Jean Marie Le Pen, Gründer der rechtsextremen Partei «Front National», ist im Alter von 96 Jahren verstorben. Die Republik tut sich schwer im Umgang mit einem sperrigen Toten.
Da stirbt Le Pen, der Bretone, der sich selbst als felsenfester Menhir bezeichnet und das politische Frankreich drei Jahrzehnte lang aufgemischt hat – und das offizielle Frankreich tut sich mehr als schwer, dieses Ableben zu kommentieren.
Jean-Marie Le Pen stört offensichtlich auch noch nach seinem Tod, wie er seit Mitte der 80er Jahre die politische Landschaft Frankreichs gestört hatte. Denn was, bitteschön, soll heute ein Präsident oder ein Premierminister über einen Toten sagen, den man einerseits nicht so einfach übergehen kann, der aber andererseits sein Leben lang ein offensiver Antisemit, Rassist und Fremdenhasser war und für seine dahingehenden Äusserungen von den Gerichten seines Landes sage und schreibe 25 Mal verurteilt worden ist?
Man windet sich
Da ist von Le Pens historischer Rolle die Rede, über die die Geschichte urteilen werde – so der Elysée. Da erinnert der Premierminister an einen, der «Polemiken» ausgelöst habe, die seine bevorzugten Waffen gewesen seien, spricht davon, dass mann gewusst habe, was für ein Kämpfer Le Pen gewesen sei, wenn man ihn bekämpft habe, und stellt unverfänglich fest, dass der Verstorbene eine Figur des politischen Lebens in Frankreich gewesen sei.
Nicht nur in linken Kreisen haben diese Worte des frischgebackenen Premierministers Bayrou Empörung ausgelöst – Jean-Marie Le Pens rassistische und antisemitische Äusserungen als «Polemiken» zu bezeichnen, ist nun wahrlich mehr als beschönigend.
Mit anderen Worten: Man windet sich an höchster Stelle und wird das vielleicht noch einmal tun müssen für den Fall dass nach der Beerdigung in Le Pens bretonischem Heimatort La Trinité-sur-Mer in Paris tatsâchlich ein öffentlicher Gedenkgottesdienst organisiert wird . Man darf – sollte es dazu kommen – gespannt sein, welche Politiker dann daran teilnehmen werden. Manche reden inzwischen tatsächlich davon, dass dieser Gottesdienst sogar an prominentem Ort, in der Pariser Madeleine stattfinden könnte .
Wie auch immer: Der fast überdimensionale Raum, den Frankreichs Medien dem Ableben von Jean-Marie Le Pen eingeräumt haben, zeigt mehr als deutlich, welches Gewicht die von ihm ins Leben gerufene extrem rechte Partei in Frankreich inzwischen hat. Man rieb sich ein wenig die Augen, erlebte eine Berichterstatung, so als wäre der Papst oder der amerikanische Präsident gestorben.
Le Pen, am Tag von Charlie
Dass Le Pen just an dem Tag verstarb, an dem Frankreich den Opfern des Anschlags auf Charlie Hebdo vor 10 Jahren gedachte und mit seinem Tod diesem Gedenken in der Aktualität der Medien ordentlich Platz wegnahm, ist eigentlich eine Frechhheit. Er, den die Karikaturisten von Charlie im Lauf der letzten Jahrzehnte mit ihren Federn hunderte Male verrissen und durch den Kakao gezogen haben und der so etwas wie ihr ziemlich bester Feind war, hat sich auf seine Art ein klein wenig gerächt.
Denn «Charlie Hebdo» und sein grosser satirischer Bruder, der «Canard Enchainé» mit seiner wunderbaren Devise «Die Pressefreiheit ist nur in Gefahr, wenn man sich ihrer nicht bedient» – sie haben sich seit den 80er Jahren genüsslich durch die ausgesprochen dunklen Seiten der Vergangenheit von Jean-Marie Le Pen geackert.
Das reichte von Le Pens Zeit als Schläger in rechtsradikalen Studentengruppen im Paris der beginnenden 50er Jahre, über seine Vergangenheit als Folterer während des Algerienkriegs, nachdem sich der Jurastudent mit Abschluss freiwillig zu den Fallschirmjägern in der Armee gemeldet hatte, bis hin zur Gründung des «Front National» 1972 , gemeinsam mit einem ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS und mit einigen Nostalgikern des Vichy-Regimes und eines französischen Algeriens.
Begnadeter Redner
Oder aber sie haben die verdächtige Erbschaft beleuchtet, die Le Pen Ende der 70er Jahre von einem Zementfabrikanten gemacht hat und über der bis heute der Verdacht der Erbschleicherei liegt. Sie hat den rechtsextremen Tribun damals über Nacht zum Millionär gemacht und zum Besitzer der Villa «Montretout» im noblen Pariser Vorort Saint-Cloud, die dem «Front National» lange Jahre auch als Parteisitz diente.
Jean Marie Le Pen, ein begnadeter Redner mit einem enormen, klassischen Wortschatz, hatte in den 70er Jahren begonnen, beständig daran zu arbeiten, die öffentliche Meinung davon zu überzeugen, dass der Ausländer der Feind der Franzosen ist, der Immigrant eine Gefahr an sich darstellt und dass die Lösung aller Übel in der Umsetzung des Mottos besteht «Frankreich den Franzosen» – ein Slogan, der etwas abgeschwächt in der rechtsextremen Partei bis heute überlebt hat – Tochter Marine Le Pen spricht von «nationaler Präferenz».
Schon vor Wahlen im Jahr 1978 sollte ein Plakat des «Front National» erstmals für Aufregung sorgen. «1 Million Arbeitslose, 1 Million Immigranten zu viel». Der Ton, an dem sich in Le Pens Partei grundsätzlich bis heute nichts geändert hat, war gegeben.
1983/84
Nach der Gründung des «Front National» hatte es ein gutes Jahrzehnt gebraucht, bis sich die ersten Wahlerfolge einstellten und Jean Marie Le Pen für die breite französische Öffentlichkeit ein Begriff werden sollte. 1983 holte ein Kandidat seiner Partei bei Kommunalwahlen in der Stadt Dreux, westlich von Paris, über 15 Prozent der Stimmen. 1984 erreichte der «Front National» bei den Europawahlen 11% – und es war ein Schock. Ausgerechnet Frankreich schickte, als dies noch die absolute Ausnahme war, rechtsextreme Abgeordnete nach Europa.
Der nächste, unvergleichlich tiefere Schock folgte 18 Jahre später: 2002 gelangte Jean-Marie Le Pen bei den Präsidentschaftswahlen in den entscheidenden zweiten Durchgang gegen Jacques Chirac und hatte im ersten Wahlgang mehr Stimmen gewonnen als der sozialistische Kandidat, Lionel Jospin.
Wenige Tage später demonstrierten weit über eine Million Menschen im ganzen Land gegen extrem Rechts. In all diesen Jahren hatte Jean Marie Le Pen nicht aufgehört, zu provozieren und mit rassistischen und antisemitischen Äusserungen für Skandale zu sorgen. Eine seiner skandalösesten Äusserungen, für die er gleich mehrmals rechtskräftig verurteilt wurde, war der Satz «Die Gaskammern waren nur ein Detail in der Geschichte des 2. Weltkriegs» .
Vatermord
2011 hat Jean Marie Le Pen , der damals bereits 83 war, das Familienunternehmen «Front National» seiner Tochter Marine überlassen und sich damit de facto selbst kaltgestellt. Denn Marine Le Pen machte sich daran, die rechtsextreme Partei hoffähiger zu machen und das beutete in erster Linie: Schluss machen mit dem Antisemitismus ihres Erzeugers –, was ihr inzwischen so gut gelungen ist, dass sich ein ganzer Teil der jüdischen Gemeinde Frankreichs von ihr und der extremen Rechten beschützt fühlt.
Damals, in den Jahren nach 2011, wollte ihr jetzt verstorbener Vater aber keine Ruhe geben, konnte es nicht lassen, die eine oder andere antisemtische Parole loszuwerden. Das Resultat: Es kam zum Vatermord, Jean-Marie Le Pen wurde 2015 von seiner Tochter aus der Partei, die er 43 Jahre zuvor selbst gegründet hatte, ausgeschlossen.
Strategisch eine absolut richtige Entscheidung von Marine Le Pen – die Wahlergebnisse in den zehn darauffolgenden Jahren und der beständige Stimmenzuwachs der extremen Rechten sollten ihr Recht geben.
Le Pen ist tot, sein Geist lebt weiter
Doch trotz allem: Das Bemühen von Jean-Marie Le Pens Tochter, die Partei des Vaters, deren Namen sie 2018 fix auch noch geändert hat, auf Hochglanz zu polieren, hat seine Grenzen. Der Bauchladen des alten Le Pen, gefüllt mit Ausländerfeindlichkeit, Verurteilung des Systems und der Eliten sowie eine gute Portion Europaskepsis, ist an die nächste Generation weitergereicht worden , was mehr als einen Kommentator gestern dazu gebracht hat zu schreiben: «Le Pen ist tot, aber sein Geist lebt weiter».
In Europa war Jean-Marie Le Pen Mitte der 80er Jahre der erste rechtsextreme Politiker, der zweistellige Wahlergebnisse einfuhr und zu einem echten politischen Faktor in seinem Land geworden war, auch wenn er – im Gegenteil zu seiner Tochter Marine – de facto nie wirklich die Macht erobern wollte.
Seither hat er in Europa und darüber hinaus eine gehörige Anzahl von Nachahmern gefunden und ist just an dem Tag verstorben, an dem sich 1000 Kilometer weiter östlich ein anderer Rechtsextremer anschickte, tatsächlich nach der Macht zu greifen und Bundeskanzler Österreichs zu werden: Herbert Kickl.