Das russische Verteidigungsministerium meldet, es plane für diesen Oktober Manöver in Ägypten. Es handle sich um eine Übung, in der Lufttransporte und Fallschirmtruppen eingesetzt würden. 500 Fallschirmspringer sollen teilnehmen, und auch der Lufttransport von Kampffahrzeugen „in das Klima der ägyptischen Wüste“ sei vorgesehen.
Zeitgemäss und vielsagend ist der Name der geplanten Übung; sie heisst „Beschützer der Freundschaft“. Ihr Zweck sei Ausbildung zur Abwehr von Terrorismus. Terroristen sind bekanntlich in der Sprache Asads und Russlands alle Feinde des syrischen Regimes. Als Terroristen bezeichnet auch der ägyptische Präsident al-Sissi seine sämtlichen Feinde und Gegner, in erster Linie die ägyptischen Muslimbrüder. Den gleichen Sprachgebrauch pflegt auch Erdogan im Zusammenhang mit allen Widersachern seiner Türkei.
Russische Rückkehr ins Mittelmeer
Ebenfalls aus Russland kommen Zeitungsmeldungen, nach denen die Ägypter mit Russland über den Gebrauch von Basen in Ägypten verhandeln. Es verlautet, dass Russland daran interessiert sei, die Basis von Sidi Barrani wieder in Betrieb zu nehmen. Sidi Barrani liegt knappe hundert Kilometer von der libyschen Grenze entfernt am Mittelmeer. Die dortige Basis hatte vor 1972 der Sowjetunion dazu gedient, die amerikanischen Kriegsschiffe im Mittelmeer zu beobachten. 1972 war sie geschlossen worden. Damals brach Präsident Sadat mit der sowjetischen Militärhilfe und warf die sowjetischen Militärberater aus dem Land.
In jenen Jahren des Kalten Krieges gab es das Fünfte Geschwader, einen sowjetischen Flottenverband im Mittelmeer, das Stützpunkte in Alexandria und in Lattakiya und Tartus benützte.
Tartus in Syrien ist nach wie vor russischer Stützpunkt, und der russische Verteidigungsminister, Sergej Schoigu, hat erklärt, sein Land bemühe sich gegenwärtig, Tartus als „permanente Basis“ auszubauen. Die dazu notwendigen „Vertragspapiere“ würden ausgearbeitet. Die S 300 Luftabwehrraketen, die Russland kürzlich nach Syrien brachte, dienen in erster Linie dazu, den Marinestützpunkt von Tartus abzusichern. Neben Tartus betreibt Russland gegenwärtig eine Luftwaffenbasis in Hmeimin, unweit der Hafenstadt Lattakiya.
Geostrategische Kalküle
Man kann erkennen, dass Russland in Ägypten ein zweites Standbein für seine geplante Mittelmeerpräsenz sucht. Von Putin ist bekannt, dass er mehrmals geäussert hat, er habe ein Interesse daran, die einstige Präsenz der Sowjets im Mittelmeer wiederzubeleben. Von Schoigu gibt es die Äusserung, das Mittelmeer sei „das Zentrum aller wesentlichen Gefahren für die nationalen Interessen Russlands“.
Die russische Flottenaktivität im Mittelmeer nimmt zu. Auf der westlichen Seite des Mittelmeers benützen russische Kriegsschiffe oft Ceuta, den spanischen Hafen in Nordafrika, um sich zu verproviantieren und aufzutanken, obwohl dieser spanische Hafen zum Verbund der Schengen-Staaten gehört. Die Statistik besagt, seit 2011 hätten 58 russische Kriegsschiffe Ceuta besucht. Eines davon sei sogar ein für Angriffsaktionen ausgerüstetes Unterseeboot gewesen.
Entfremdung von den USA
Parallel zu den Fühlern Richtung Ägypten gibt es auch eine vergleichbare russische Entwicklung gegenüber der Türkei. Dort versucht Putin, aus den Reibungen zwischen Erdogan und Washington Gewinn zu ziehen. Die getrübten Beziehungen zu den USA gehen teilweise darauf zurück, dass Erdogan und seine Regierung die Auslieferung des Predigers Gülen aus den USA fordern, den sie für den fehlgeschlagenen Staatstreich in der Türkei verantwortlich machen. Diese Auslieferung wird jedoch schwerlich so rasch und reibungslos vor sich gehen, wie Erdogan es wünscht.
Doch dies ist nur ein Teil der Trübung. Grundsätzlich geht es um das offensichtliche Streben Erdogans nach Alleinherrschaft, von dem zu erwarten ist, dass es zu weiteren Gegensätzen zwischen seiner Türkei und den USA führen wird.
Versöhnung mit der Türkei
Putin sucht diese Spannungen auszunützen. Er hat sich sehr rasch mit Erdogan wieder versöhnt, nachdem im Juni 2015 zwischen den beiden Staaten ein bitterer Streit über den Abschuss eines russischen Kampfflugzeugs an der türkisch-syrischen Grenze ausgebrochen war. Erdogan entschuldigte sich ein knappes Jahr später und scheint Schadenersatz angeboten zu haben, worauf der Boykott für russische Touristen in der Türkei und für türkische Geschäfte in Russland rasch rückgängig gemacht wurde. Für den internen Gebrauch erfand die Pro-Erdogan-Presse den Mythos, der türkische Pilot, der das russische Flugzeug abgeschossen habe, sei ein heimlicher Anhänger Gülens gewesen, der die Türkei habe schädigen wollen.
Ein russischer Besucher, Alexander Dugin, der als persönlicher Stellvertreter Putins Anfang Okober in Ankara weilte, erklärte seinerseits, Russland habe die Türkei vor dem bevorstehenden Staatsstreich gewarnt. Dieser sei „eine Reaktion auf die Annäherung zwischen Russland und der Türkei“ gewesen.
Russland ist seit geraumer Zeit ein Gegner Gülens. Die Schulen des Predigers in Zentralasien wurden auf Druck der Russen hin schon 2014 geschlossen. Die russische Propaganda fügt nun zu der alten Feindschaft gegenüber dem Prediger noch hinzu, dieser sei ein Instrument der Amerikaner. Schon vor Dugin, am 15. September, war der russische Generalstabschef, Valeri Gerassimow, nach Ankara gekommen, um mit seinem türkischen Kollegen, Hulusi Akar, Gespräche zu führen. Dabei sei es um die Mittel gegangen, durch die vermieden werden soll, dass die Militärs beider Seiten in Syrien – wo sie beide aktiv sind – zusammenstossen.
Eine Gasleitung durch das Schwarze Meer
Schliesslich kam Putin selbst am 10. Oktober nach Ankara. Die Versöhnung wurde demonstrativ gefeiert. Höhepunkt des Besuches war die Unterzeichnung eines Abkommens über eine Gasleitung durch das Schwarze Meer in den europäischen Teil der Türkei. Sie wird „Turk Stream“ genannt und soll doppelt geführt werden. Eine Leitung für den Gasbedarf der Türkei, eine zweite soll künftig weiter führen durch den Balkan nach Europa. Zudem ist eine Abzweigung geplant, welche Nordgriechenland und die Adria bis nach Italien durchqueren soll. Das ganze dient Russland dazu, für den Gastransport nach Europa seine Abhängigkeit von Pipelines, die durch die Ukraine führen, zu lockern. Der Türkei wurde bei dieser Gelegenheit ein reduzierter Gaspreis versprochen. Die Leitung soll bis 2019 erstellt werden.
Auch die beschleunigte Wiederaufnahme des Projektes eines atomaren Kraftwerks, des ersten in der Türkei, das die Russen in Akkuyu an der südlichen Mittelmeerküste bauen, wurde beschlossen. Die Arbeiten daran waren zur Zeit der Krise mit Russland eingestellt worden.
Wacklige Gemeinsamkeiten in Syrien
Über Syrien bestehen zwischen den Russen und Türken Meinungsverschiedenheiten. Erdogan sieht Asad als Feind; für Putin ist er ein Partner und Schützling. Doch dies wurde bei dem Besuch stillschweigend übergangen. Türkische Beobachter glauben Anzeichen dafür zu erkennen, dass in Zukunft die beiden Staaten in Syrien zusammenarbeiten könnten.
Zurzeit kämpfen türkische Truppen zusammen mit ihren syrischen Freunden, Milizen der SAF (Syrian Armed Forces), um die Stadt al-Bab, nordöstlich von Aleppo, die vom IS beherrscht wird. Der IS ist ein Feind der Türken und der Russen. Doch wenn die türkischen Truppen al-Bab einnehmen, bedeutet das auch einen entscheidenden Schlag gegen die syrischen Kurden, weil diese Stadt im Zentrum des Korridors zwischen zwei von den Kurden beherrschten Gebieten liegt. Die Kurden möchten diese zusammenschliessen – und die Türkei will dies unter allen Umständen verhindern.
Die Möglichkeit, dass Asad von der Macht über Syrien entfernt werden könnte, ist angesichts der Unterstützung, die ihm von den Russen zukommt, in weite Ferne gerückt. Die Türkei scheint dies zu erkennen und zieht es darum vor, ihr Nahziel zu verfolgen, nämlich zu vermeiden, dass ein autonomes kurdisches Gebiet oder ein kurdischer Staat an ihrer Südgrenze entsteht.
Dieses Nahziel ist leichter zu erreichen, wenn eine militärische Zusammenarbeit Ankaras mit Russland gegen den IS zustande kommt und die Türkei ihren Feldzug gegen al-Bab, das sich im Besitz des IS befindet, mit russischer Zustimmung oder gar Hilfe zu führen vermag.
Der Umstand, dass die USA mit den Kurden zusammenarbeiten, weil sie die wirksamsten Kämpfer gegen den IS sind, ist für Ankara ein weiterer Grund, sich von Washington fernzuhalten und eher die Hilfe der Russen zu suchen.
Wieder russische Flottenpräsenz
Was Putin bei seiner Annäherung an beide Mittelmeeranrainer anstrebt, ist klar. Er sucht eine Rolle für die russische Kriegsflotte im Mittelmeer. Dazu braucht er lokale Stützpunkte nicht nur in Syrien, wo er dieser gewiss ist, sondern auch in anderen Mittelmeerstaaten.
Die de facto Einmann-Herrschaften mit weitgehend entmachteten Parlamenten in Ägypten und in der Türkei entsprechen Putins eigener Herrschaft in Russland. Gleichzeitig bewirken sie für beide Länder eine gewisse Distanz zu Europa und den USA. Dies erleichtert es Russland, sich ihnen als alternative Stütze anzubieten. So erhält sich Putin am Mittelmeer potentielle Klienten, die er höflich Verbündete nennt.
Weniger deutlich ist, wie weit die Türkei und Ägypten bei ihrer Annäherung an Russland zu gehen gedenken und was genau sie damit bezwecken. Denkbar ist, dass beide ihre Annäherung als ein taktisches Manöver betreiben, das dazu dienen soll, ihren Stellenwert in amerikanischen Augen anzuheben. Was bedeuten würde, dass ihre Annäherung an Russland letztlich dem Zweck dienen würde, die Bindung zwischen ihnen und den USA verstärken. Doch Putin hofft zweifellos darauf, dass die Annäherung zu einem dauerhaften Verhältnis ausgebaut werden kann, das Russland mehr permanenten Stand jenseits der türkischen Meerengen verschafft.
Ob und wieweit die beiden gegenwärtig umworbenen Staaten, Ägypten und die Türkei, sich dazu hergeben werden, hängt natürlich auch vom Verhalten der Amerikaner ab. Im Augenblick nützt Putin das dortige präsidiale Interregnum und die Hinwendung der Amerikaner zu fernöstlichen Schauplätzen aus, um seine Figuren auf dem nahöstlichen Schachbrett in Stellung zu bringen.