Auch in Portugal stellt sich gerade die Frage, was die Ergebnisse von Wahlumfragen, bezüglich der Treffsicherheit, eigentlich von Orakeln und Horoskopen unterscheidet. Im Vorfeld der landesweiten Lokalwahl am letzten Sonntag haben sich die Demoskopen jedenfalls geradezu eklatant geirrt. In der Hauptstadt, Lissabon, hatten sie dem seit 2015 amtierenden sozialistischen Bürgermeister, Fernando Medina (48), einhellig einen meist souveränen Sieg vorhergesagt. Stattdessen trug der Herausforderer vom bürgerlichen Partido Social Democrata, der 51-jährige ehemalige EU-Kommissar Carlos Moedas, einen knappen Sieg davon.
Der Bürgermeisterposten als Sprungbrett
Lissabon ist nicht irgendeine Stadt. Ihr Rathaus diente ehrgeizigen Politikern schon öfter als Sprungbrett in höhere Ämter. Als Bürgermeister dienten unter anderem der kürzlich verstorbene Staatspräsident der Jahre 1996 bis 2006, Jorge Sampaio, und der jetzige Ministerpräsident, António Costa, der von 2007 bis 2015 im Rathaus gewaltet hatte. In jüngerer Zeit wurde der nun abgewählte Bürgermeister Medina als möglicher Nachfolger von Ministerpräsident Costa an der Spitze des Partido Socialista (PS) und damit vielleicht künftiger Ministerpräsident gehandelt.
Auf landesweiter Ebene hatten die Umfragen den Sozialisten bis zuletzt eine viel höhere Popularität als allen anderen Parteien bescheinigt. Sie gingen aus diesen Lokalwahlen als stärkste Kraft hervor, verloren aber nicht nur Lissabon, sondern unter anderem auch die Universitätsstadt Coimbra und Funchal, Hauptstadt der Inselregion Madeira. Unterm Strich werden Sozialisten nur noch in 147 der insgesamt 308 Munizipien das höchste Amt bekleiden, gegenüber bisher 161 – eine Zahl, die sie sehr hohen Gewinnen bei der Wahl von 2017 verdankten. Verglichen mit diesem Resultat hat der jetzige Sieg einen säuerlichen Beigeschmack.
Ein Hoffnungsschimmer für die bürgerliche Opposition
Eine Verschnaufpause gewann derweil Rui Rio, der Präsident des bürgerlichen PSD, der die Zahl „seiner“ Munizipien von 98 auf 109 erhöhte. Rio hatte in seiner Partei zuletzt einen oft sehr schweren Stand gehabt, weil er den nach Siegen und Ämtern lechzenden Kritikern zu lasch war. Er kann jetzt womöglich mit etwas mehr Zuversicht der im Jahr 2023 fälligen Parlamentswahl entgegensehen.
Die kommunistisch-grüne Allianz CDU wird nur noch in 19 anstatt wie bisher in 24 Rathäusern den Ton angeben. Ihre Verluste kamen zum Grossteil den Sozialisten zugute. In 18 Munizipien erhielten unabhängige Listen die meisten Stimmen, so auch in Porto. In 5 Rathäusern waltet künftig der konservative Partido Popular (CDS-PP).
Was ist für die Sozialisten schief gelaufen? Portugal hat die Pandemie nicht ohne Blessuren überstanden, glänzte zuletzt aber mit einem sehr hohen Anteil der gegen Covid-19 geimpften Bevölkerung. Erst wenige Tage vor der Wahl hatte die Regierung beschlossen, die Corona-bedingten Auflagen stark zu lockern, so dass am 1. Oktober etwa wieder die Bars und Discos öffnen dürfen. Und immer wieder verwies Costa auf die bevorstehenden Effekte der „bazuca“, übersetzt „Panzerfaust“. Gemeint ist das Geld aus dem EU-Hilfsfonds, das die Wirtschaft in Schwung bringen soll. Costas Regierung offenbart aber einigen Verschleiss.
Über Velo-Spuren gestolpert?
Speziell in Lissabon und Umgebung hat sich derweil der Mangel an bezahlbarem Wohnraum dramatisch zugespitzt. Zu lange ergötzten sich der Bürgermeister und sein Tross am Ansturm von Touristen in den Jahren vor der Pandemie. Plötzlich fehlten die Touristen, die Quadratmeterpreise und Mieten aber bleiben hoch. Programme zur Linderung der Wohnungsnot sind nicht viel mehr als Tropfen auf heisse Steine.
Für heftigen Verdruss sorgte in den letzten Jahren zudem die Anlage von Radwegen. Hierfür wurden Fahrspuren auf wichtigen Verkehrsachsen wie auch Parkplätze am Strassenrand in grün bemalte Wege für Velo-Fahrer umgewandelt. In Deutschland mag der Kampf gegen den Klimawandel vor der Bundestagswahl ein wichtiges Thema gewesen sein. In Portugal, wo das Auto noch ein Kultobjekt und Statussymbol ist, lässt sich mit „grüner“ Politik anscheinend noch keine Wahl gewinnen.
Hat Ministerpräsident Costa schon höhere Ambitionen?
Kommentatoren warfen prompt die Frage auf, ob Ministerpräsident Costa wohl bis zur nächsten Parlamentswahl im Amt bleiben wird, aber diese Frage ist nicht wirklich neu. Als die Sozialisten kürzlich ihren Parteitag abhielten, richteten die Medien ihre Aufmerksamkeit vor allem auf die Auswahl an möglichen Nachfolgerinnen und Nachfolgern. Costa, 60 Jahre alt, ist für den Ruhestand noch zu jung. Ihm sagt man schon nach, dass er sich für einen Posten in der EU interessieren könnte.