«Das ist eine tolle Frau, die Patricia …», sagt ein distinguierter Herr im Berner Bus Nr.12 voller Bewunderung zu seiner Begleiterin. «Und gut Deutsch kann sie auch», bemerkt die Begleiterin mit gleicher Bewunderung. Sie kommen aus einem Sonntagnachmittagskonzert im Zentrum Paul Klee und beglückt fahren die beiden wieder nach Hause.
Für Patricia Kopatchinskaja war das Gastspiel sozusagen ein Heimspiel. Seit vielen Jahren lebt sie mit Ehemann und Tochter in Bern. Ihre eigentliche Bühne aber ist die Welt. Sie gehört zur absoluten Spitze der internationalen Violinisten. Kein Wunder also, dass das Konzert seit langem ausverkauft war.
Es hat sich gewissermassen aufgedrängt, dass sie, unkonventionell und wild wie sie ist, im Rahmen der Ausstellung über Revolutionskunst auch ihre Version zur Revolution in der Musik präsentiert. Begleitet wurde sie von ihrem Vater Viktor Kopatchinsky auf dem Cymbalom (eine Art Hackbrett) und vom australischen Pianisten Anthony Romaniuk, der im fliegenden Wechsel Hammerklavier, Piano oder Cembalo spielt. Innerhalb des gleichen Stücks.
Spannend, atemberaubend, ungewohnt
Zum Auftakt hatte Patricia Kopatchinskaja Barockes ausgesucht, humoristische Miniatursuiten, bei denen die Geige Tiere imitiert: die Nachtigall, den Kuckuck, die Wachtel, eine Katze und andere Tiere, im 17. Jahrhundert sinnigerweise komponiert von einem Herrn Biber, Heinrich Ignaz mit Vornamen. Wie mit der spitzen Feder zeichnet Patricia Kopatchinskaja die verschiedenen Tierstimmen musikalisch nach, zart und melodiös, frech und laut, aufgekratzt und lustig oder raunzend und miauend auf leisen Pfoten umherstreifend.
Ganz anders dann die «Vier Nocturnes» des Amerikaners George Crumb. Da klingt es zeitgenössisch, fast elektronisch. Diese Nachtstücke erzählen mit Wehmut von zornig verbrachten Nächten, sie machen müde oder stimmen versöhnlich. Die Geige wird hier auch zum Zupfinstrument, ganz ohne Bogen, oder Koptachinskaja nutzt sie mit der Handfläche gleich als Schlagzeug. Das Piano begleitet sie fast wie improvisiert. Das ist spannend, atemberaubend und ungewohnt.
Beethoven und Revolution, das passt ohnehin zusammen. Aber auch Carl Philipp Emanuel Bach, ein Sohn des Johann Sebastians, geht mit der «Phantasie für Klavier und Violine» ganz ungewohnte Wege, die wiederum wie Improvisation klingen.
Auf dem Sprung
Zwischendurch ein Solo von Viktor Kopatchinsky auf dem Cymbalom mit rassigen, virtuosen Klängen aus Rumänien und Moldawien, die im Gegensatz stehen zum Frühling-Stück, das die Amerikanerin Vanessa Lann vor zehn Jahren geschrieben hat. Kopatchinskaja ist immer auf dem Sprung, hüpft zwischen fünf Notenpulten hin und her, steht neben dem Pianisten, schaut ihm tief in die Augen, dreht sich ruckartig um und läuft im nächsten Moment wieder ans andere Ende der Bühne und kehrt dem Pianisten den Rücken zu. So steht es in den Noten und so hat es die Komponistin vorgesehen. Ein verrücktes Stück voller Überraschungen, Witz und Virtuosität. Genau das Richtige für Kopatchinskaja und den improvisationsgeübten Anthony Romaniuk, der das, was er im Jazz gelernt hat, hervorragend einbringen kann.
Zum Abschluss Bach, Johann Sebastian diesmal, mit der Chaconne, einem melancholischen Stück, das er nach dem Tod seiner ersten Frau geschrieben hat. Ein Stück, das Bach für eine Solo-Violine komponiert hat und in dem Patricia Kopatchinskaja ganz aufgeht. Ein Stück aber auch, das nun von Anthony Romaniuk improvisiert, ganz zart auf dem Cembalo begleitet wird. Aus dem Monolog wird ein berührender Dialog.
Jede Zugabe würde den Zauber dieses letzten Stücks zunichte machen. Patricia Kopatchinskaja bedankt sich beim Publikum und das Publikum dankt ihr im Bewusstsein, ein aussergewöhnliches Konzert erlebt zu haben, etwas Sinnliches und zugleich Revolutionäres, das einem das Gefällige so richtig verleiden kann. Wie sagte doch der Herr im Bus Nr.12? «Eine tolle Frau, diese Patricia …»
„Die Revolution ist tot, lang lebe die Revolution!“
Zentrum Paul Klee und Kunstmuseum Bern, bis 9. Juli 2017