... sondern die Variante, die Nicolas Sarkozy vor einem Jahr bereits schon einmal ausprobiert hatte: der Präsident im «Dialog» mit «echten Franzosen» und, als Vermittler, Jean Pierre Pernault. Er ist derjenige, der seit über 20 Jahren die 13-Uhr-Nachrichten des Privatsenders TF1 moderiert – ein Freund des so genannten «tiefen Frankreichs», der dem Volk aus der Seele spricht, stets bereit, dem Populismus zu frönen.
Zweieinhalb Stunden Dialog im Fernsehen
Er ist nur im allerweitesten Sinn als Journalist zu bezeichnen und mit Sicherheit keiner, der irgendjemandem und schon gar nicht dem Präsidenten weh tun und störende Fragen stellen könnte. Neun «echte Franzosen» hatte man also ausgewählt und in ein reichlich altmodisches, angestaubtes Studio gesetzt, damit sie dem Präsidenten ihre Sorgen anvertrauen und der Präsident sich mitfühlend, betroffen und hilfsbereit zeigen kann. Volksnah und verständnissvoll sollte er über den Bildschirm kommen.
Dies Posse hat zweieinhalb Stunden gedauert hat und so entsetzlich künstlich gewirkt, dass man kaum ein Wort glauben konnte, das da gesprochen wurde . Fast alles wirkte manipuliert - und, was schon nach kürzester Zeit ins Auge stach: der Präsident hatte diesen neun «echten Franzosen» im Grunde nichts zu sagen, schon gar nichts Neues. Er verbreitete das übliche zu den Themen innere Sicherheit und Immigration, bis hin zum Nachbeten der Formel von Angela Merkel und David Cameron, wonach die multikulturelle Gesellschaft gescheitert sei.
Und niemand war da, ihm zu sagen, dass dies in Frankreich ein Widersinn ist: nach dem immer wieder hergebeteten Prinzip der französischen Republik ist diese Republik eins und unteilbar und jeder in ihr gleich, sofern er auf französischem Boden geboren oder eingebürgert wurde. Niemand, der in den letzten 30 Jahren hierzulande politische Verantwortung trug, hat sich offensiv für ein multikulturelles Frankreich eingesetzt. De facto aber existiert es natürlich, man darf es nur nicht laut sagen.
Zwielichtige Orient-Ausflüge
Der Präsident hat es auch nicht unterlassen, das Register zu ziehen , in dem er sich über die in Frankreichs Strassen betenden Muslime empört – trotzdem sagten am Ende der Veranstaltung 65 Prozent der Franzosen, der Präsident habe sie nicht überzeugt.
Man muss Nicolas Sarkozy allerdings zu Gute halten: Er hatte es von vorneherein schwer. Hatten ihm doch seine Aussenministerin und sein Premierminister den Versuch, bei den Franzosen wieder etwas mehr zu punkten, schon im Voraus sabotiert. Denn wenige Tage vor dem präsidialen Fernsehauftritts mit «echten Franzosen» war nach und nach bekannt geworden , dass die Aussenministerin, als Tunesien zwischen Weihnachten und Neujahr schon seit 10 Tagen im Aufstand war, in altgewohnter Weise in eben diesem Land nicht nur ein paar Tage Urlaub verbracht hatte, sondern sich von einem persönlichen Freund, der zufällig unter Ben Ali zu einem der reichsten Geschäftsmänner des Landes aufgestiegen war, zwei Inlandsflüge in dessen Privatjet hatte offrieren lassen.
Und natürlich hat die Aussenministerin, in Begleitung ihrer 92- und 94-jährigen Eltern, auch im Luxushotel des befreundeten Geschäftsmannes gewohnt . Die Rechnung für den 6-tägigen Aufenthalt, so behauptet sie, habe sie bezahlt , will oder kann sie aber nicht vorlegen. Selbst in Frankreich, das in diesen Angelegenheiten äusserst dickhäutig ist, wäre all dies eigentlich Grund genug gewesen, sich von einer Aussenministerin zu trennen.
Dass dies nicht geschah, lag – wie die Öffentlichkeit erst eine Woche später erfuhr – an Frankreichs Regierungschef, Francois Fillon. Auch der hatte zwischen Weihnachten und Neujahr Urlaub am südlichen Rand des Mittelmeers gemacht und sich von Präsident Mubarak in ein Luxusquartier einladen lassen, sowie, mit Familie, einen Innlandsflug in einer Maschine der ägyptischen Regierung akzeptiert und einen Bootsauflug auf dem Nil.
Der Regierungschef und die Aussenministerin hatten tagelang das Bild von Politikern geboten, die – um es schlicht zu sagen – von der Realität so weit entfernt sind, dass sie einfach nicht mehr wissen, was sich gehört und was nicht. Derart angeschlagen musste sich der Präsident vor den Franzosen im Fernsehen präsentieren, wo ihm an diesem Abend wirklich nichts erspart blieb. Denn während er sich bemühte und zweienhalb Stunden lang die Flimmerkiste besetzt hielt, nahm just in diesen Stunden die grosse Geschichte, ja vielleicht ein Stück Weltgeschichte, ganz woanders ihren Lauf.
Fillons Mission bei den Saudis
Hosni Mubarak versuchte ein letztes Mal, an der Macht festzuhalten und Ägypten war aus dem Häuschen. Ausgerechnet in diesen Minuten tat Frankreichs Präsident vor über acht Millionen Fernsehzuschauer so, als würde er sich um die Sorgen seiner Mitbürger kümmern.
Und gleich am nächsten Tag, wurde Frankreichs Diplomatie schon wieder auf dem falschen Fuss erwischt. Pemierminister Fillon, von seinen Sorgen um seinen weihnachtlichen Ägyptenurlaub noch nicht wirklich genesen, kommentierte die Ereignisse am Nil mit den Worten, er verneige sich vor der mutigen Entscheidung Mubaraks, die Macht abhzugeben, wobei man die Rolle nicht vergessen dürfe, die er für die Sache des Friedens in der Region gespielt habe.
Premier Fillon sprach diese Worte auf dem französischen Flugzeugträger Charles de Gaulle vor den Küsten Saudi Arabiens, bevor er die Machthaber in Riyad traf und zum wiederholten Male versuchte, dem Ölstaat ein paar Dutzend Rafale – Kampfflugzeuge zu verkaufen, die ausser der französischen Armee offensichtlich niemand auf der Welt haben will. Muss der französische Regierungschef am Tag nach dem Umbruch in Ägypten sich wirklich ausgerechnet dort aufhalten, wohin Tunesiens Diktator Ben Ali knapp vier Wochen vorher geflohen war ?
Terroire und Territoire – Boden und Gebiete
Kaum war der Regierungschef wieder zu Hause, durfte er einem eher unappettitlichen Spektakel beiwohnen, das eine handvoll Politiker seiner konservativen Regierungspartei UMP aufführten. Mit mehr oder weniger denselben Worten – und das heisst, die Aktion war vom Elyseepalast und von Präsident Sarkozy ferngesteuert – hatten sie sich in zahlreichen Interviews ein ganzes Wochenende lang Dominique Strauss-Kahn, den Chef des Weltwährungsfonds und möglichen sozialistischen Kandidaten für die kommenden Präsidentschaftswahlen zur Brust genommen. Den Vogel schoss dabei der neue Fraktionschef der konservativen UMP Partei, Christian Jacob ab, mit den Worten, Strauss-Kahn könne als Kandidat nicht das ländliche Frankreich, das Frankreich der Territorien verkörpern, nicht den französischen Boden und das tiefe Land, das Frankreich, das man gemeinhin liebe.
Das klang, gewollt oder nicht, nach Charles Maurras und den dreissiger Jahren, im Vorfeld der Vichy-Regierung: Der, der im Ausland ist und die Scholle des Landes nicht kennt und gleichzeitig noch Jude ist, das kann kein guter Franzose und schon gar kein verlässlicher Präsidentschaftskandidat sein.
Carla und das «süsse Frankreich»
Angesichts dessen fragt man sich, ob es ein Zufall war, dass just 24 Stunden später, reichlich ominös, eine nicht ganz gewöhnliche Tonprobe erst durchs Internet geisterte und dann über die Radioanstalten ausgestrahlt wurde. Keine geringere als die Präsidentengattin, Carla Bruni Sarkozy, die unter grosser Geheimhaltung zur Zeit ihre vierte CD aufnimmt, flüsterte da ihre Version eines Chanson des grossen Charles Trenet über den Äther. «Douce France» – auf italienisch: «Dolce Francia» – ein Loblied auf das liebliche, ewige, tiefe Frankreich, auf ein Frankreich, wie es mit Sicherheit seit drei Jahrzehnten nicht mehr existiert, «das Frankreich, das man liebt» – so heisst es im Chanson und so hat es der UMP Fraktionsvorsitzende Jacob gesagt.
Merkwürdig – sagt man sich da. Es stinkt gewaltig nach Kommunikationsstrategie aus dem Elyseepalast, auch wenn Carla Brunis Produzent behauptet, die Probeaufnahme sei gestohlen worden. Wie auch immer, die Präsidentengattin sollte vielleicht, wie dies die unbezahlbare satirische Wochenzeitung «Le Canard Enchaîné» vorgeschlagen hat, auf ihrer vierten CD noch ein weiteres Chanson hinzufügen. Bemüht um den italienisch-französischen Kulturdialog und um das Gleichgewicht zwischen beiden Kulturnationen, könnte sie, diesmal umgekehrt, die französische Version eines italienischen Schlagers nachreichen, und dem Ganzen einen neuen Titel geben, der da wäre: «O Sarko mio».