„Tee?“ fragt sie. „Tee, ja gern“, sage ich, denn es ist ein kühler Nachmittag, aber das Haus im Berner Universitätsquartier, in das mich Patricia Kopatschinskaja hineinbittet, ist gemütlich, heimelig und für sie eine Oase. In ihrem Musikzimmer, einer kleinen Bibliothek mit Flügel. Büchern und vielen Noten, stellt sie zwei grosse Becher mit Ingwertee aufs Tischchen. Und sie erzählt. Von ihren Projekten, von ihrer neuen CD, von der Konzert-Tournee, von Tschaikowsky, von Beethoven und von ihrer Sehnenscheidenentzündung, die sie gerade hinter sich gebracht hat. „Ich musste alles absagen, aber ich hatte stattdessen Zeit zum Nachdenken...“, sagt sie.
Sie sprudelt nur so, wenn sie spricht, Sie denkt schnell und das rollende R verrät ihre osteuropäische Herkunft. Schwarzgelockt, wacher, interessierter Blick, gebändigte Dynamik. Man wird neugierig auf diese Frau. Und bald steht sie auch wieder auf der Bühne. Man kann sie also live besichtigen.
Explosive Mischung
Im Rahmen der nächsten Tournee tritt sie am Dienstag, 12. Januar in der Zürcher Tonhalle auf. Auf dem Programm steht Beethovens Violinkonzert. Begleitet wird Patricia Kopatschinskaja von Teodor Currentzis. Zwei Paradiesvögel des heutigen Musikbetriebs. Eine explosive Mischung. Da geraten musikalische Hitzköpfe aller Art aufeinander: Feuerkopf Beethoven, Kopatschinskaja, die noch immer den Ruf einer „jungen Wilden“ hat, dazu Currentzis, der eigenwillige Grieche, der in Sibirien die Klassik neu erfand und MusicAeterna, ein junges, russisches Orchester, das total auf ihn eingeschworen ist.
Zur Probe fährt Kopatschinskaja zu Currentzis in den Ural nach Perm. Und sie hat sich natürlich schon längst Gedanken gemacht, wie sie das Stück spielen will. „Ich werde bei diesem Beethoven-Violinkonzert eine Geschichte erzählen. Die ist vielleicht anders, als man sie sonst gehört hat. Ich habe nämlich herausgefunden, dass dieses Werk sehr viel leichter, leiser, eleganter gespielt werden kann. Der zweite Satz ist etwas, das von hoch oben aus der Luft kommentiert werden könnte, aber der ganze Körper, der Organismus, steckt im Orchester. Und ich bin mit meiner Geige jemand, der abseits ist und doch drin steckt. Wie ein Vogel. Es ist ein Vogel mit einer Sinfonie, ja, er umfliegt die Melodien.“ Diesen luftig poetischen Vorstellungen Kopatschinskajas steht auf der anderen Seite Schlagkräftiges aus Beethovens Pranke gegenüber. „Der Anfang mit der Pauke ist krass und ganz schön frech“, sagt Kopatschinskaja. „Aber die Pauke war sehr populär, denn es war Revolution. Da lag Pulver in der Luft. Es ist nicht Folklore, aber Musik fürs Volk: also leicht verständlich und singbar. Es wird richtig lustig, denn es kommt auch noch ein Marsch… pumpumdatara… bombombom…“.
Patricia Kopatschinskaja beginnt im Marschrhythmus zu singen. Wie ein Fremdkörper käme diese Passage von aussen und passe eigentlich gar nicht in die Komposition. „Ich stelle mir vor: Beethoven hat auf seinem Tisch viel Papier gehabt und allzu ordentlich war er wohl auch nicht. Gleichzeitig hat er um diese Zeit den Fidelio komponiert. Irgendwo musste er seine Kadenz aufschreiben und hat vielleicht das falsche Blatt erwischt, dann hat er weiter komponiert und plötzlich hat er gemerkt, dieser Marsch könnte eigentlich ins Violinkonzert mit der Pauke hineinpassen. Es ist derselbe Marsch wie im Fidelio!“ Sie strahlt bei diesem Gedanken.
Traditionen brechen
Patricia Kopatschinskaja ist es ganz wichtig, einen eigenen Zugang zu bekannten Werken zu finden. „Es genügt nicht mehr, diese einbetonierten Monumente auf die Bühne zu stellen und zu sagen: das ist der grosse Beethoven. Nein, wir müssen verkleisterte Traditionen brechen, wir müssen eigene Geschichten aufbauen, wir müssen uns trauen, auch einmal ein Risiko einzugehen. Die sogenannte Tradition führt oft in eine Sackgasse. Dann muss ein Harnoncourt kommen und sagen: Leute, lest doch mal die Quellen und überlegt euch, ob es nicht auch anders sein könnte.“
Es dürfte also spannend werden, zu hören, wie Currentzis und Kopatschinskaja Beethoven ganz neu auflegen. Die erste Zusammenarbeit zwischen den beiden ist die Tournee aber nicht. „Wir haben in Russland bereits eine CD mit Tschaikowsky und Strawinsky eingespielt, die jetzt erscheint“, erzählt Kopatschinskaja. „Wenn man beide Komponisten zusammen hört, merkt man, dass es die selbe Welt ist, in verschiedenen Zeitepochen.“ Und sie schwärmt von dieser Musik. „Sie ist so farbig und folkloristisch. Es sind musikalische Bilder von Russland, gesehen von Menschen, die auch Sehnsucht nach ihrer Heimat haben, mit der sie aber nicht klarkommen. Die Heimat lebt weiter in ihrer Phantasie und der Schmerz über den Verlust wird immer stärker.“
Der zweite Satz von Tschaikowskys Violinkonzert hat Kopatschinskaja besonders fasziniert. „Es gibt da eine wahnsinnige Ähnlichkeit mit einem alten französischen Lied….“ Sie versucht das Lied zu singen, aber die Stimme macht nicht mit, also läuft sie rüber zum Flügel und spielt die ersten paar Töne… „das ist das Lied“. Dann wieder ein paar Klänge vom Flügel, die fast gleich tönen… „und das ist der zweite Satz.“ Fast detektivisch ist Patricia Kopatschinskaja dieser Spur nachgegangen und hat herausgefunden, dass Tschaikowsky das französische Lied „Mes belles amouretts“ dank seines französischen Kindermädchens als kleiner Bub tatsächlich kennengelernt und sich später daran inspiriert haben könnte, zumal er auch in einem Brief auf Poesie und Sehnsucht in dieser Musik hinweist. „Das war die richtige Spur! So musste man das spielen: mit geheimnisvoll absterbender Stimme, wir haben das absolut vibratolos und schwerelos auf Darmsaiten gespielt und plötzlich klang es wie Gesang aus einer weiten russischen Kirche, irgendwo im Wald versteckt. Und der Text des französischen Liedes fragt zu dieser Melodie sehnsuchtsvoll, wo seid ihr, meine Liebeleien…“
Patricia Kopatschinskaja erzählt voller Begeisterung, voller Elan von dieser Spurensuche und auch von der musikalischen Umsetzung zusammen mit Teodor Currentzis. Da haben sich zwei gefunden, die sich finden mussten.
Aus dem Himmel gefallen
Dass Currentzis und Kopatschinskaja sich getroffen haben, geht auf einen Geiger des Zürcher Opernhaus-Orchesters „Philharmonia“ zurück. Er schrieb ihr, sie müsse diesen Dirigenten unbedingt kennenlernen.“Also bin ich nach Zürich gefahren und habe Currentzis bei Schostakowitschs ‚Lady Macbeth‘ vor zwei Jahren gesehen. Er war für mich Engel und Teufel zugleich, wie aus dem Himmel gefallen. Ich habe das Orchester noch nie so spielen gehört….“ Patricia Kopatschinskaja staunt noch heute über diese erste Begegnung. Nachdem sie inzwischen mit ihm gearbeitet hat, meint sie: „Ich denke, wir passen zusammen“. Es sei wie im Auge des Hurrikans: ringsum tobe es und mittendrin herrscht Ruhe. „Man hat Vertrauen zueinander, weil man die gleichen Visionen hat und nichts mehr erzwingen muss, sondern einfach sich selbst treu bleibt. Das war eine sehr schöne Erfahrung.“
Den Zauber erleben
Auch wenn jetzt immer von klassischer Musik die Rede war, so ist Patricia Kopatschinskaja die zeitgenössische Musik doch überaus wichtig und sie setzt sich vehement für sie ein. „Mit moderner Musik hat man als Interpret bis vor etwa zehn Jahren grösste Probleme gehabt“, sagt sie. „Erst in neuerer Zeit wird es zur Prestigesache, dass man auch mal etwas uraufführt. Natürlich trifft man nicht immer den Geschmack des Publikums. Aber was ist Geschmack? Ist Geschmack nicht einfach nur Gewöhnung? Kunst will uns doch mit Dingen konfrontieren, die vielleicht nicht angenehm sind, die zwar auch unterhalten, aber auf eine Art, die nicht nur heiter lustig ist, sondern mehrschichtig und unvergesslich“. Das Publikum sollte sich unbedingt darauf einlassen. „Man muss ins Konzert kommen, man muss diesen Zauber erlebt haben, hier und jetzt, es ist ein Wunder, was mit Tönen passiert und wenn man ihnen richtig zuhört, ist es wie Hypnose. Vielleicht kann man es so vergleichen: Wenn man jemanden liebt und auch berühren kann, ist das doch ganz anders, als wenn man nur online miteinander verkehrt…“
Ursprünglich kommt Patricia Kopatschinskaja aus Moldawien, wo sie in einer Musikerfamilie aufwuchs. Seit einigen Jahren lebt sie nun in Bern. „Ich habe mir das nicht ausgesucht, aber ich geniesse es, hier zu sein. Es ist die Stadt, in der mein Mann wohnt und ich glaube, unserer Tochter tut es gut, hier den Frieden zu erleben. Und ich selbst habe das Land lieben gelernt. Gleichzeitig vermisse ich auch meine beiden anderen Heimatländer, Moldawien und Wien, wo ich aufgewachsen bin und Deutsch gelernt habe. Ich liebe die Schweiz, weil es die Heimat meiner Tochter ist. Sie spricht Schwyzerdütsch, diese unglaublich lustige, eigenartige, altertümliche Sprache, die mir wie Musik in den Ohren klingt. Und ich bin stolz, dass ich in einem Land lebe, aus dem Heinz Holliger kommt oder Hans Heinz Schneeberger, zwei Musiker, die mich sehr geprägt haben und die ich sehr bewundere.“
12. Januar 2016
Tonhalle Zürich
Beethoven
Teodor Currentzis / Patricia Kopatschinskaja
Tschaikovsky Violinkonzert Stravinsky "Les Noces"
Patricia Kopatschinskaja / Teodor Currentzis
MusicAeterna
CD SONY ab 8. Januar 2016