der Einweihung sieht man trotzdem vor allem alte Männer, Frauen und Kinder teilnehmen. Männer im arbeitsfähigen Alter sind rar. Familien kommen bisher nur in den Sommermonaten hierher aber nicht um zu bleiben.
Die Schule ist ein Anfang
Auch für die Projektleiterin Irene Kraenzlin vom örtlichen Büro der DEZA (Direktion für Zusammenarbeit und Entwicklung) in Médenine sind die wichtigsten Massnahmen für diese Region nicht die Unterstützung der Schulen, sondern dass es hier längerfristig lokale Arbeitsmöglichkeiten für die nächsten Generationen gibt. Die Erneuerung von insgesamt sechs Schulen in der Region Tataouine und Médenine seien eine Art Überbleibsel einer primär humanitär ausgerichteten Unterstützung kurz nach dem Libyen-Krieg gewesen, sagt die DEZA-Projektkoordinatorin Danielle Meuwly. Damals im Jahr 2011 ging man davon aus, dass die zehntausenden von Flüchtlinge, die aus Libyen wegen des Krieges nach Tunesien strömten länger bleiben würden und dass man zusätzliche Infrastruktur, also auch Schulräume für sie brauchen würde. Ausserdem kamen auch Tunesier zurück, die in Libyen ihre Stellen verloren hatten. Zwei Jahre später hat sich die Extrem-Lage von damals normalisiert, Flüchtlingslager gibt es heute keine mehr.
Heute ist die DEZA froh, das Schul-Projekt endgültig abschliessen zu können und sich neuen nachhaltigen Aufgaben im Süden zuwenden zu können. Für sie war das Schulprojekt eine Art Zwitter geblieben, kein eigentliches Entwicklungsprojekt, sondern noch dem humanitären Einsatz in der Krisensituation im Libyenkrieg geschuldet. Ein nächstes Projekt, welches sich für einen alternativen Tourismus in der Region einsetzen will, wird das Staatssekretariat für Wirtschaft SECO nächstes Jahr im Südosten Tunesiens lancieren. Die Planungsarbeiten dafür laufen schon an. Die örtlichen Gouvernöre werden anlässlich der Schuleinweihungen informiert. Irene Kraenzlin wird dieses Projekt vom Büro Médenine aus begleiten.
Kurz zusammengefasst sollen für Individual-Reisende mit kulturellen Ansprüchen rund um das berberische Kulturerbe spannende Orte und Produkte erschlossen werden. Das Ziel wäre ein besseres und breiteres touristisches Angebot in der Region im Süden von Tunesien, das langfristig auch lokale Jobs schaffen könnte. Douiret könnte ein solcher Ort werden, das ursprüngliche Dorf ist teilweise in den Fels hinein gebaut, sogar eine Felsmoschee kann man hier besichtigen, eine kleine Herberge hat sich bereits installiert.
Tunesien konzentriert sich im Moment noch fast ausschliesslich auf den Massentourismus an den bekannten Badeorten an der Küste. Horden von Kreuzfahrt-Touristen fallen zum Beispiel fast täglich über Sidi Bou Saïd und die Souks von Tunis her und ziehen nach zwei drei Stunden schon wieder weiter. Individualtouristen vor allem im Süden und den Wüstenregionen im Innern des Landes müssen sich das Angebot relativ mühsam zusammen suchen. Übers Internet findet man fast nichts. Oft fehlt es auch an qualifizierten Guides für anspruchsvollere Touristen.
Neues Dorfzentrum
Eine Schule renovieren für 26 Schüler und zwei Lehrer, ist das nicht ein vollkommen unproportionaler Aufwand? Wenn man genauer hinschaut, sieht man schnell: Die Schule ist für das Dorf Douiret mehr als ein Ort des Lernens, es ist ein Ort der Zusammenkunft. Dafür hat die tunesische Architektin Regaya Kioua gesorgt. Sie hat im grosszügigen Schulinnenhof mit Treppenabstufungen öffentliche Plätze geschaffen, darunter einen Sportplatz. Die Plätze können auch für andere Aktivitäten im Dorf genutzt werden. Mit den lokalen Vereinen steht die Schule bereits heute in Verbindung. Sie werden sich für den Unterhalt der Schule einsetzen, aber auch für Aktivitäten rund um den Erhalt der Natur und des Kulturerbes von Douiret. Das Dorf erhält also mit dieser Schule eine Art neues Zentrum. Jetzt ist es an den Einwohnern, das auch zu nutzen. Wird Douiret auch als Ziel für einen ökologischen und nachhaltigen Tourismus aufgebaut, könnte die Schülerzahl in ein paar Jahren tatsächlich wieder wachsen. Bis dahin wird es aber noch ein paar sehr trockene Sommer in Douiret geben.