Die Kommunikationsstrategie des französischen Präsidenten für die vergangene Woche schien wieder einmal perfekt ausgeklügelt.
Während Ehefrau Carla am Sommersitz des Staatspräsidenten, im Fort de Bregançon an der Côte d'Azur, vor den Objektiven der Paparazzi ihren sich rundenden Babybauch spazieren führte, kümmerte sich ihr Gatte um das Kriegshandwerk und die Moral der Truppen.
Es begann am 12. Juli mit einer bis zum letzten Moment geheim gehaltenen Stippvisite in Afghanistan - zwei Mal acht Stunden Flug Paris - Kabul und zurück, drei Stunden vor Ort. Dort sah man den Präsidenten und sein wehendes Haar im Hubschrauber mit geöffneter Seitentür, aus der ein Soldat ein schweres Maschinengewehr nach draussen richtete. Am Boden dann eine kleine Truppenparade in einem befriedeten Bergtal, das Absingen der Marseillaise und eine kurze, martialische Ansprache des Staatsoberhauptes.
"Man muss auch verstehen, einen Krieg zu beenden
Mit einer verbalen Anleihe bei Maurice Thorez, dem schlimmsten Stalinisten unter Frankreichs ehemaligen Kommunisten, der 1945 den französischen Arbeitern nach einer Streikwelle zugerufen hatte: „Man muss es auch verstehen, einen Streik zu beenden“, sagte Präsident Sarkozy vor Frankreichs Einheiten in Afghanistan dasselbe, nur dass er das Wort Streik durch Krieg ersetzte.
1000 der 4‘000 französischen Soldaten sollen schon im nächsten Jahr abgezogen werden, 2014 dann der letzte. Sarkozys Vokabular war bei dieser Ansprache amerikanisch eingefärbt: man müsse den Job zu Ende machen, sonst wären die zehn vergangenen Jahre sinnlos, liess er verlauten.
In drei Jahren wären die afghanische Polizei und das Militär in der Lage, selbst für die Sicherheit im Land zu sorgen. Schön wäre es, sagt man sich, denn angesichts der Situation in Afghanistan glaubt daran fast niemand - und keine 24 Stunden nach Sarkozys Äusserungen in Afghanistan bekam Frankreich dort schmerzlich zu spüren, dass man von einer Stabilisierung der Lage in der Tat noch weit entfernt ist.
Die libysche Falle
Zunächst aber diskutierte am Tag, als der Präsident im fernen Afghanistan weilte, das französische Parlament über die Verlängerung des Militäreinsatzes in Libyen. Ein Proforma-Angelegenheit, die erst seit einer Verfassungsänderung 2008 überhaupt notwendig ist. Dauert der Einsatz französischer Truppen im Ausland länger als vier Monate, muss das Parlament zustimmen, in den Wochen davor wird es im besten Fall informiert.
In der 5. französischen Republik kann der Präsident de facto alleine entscheiden, wann er wo französische Soldaten in den Krieg schickt. Mehr als 90% der Abgeordneten stimmten einer Verlängerung der Luftangriffe auf Libyen zu. Wenn Frankreichs Armee im Einsatz ist, das ist alte Tradition, hat es zu Hause keine Polemik zu geben, dann herrscht eine Art nationale Einheit. So sucht man in Frankreich z.B. auch, ganz anders als im Nachbarland Deutschland, vergeblich nach einer Bewegung , die das „ Raus aus Afghanistan“ auf ihre Fahnen geschrieben hätte.
Am Rande der Libyendebatte im Parlament wurde allerdings eine für den Präsidenten und den Grossmacht-Anspruch Frankreichs eher peinliche Tatsache für jeden offensichtlich: Frankreich hat angesicht sinkender Verteidigungsbudgets und generell leerer Kassen im Grunde schlicht und einfach nicht mehr die Mittel für derartige Militäreinsätze. Der Einsatz in Libyen, so hatte Präsident Sarkozy am 19. März, als die ersten französischen Kampfflugzeuge das Mittelmeer überquerten, glauben machen wollen, werde nur von sehr kurzer Dauer sein.
Keine Exit-Strategie
Jetzt sind bereits vier Monate vergangen, die Situation im Wüstenstaat scheint blockiert und dem Präsidenten läuft die Zeit davon. Jeder Tag in Libyen kostet Frankreich über eine Million Euro, das Personal, das Kriegsgerät und selbst die Munition werden knapp und der Flugzeugträger "Charles De Gaulle" müsste eigentlich schon seit Monaten zur Revision in seinem Heimathafen Toulon zurück sein.
Frankreich und Grossbritannien, so hatte Präsident Sarkozy im März noch getönt, könnten die Militäraktion zum Schutz der libyschen Zivilbevölkerung alleine durchstehen und der Oberbefehl dürfe - um arabische Staaten nicht zu brüskieren - keinesfalls bei der NATO liegen. Nichts von beidem ist eingetreten, im Gegenteil.
Frankreich könnte heute, wegen mangelnder logistischer Fähigkeiten und wegen fehlender Tankflugzeuge nicht einmal seine Luftangriffe auf die Positionen Ghadhafis ohne Hilfe der USA fliegen. Mit zunehmender Dauer der Militäraktion wird deutlich, dass in Paris und innerhalb der internationalen Koalition eine Strategie, wie man aus dem Krieg mit Libyen wieder herauskommen könnte, schlicht nicht existiert, nie existiert hatte.
Angesichts dessen macht sich im französischen Regierungslager langsam Nervosität bemerkbar. Verteidigungsminister Longuet liess jüngst anklingen, man könnte sich auch mit weniger als mit dem Abtritt Ghadhafis von der Macht zufrieden geben. Wenn das Regime in Tripolis und die Aufständischen des Nationalen Übergangsrates sich bereitfänden, miteinander zu verhandeln, könne man die Bombardements einstellen. Er wurde darauf hin von seinem Kollegen im Aussenministerium, Alain Juppé, sofort zurückgepfiffen mit den Worten, die Frage sei nicht mehr, ob Ghadhafi abtritt, sondern wann und wie.
13. Juli - die Realität in Afghanistan
Am Tag nach Sarkozys Rückkehr aus Afghanistan, machte ihm dann die Realität einen Strich durch die Rechnung und durch die ausgeklügelte Kommunikationsstrategie. Zunächst war bereits in Afghanistan, just als Nicolas Sarkozy dort Präsident Karsai traf , dessen Bruder ermordet worden.
Und kaum war der französische Präsident von seinem Kurztripp im für 170 Millionen Euros neu hergerichteten Präsidentenflugzeug A 330 - auch „Sarko One" genannt - aus Afghanistan zurück, kamen dort im Kapisa-Tal fünf französische Soldaten durch einen Selbstmordattentäter ums Leben, vier weitere wurden verletzt . Am Tag nach Präsident Sarkozys Visite und vor dem französischen Nationalfeiertag konnte dies kein Zufall sein. 70 französische Soldaten, ein Viertel davon allein im Lauf des letzten Jahres, haben in Afghanistan mittlerweile ihr Leben gelassen, seit Frankreich 2001 Truppen vor Ort entsandt hat.
Jetzt, nach dem jüngsten Selbstmordattentat, waren erstmals überhaupt aus dem Oppositionslager auch kritische Stimmen zu vernehmen, die verlangten , die Soldaten frühzeitig zurück zu holen. Der eine oder andere wagte es gar zu sagen, die 70 französischen Soldaten seien im Grunde für nichts gestorben. Die Regierung nannte derartige Bemerkungen skandalös, reagierte empört und versuchte mit aller Macht die jetzt nach zehn Jahren ganz vorsichtig aufkommende Kritik am Afghanistaneinsatz niederzuwalzen.
"Niemand hat das Recht zu sagen, Frankreichs Soldaten seien für nichts gestorben. Sie sind gestorben „im Kampf für Freiheit und Demokratie" grollte Premierminister Fillon mit Pathos in der Stimme.
Nationalfeiertag - wie immer martialisch
Präsident Sarkozy beging den Tag darauf, den Nationalfeiertag am 14. Juli, zunächst mit einer frühmorgendlichen Visite im Militärkrankenhaus von Percy, westlich von Paris, wo einst Yasser Arafat gestorben ist. Zur Zeit werden dort dutzende, schwer verletzte französische Soldaten, zurück von Auslandseinsätzen gepflegt. Direkt anschliessend nahm der Präsident die traditionelle Truppenparade auf den Champs Elysées ab, in deren Zentrum dieses Jahr eben die Einheiten standen, die im Ausland zum Einsatz kommen - darunter Fallschirmjäger und Fremdenlegion. Eine alljährliche Machtdemonstration, die mit dem Lauf der Zeit einen etwas anachronistischen Charakter bekommt, zumal die Macht Frankreichs im Konzert der Nationen schon lange nicht mehr die ist, die sie noch vor 50 Jahren war.
Ähnliches muss der frisch gekürten Präsidentschaftskandidatin der französischen Grünen, der 67jährigen Eva Joly durch den Kopf gegangen sein, als sie an diesem Tag vor ein paar Mikrophonen sagte: „Anstatt der Militärparade könnte man sich am Nationalfeiertag doch einen fröhlichen Umzug der französischen Bürger vorstellen, jung und alt, arm und reich, schwarz und weiss, Frankreich in seiner ganzen Vielfalt.
„Ja“, sagte die in Norwegen geborene, seit 50 Jahren in Frankreich lebende, eingebürgerte ehemalige Untersuchungsrichterin mit doppelter Staatsangehörigkeit , „ich bin für die Abschaffung der Militärparade am Nationalfeiertag.“ Und sie wagte es, den Franzosen in Erinnerung zu rufen, dass es derartige militärische Aufmärsche am Nationalfeiertag sonst nur noch in Russland, in China und in Nordkorea gibt.
Tonnenweise Jauche
Was hatte die ehemals hoch gelobte Untersuchungsrichterin und Spezialistin Sachen Finanzkriminalität und Korruption da nicht zu sagen gewagt! Tonnenweise Jauche wurde von Frankreichs Konservativen über sie ausgeschüttet, gerade dass man sie nicht auch noch mit Pech und Schwefel begossen hat. Zugegeben: in Vorwahlkampfzeiten um die französische Präsidentschaft war der Vorschlag der grünen Spitzenkandidatin taktisch wahrscheinlich nicht besonders klug, zumal kein namhafter französischer Sozialist bereit wäre, sich dieser Position anzuschliessen.
Doch die geradezu hysterischen Reaktionen aus dem konservativen Regierungslager auf die Anregung der grünen Präsidentschaftskandidatin lassen einen dann doch ungläubig staunen. Ein südfranzösischer Abgeordneter empfahl ihr, doch wieder nach Norwegen zurück zu kehren. Präsidentenberater Guaino sagte, ihr Vorschlag sei eine Beschimpfung all derer, die seit Jahrhunderten für dieses Land, für seine Werte und Freiheiten gestorben seien.
Den Vogel aber schoss schliesslich Premierminister Fillon ab: entgegen aller Gewohnheiten meldete er sich aus dem Ausland, aus der Elfenbeinküste, in einer innenpolitischen Angelegenheit zu Wort und sagte mit dem Brustton der Verachtung: „Diese Dame verfügt offensichtlich über keine sonderlich langfristige Kultur der französischen Traditionen, der französischen Werte und der französischen Geschichte.“ Mit anderen Worten: sie ist keine gute, keine richtige Französin!
Diese Aussage ist, gerade mit Blick auf die französische Geschichte und die Traditionen im Land, ein Skandal. Premier Fillons Frau z.B. kommt aus Wales, Präsident Sarkozys Ehefrau bekanntlich aus Italien, die Ursprünge des Präsidenten selbst liegen in Ungarn und Thessaloniki, Millionen Franzosen sind ausländischer Abstammung und haben eine doppelte Staatsangehörigkeit, darunter ein beachtlicher Teil der jüdischen Gemeinde Frankreichs - sind auch sie deswegen allesamt schlechte Franzosen? Dürfen sie sich deswegen zu politisch-gesellschaftlichen Themen nicht äussern ?
24 Stunden lang stand Eva Joly ziemlich alleine da, bevor ihr andere Grüne und auch Sozialisten in der mittlerweile seit 72 Stunden andauernden Polemik zu Hilfe kamen. Daniel Cohn Bendit wetterte, die französische Republik könne man doch schliesslich nicht nur auf die Armee reduzieren, andere erinnerten daran, dass bei der Militärparade vor zwei Jahren auf der Ehrentribüne so empfehlenswerte Herrschaften wie Syriens Präsident Bachir al Assad oder Gabuns Präsident Bongo Platz genommen hatten und dieser Nationalfeiertag immer auch als Vitrine für den französischen Waffenexport genutzt wird. Die mögliche sozialistische Präsidentschaftskandidatin, Martine Aubry, meinte schliesslich unumwunden, wäre sie heute Präsidentin, hätte sie François Fillon nach derartigen Äusserungen zum Rücktritt aufgefordert.
Mögliche Fotos von Strauss-Kahn im Swinger-Club
Wie auch immer: das Niveau der politischen Diskussion in diesem Land ist – wie das Beispiel zeigt - auf den Hund gekommen, derartige Scharmützel beherrschen die Szene, über die eigentlich wichtigen Themen spricht fast niemand, der bevorstehende Präsidentschaftswahlkampf wird kaum mehr als eine unappetitliche Schlammschlacht werden - dafür kann man jetzt schon getrost die Hand ins Feuer legen.
Insofern hatten Frankreichs Sozialisten sogar Glück, dass der ehemalige IWF-Chef, Dominique Strauss-Kahn, am 14. Mai im New Yorker Sofitel-Hotel ein „ernstes Problem“ hatte und er nun definitiv aus dem Rennen um die Präsidentschaftskandidatur ist - was auch immer der New Yorker Staatsanwalt in den nächsten Tagen und Wochen entscheiden wird. Denn selbst die Sympathisanten der sozialistischen Partei in Frankreich wollen mehrheitlich DSK als Kandidaten nicht mehr haben. Ohne die New Yorker Affäre nämlich, man darf sicher sein, wären irgendwann Fotos oder Videoaufnahmen von Strauss-Kahn in einem Pariser Swinger Club erschienen, und wahrscheinlich möglichst kurz vor dem Wahltermin ...