"Sarko s'est tuer" ist der Titel eines letzte Woche erschienen Buchs zweier Investigationsjournalisten der Tageszeitung Le Monde, die eine ausführliche Bilanz von Nicolas Sarkozys Justizaffären ziehen und zugleich ein Sittenbild des ehemaligen Präsidenten und seiner allernächsten Umgebung zeichnen.
Um es gleich vorweg zu sagen, wie die beiden Autoren des Buchs, Gérard Davet und Fabrice LHomme, es auch tun: In keiner normal gestrickten westlichen Demokratie würde ein abgewählter Politiker auch nur eine Sekunde lang daran denken, noch einmal einen Anlauf zu machen und in die politische Arena zurückkehren zu wollen, wenn er - wie Nicolas Sarkozy - in fast ein Dutzend Finanz- und Korruptionsaffären verwickelt wäre und ihm gleich eine ganze Meute von Untersuchungsrichtern am Hinterteil kleben würde.
Doch Frankreich, wo abgehalfterte Politiker allzu oft nie ganz aus der Politik verschwinden, es immer noch mal wissen wollen und überzeugt sind, sie würden einfach gebraucht, ist wirklich anders gestrickt.
Permanenter Wahlkampf
Also macht es auch Sarko noch einmal und es erstaunt kaum jemanden - auch wenn er den Franzosen zwei Jahre lang anderes vorgegaukelt hatte, von wegen es gäbe auch noch was anderes im Leben als die Politik. Geglaubt haben das von vorneherein die wenigsten, zu sehr ist der Mann von der Politik gedopt.
Carla Bruni, eine kleine Tochter, garantierter Luxus bis ans Lebensende und irgendwelche Konferenzen, bei denen die Veranstalter für einen wie ihn doch tatsächlich 100‘000 Euro auf den Tisch legen, damit er ein vorgefertigtes Manuskript abliest - auf Französisch, nachdem er zur Begrüssung ein paar Worte Englisch gestammelt hat.
Irgendwie muss ihm dabei selbst unwohl geworden sein, also macht er jetzt wieder das, was er von klein auf kennt, seit er 27 war und in einem putschartigen Handstreich das Bürgermeisteramt der reichen Pariser Vorstadt Neuilly sur Seine eroberte: Wahlkampf, permaneneten Wahlkampf.
Der Retter
Zugegeben, es ist erniederigend: Damit Nicolas Sarkozy wieder ins Geschäft kommt, muss er jetzt doch tatsächlich erstmal wieder Parteivorsitzender werden - von dieser UMP-Partei, der er schon einmal vorgestanden ist und deren Namen er jetzt mit keinem einzigen Wort mehr in den Mund nimmt - derartig herabgewirtschaftet, zerrissen und in Affären verstrickt ist dieser Laden. Sarkozy will einen neuen aufmachen, der irgendwie anders sein soll, liess er verlauten, wie genau, weiss niemand. Am 29. November wird es so weit sein. Trotz allem was Nicolas Sarkozy an Affären mit sich herum schleppt, werden mindestens 70 Prozent der Parteimitglieder für ihn stimmen - und dies wäre für den Ex-Präsidenten schon ein schlechtes Ergebniss.
Dabei wollte der Mann - Finanz- und Korruptionsaffären hin oder her - sich mit derartigen Niedrigkeiten eigentlich nicht herumschlagen, bei der nächsten Präsidentschaftswahl 2017 als der Retter, Heilsbringer, als der Gerufene zurückkehren, einschweben, wie einst De Gaulle 1958. Doch Sarkozy hat sich dabei schlicht übernommen und übersehen, dass er nicht De Gaulle ist, Frankreich auch nicht mitten in einer dem Algerienkrieg ähnlichen Situation steckt und dass die Art seiner Amstausübung zwischen 2007 und 2012, sein intellektuelles Niveau, sein ausser Rand und Band geratenes Ego und sein gnadenloser Hang zu polarisieren dieses Vorhaben, ein halbes Jahrhundert danach einen neuen De Gaulle abgeben zu wollen, nur als schlichte Anmassung erscheinen lassen kann.
Das Sarkozy-System
"Sarko hat sich erledigt" nimmt einen durch ein Dutzend Justizaffären, die zum Teil zwanzig Jahre zurück reichen, mit in die Welt des Nicolas Sarkozy und vermittelt einen tiefen Eindruck von dessen Machtbesessenheit, von seiner Brutalität, von seinem regelrechten Hass auf Richter und Staatsanwälte, von seinem menschenverachtenden Umgang mit Freunden und Gegnern.
Die Autoren zeichnen das Bild eines Sarkozy-Systems, das während seiner Amtszeit als Präsident funktionierte und bis heute noch Bestand hat - mit vertraulichen Informanten im Polizei- und Justizapparat, auf die der Ex-Präsident bis heute zählen kann. Unter anderem erfährt man, dass Sarkozy über Präsident Hollandes Eskapaden zu seiner Geliebten mit Motorroller und Sturzhelm auf dem Laufenden war, zwei Monate bevor die berüchtigten Fotos in einem französischen Klatschblatt erschienen. Ein Sarkozy-System, das auch zur Folge hat, dass heute gegen mehr als zwei Dutzend seiner engsten Vertrauten, Weggefährten und Mitarbeiter, die für das Grobe und für Geheimes zuständig waren, Anklageverfahren eröffnet sind - unter anderem gegen zwei seiner ehemaligen Innenminister, Brice Hortefeux und Claude Guéant.
Affären ohne Ende
Bygmalion, Azibert, Courbit, Meinungsumfragen, Kasachstangate, Libyen, Karachi, Tapie und Bettencourt lauten die Namen für Affären, in die Nicolas Sarkozy selbst mehr oder weniger verstrickt ist oder war.
Bygmalion - dahinter verbirgt sich Sarkozys Wahlkampf 2012, bei dem das legale Finanzvolumen von 23 Millionen Euro de facto um fast das doppelte überzogen wurde. Um das zu vertuschen, hat Sarkozys Partei UMP die befreundete PR-Firma Bygmalion, den Dienstleister für die Wahlkampfveranstaltungen gezwungen, falsche Rechnungen in Höhe von 18 Millionen Euro auszustellen und diese auch bezahlt - für Seminare und Konferenzen, die nie stattgefunden hatten. Und Sarkozy behauptet steif und fest, davon nie etwas gewusst, ja den Namen Bygmalion nicht mal gekannt zu haben. Es ist die Affäre, die dem Ex-Präsidenten und Rückkehrer in die Politik am gefährlichsten werden könnte.
Bestechungsverdacht
Die andere, ebenso heikle Affäre, trägt den Namen Azibert, benannt nach einem Richter am französischen Kassationsgericht. In dieser Affäre läuft gegen Sarkozy selbst, nach 20 Stunden in Polizeigewahrsam, ein Anklageverfahren, unter anderem wegen Verdachts auf Bestechung. Sarkozy und sein Anwalt, Philippe Herzog, sollen den Richter dazu gebracht haben, sie über den Fortgang eines der vielen, gegen Sarkozy laufenden Verfahrens, zu informieren und wenn möglich auf den Verlauf des Verfahrens Einfluss zu nehmen. Im Gegegnzug wollte sich Frankreichs Ex-Präsident dafür einsetzen, dass der Richter kurz vor seiner Pensionierung einen gut dotierten Posten als Staatsrat im Fürstentum Monaco bekommt.
Aufgeflogen war diese Geschichte, weil die Ermittler in einer ganz anderen Affäre - mögliche Spenden Gadhafis für den Sarkozy-Wahlkampf 2007 - die Telefone des Ex-Präsidenten und seines Anwalts abhören liessen.
Die Inhalte dieser abgehörten Telefongespräche zwischen Nicolas Sarkzoy und seinem Anwalt, mit dem er seit 30 Jahren befreundet ist, sind vom Ton her geradezu niederschmetternd und von einem Niveau, das sich eher auf der Höhe der Gosse befindet. Der Mann, der so redet und sich in dieser Affäre wie ein x-beliebiger Drogendealer ein drittes und ein viertes Handy auf einen falschen Namen zugelegt hatte, um von den Untersuchungsbehörden nicht weiter abgehört werden zu können - er will jetzt wirklich, wie einst De Gaulle, zurückkommen und Frankreich retten?
Kniefall vor der Menge
Wie gesagt: momentan steckt Nicolas Sarkozy gerade im Wahlkampf und sei es auch nur für den Vorsitz einer Partei, die er umkrempeln und umbenennen will. Zwei Gegenkandidaten hat er, denen kaum Chancen eingeräumt werden. Gemeinsam mit ihnen stellte er sich am Wochenende einem Forum von 3‘000 Gegnern der Homoehe, die von den Kandidaten wissen wollten, wie sie es in Zukunft mit dem Gesetz über die gleichgeschlechtliche Ehe halten würden, wären sie erneut an der Macht - wieder abschaffen oder nicht. Sarkozy wandte sich sichtlich, sprach dann davon, das Gesetz müsse von Grund auf neu geschrieben werden, worauf aus der Menge Sprechchöre mit "Abschaffung, Abschaffung" ertönten, so lange bis Sarkozy, leicht genervt und verlegen zugleich, selbst das Wort Abschaffung aussprach.
Frankreichs Ex-Präsident, der mutmassliche Retter der Nation, der Staatsmann, mit dem angeblich so weiten Blick - er hat sich von einer aufgeheizten Meute von ultrakatholischen Konservativen die Worte in den Mund legen lassen. De Gaulle dürfte sich gleich mehrmals im Grab umgedreht haben.