Amerikas Republikaner, im Kalten Krieg eingefleischte Kommunisten-Hasser, sind zu Kreml-Sympathisanten mutiert. Tucker Carlson, Fox-News-Moderator und Stichwortgeber der Republikaner, avancierte gar zum Gewährsmann des russischen Staatsfernsehens.
Im August 1984 kam der Spielfilm «Red Dawn» in die amerikanischen Kinos. Der deutsche Titel: «Die rote Flut». Der 114-minütige Streifen schildert eine Invasion kubanischer, nicaraguanischer und sowjetischer Truppen in Amerika während des dritten Weltkriegs. Die feindlichen Fallschirmjäger landen in der Nähe einer High School in der Kleinstadt Calumet in Colorado und erschiessen einen Lehrer und Schüler.
Als Reaktion auf den Überfall starten Teenager einen bewaffneten Widerstand gegen die Invasoren und drängen den Feind mit Hilfe amerikanischer Truppen zurück. Am Ende des Films ist, neben dem wehenden Sternenbanner, ein umzäunter Felsen zu sehen, in den eine Gedenkplakette eingelassen ist: «Sie (die jungen Guerrilleros) kämpften hier allein und gaben ihr Leben, damit diese Nation nicht von der Erde getilgt wurde.»
Hollywood, wie es leibte und lebte. Das zu einer Zeit, als in Amerika Präsident Ronald Reagan regierte, für den die Sowjetunion nur «das Reich des Bösen» war, und es zu den Dogmen der republikanischen Partei gehörte, neben Steuersenkungen stets auch einen harten Kurs gegenüber Moskau zu fordern. Unvergessen auch die 1950er-Jahre, als Amerikas Schüler übten, im Falle eines sowjetischen Nuklearangriffs unter die Pulte zu tauchen und die Köpfe zu schützen. Oder zur selben Zeit der republikanische Senator Joe McCarthy, der die USA von Kommunisten unterwandert sah, die es zu denunzieren galt.
Doch die Grand Old Party ist nicht mehr die Partei Abraham Lincolns, die sich im 19. Jahrhundert für die Abschaffung der Sklaverei einsetzte. Seither habe die GOP versucht, so Filmemacher Douglas McGrath, jene Jahre «wie ein versoffenes Weekend in einem syphilitischen Puff» zu vergessen. Die Partei sei längst zu dem geworden, was sie heute ist: «anti-Steuern, pro-Big Business, anti-Einwanderung.»
Und anti-Demokratie, wenn einer einkalkuliert, was die republikanische Partei seit der Wahl Donald Trumps Ende 2016 und dem Sturm auf das Capital Anfang 2021 geworden ist: ein Personenkult, dem sich republikanische Politiker, die wiedergewählt werden wollen, jedem Risiko entziehen. So ist in Parteikreisen kaum Widerspruch laut geworden, als Donald Trump einen Tag vor der russischen Invasion in der Ukraine Wladimir Putin «pretty smart» nannte und vom angegriffenen Land sprach, als sei es eine lukrative Immobilie: «Er hat für den Preis von zwei Dollar Sanktionen ein Land übernommen (…) – einen riesigen, riesigen Standort, ein tolles Stück Land mit einer Menge Leute – und er ist einfach reinmarschiert.» Putin, sagte Trump, schlage Präsident Joe Biden «wie eine Trommel».
«Kann einer sich vorstellen, dass Dwight Eisenhower Leonid Breschnew dafür gelobt hätte, 1968 in die Tschechoslowakei einzumarschieren?», fragte in der Folge Historiker Anders Stephanson von der Columbia University: «Ich denke nicht.»
Tempi passati. Kein Wunder, sekundierte Ex-Aussenminister Mike Pompeo, dem Ambitionen auf das höchste Amt im Staate nachgesagt werden, seinen früheren Chef. Putin, meinte Pompeo, sei «ein auf elegante Weise raffinierter Gegenspieler», «äusserst schlau» und «fähig». Er habe «enormen Respekt» für den russischen Präsidenten und folgerte, Biden zeige im Ukraine-Konflikt «enorme Schwäche». Er krebste erst kurz vor der Invasion zurück. Nun war Putin für ihn plötzlich «übel» und «zu zermalmen».
Auch Stephen K. Bannon, einst Trump-Berater, stimmte in den Chor jener ein, die den Kreml mögen, weil er Lieblingsanliegen der amerikanischen Rechten wie den Widerstand gegen Rechte für Homosexuelle vertritt. Der Kongress, forderte Bannon, müsse Joe Biden seines Amtes entheben, weil er den Krieg in der Ukraine angezettelt habe. Denn Europa habe keine Lust, sich selbst zu verteidigen: «Und jetzt sind Sie (Biden) hingegangen und haben in ein Wespennest gestochen.»
Nicht überraschend auch, dass TV-Moderator Tucker Carlson, Donald Trumps Sprachrohr bei Fox News, in seiner abendlichen Sendung, der meistgesehenen News-Show des US-Kabelfernsehens, die Propaganda des Kremls so unterwürfig nachäffte, dass das russische Staatsfernsehen seine Aussagen mehrmals wiederholte. Die Ukraine, argumentierte Carlson, sei keine Demokratie, sondern «ein reiner Vasallenstaat»» der USA.
Ausserdem sei Waldimir Putin dem «permanenten Washington» moralisch überlegen, jener vage definierten, üblen Entität, die eine globale Pandemie fabriziere, Kindern beibringe, Rassen zu diskriminieren, und versuche, christliche Werte zu zerstören. Dem Fernsehmann zufolge hassen Putin-Hasser den Russen wegen eines «Grenzkonflikts mit einer Ukraine genannten Nation». Joe Biden, so eine von Republikanern direkt geäusserte Unterstellung, sei die ukrainische Grenze wichtiger als Amerikas Südgrenze.
Ein 35-sekündiger Ausschnitt von Tucker Carlsons Auftritt wurde auf Twitter mehr als zwei Millionen Mal angeklickt. Später aber, nach heftiger Kritik, ruderte auch er zurück. «Niemand in dieser Sendung befürwortet Putin oder auch die Ukraine», betonte er: «Wir sind immer für Frieden.»
Bemerkenswert schliesslich der Umstand, dass laut einer Umfrage Amerikas Republikaner Wladimir Putin mehr schätzen als Joe Biden. 62 Prozent der Befragten antworteten, der Russe sei «ein stärkerer Führer» als ihr Präsident. Die Einschätzung dürfte nicht zuletzt auf Fake News und Verschwörungstheorien beruhen, die unkontrolliert im Internet kursieren.
Zum Beispiel behaupten Anhänger des Kults QAnon, die Invasion der Ukraine sei lediglich ein weiterer Schritt im globalen Kampf gegen Menschenhandel zwecks sexueller Ausbeutung. Der Angriff gelte den Demokraten, die als Teil einer globalen Kabale Satan anbeten und mit Kindern als Sexobjekten handeln würden. Wladimir Putin, hiess es ferner, habe die Ukraine nur angegriffen, um Biolabors zu zerstören, in denen Joe Biden tödliche Viren züchten lasse.
«Red Dawn» erfuhr 2012 ein Remake. Den Streifen leitet ein Monolog ein, der die Folgen einer Wirtschaftskrise in der EU, die Schwächung der Nato, die wachsende Kooperation zwischen Nordkorea und Russland sowie die Stationierung amerikanischer Truppen in Übersee auflistet. Doch diesmal sind es nicht die Sowjets, welche die Vereinigten Staaten attackieren, sondern nordkoreanische Fallschirmjäger. Die Bedrohungslage, so die Filmproduzenten, habe sich seit dem Kalten Krieg geändert. Offenbar doch nicht so stark. Und wie heisst der Untertitel des fast gleichzeitig wie «Red Dawn» erschienenen Films «Rocky IV», an dessen Ende der amerikanische Weltmeister Rocky Balboa den russischen Boxer Ivan Drago in der 15. und letzten Runde K.o. schlägt? «Der Kampf des Jahrhunderts».