Der Mensch, das zeichnet ihn aus, räsoniert. Allerdings häufig ohne Raison. Früher tat er das im stillen Kämmerlein, im Kreise seiner Lieben am Küchen- und, unterstützt von Alkohol, auch gerne am Stammtisch. Die Verbreitung seiner Anmerkungen zur Weltlage, zu Nachbarn, Chefs und zur Arglist der Zeit war überschaubar. Die Welt blieb schlecht, denn seine tiefsinnigen Ansichten, wie «da sollte man nur mal, die sind doch bescheuert, die machen sowieso, was sie wollen», eroberten nie mehr als die flüchtige Lufthoheit im stillen Kämmerlein, zu Hause oder über dem Stammtisch. Deshalb endete das Räsonieren meistens mit dem von bitterer Erfahrung getränkten Seufzer: «Auf mich hört ja doch keiner.» Aber dank Internet hat sich das grundlegend geändert. Wer des Schreibens mehr oder minder mächtig ist, hat hier einen Schalltrichter, ein Megaphon gefunden. Mit der Kommentar-Funktion kann jeder seinen Senf zu allem geben. Oft ohne Ahnung, aber immer mit viel Meinung. Der Autor eines Artikels hat keinen blassen Dunst, liegt falsch, hat übersehen, sollte eher mal, und überhaupt. Gerne verkeilen sich nach spätestens fünf Kommentaren auch die Räsonierer ineinander. Nach einigen Repliken und Dupliken ist vom Inhalt des kommentierten Artikels keine Rede mehr. Macht dem Autor ungemein Spass, auch wenn es vielleicht etwas des Respekts vor seiner Leistung entbehrt. Aber dennoch, liebe Leser, kommentiert nur weiter. (René Zeyer)