Und dies ausgerechnet in einem Land, in dem, mehr als anderswo, in den Augen der Bürger Staat und Regierung immer an so ziemlich allem schuld sind. François Hollande muss jetzt also auch noch mit dem Image kämpfen, der Präsident zu sein, der den Regen nach Frankreich gebracht hat.
Tulle ist ein Städtchen im zentralfranzösischen Departement Corrèze. Hier liegt Hollandes politischer Stammsitz. Es ist Abend, der 6. Mai 2012 – die Wahl ist gewonnen, die Tanzkapelle spielt auf. Und es regnet.
“Rain man“
Paris, 15. Mai 2012: der Tag der Amtsübernahme. Nicolas Sarkozy verlässt im Trockenen den Élyséepalast. Kurz darauf beginnt es zu schütten. Mindestens drei Anzüge hat Hollande an diesem Tag verbraucht. Der Höhepunkt: die Fahrt im offenen Wagen über die Champs-Élyées hinauf zum Triumphbogen. Am Ende stand der Präsident da, wie ein begossener Pudel. Durch die beschlagenen Brillengläser sieht der Präsident fast gar nichts mehr.
Und so ging es weiter, das ganze Jahr über. Selbst der Staatsbesuch beim König von Marokko Anfang April war ein meteorologisches Desaster. Natürlich wurde Hollande auch bei der Zeremonie am 8. Mai, dem Gedenktag zum Ende des 2. Weltkriegs, wieder nass bis auf die Knochen. „Rain man“ hat ihn die perfide britische Presse schon vor einigen Monaten getauft.
Und natürlich sind letzte Woche, als Angela Merklich im Élysée ihre Aufwartung machte und man bemüht war, den deutsch-französischen Motor wieder anzuwerfen, Wolken aufgezogen, die dunkler hätten kaum sein können. Während der gemeinsamen Pressekonferenz kam dann der regelrechte Wolkenbruch.
Dabei sollte dieses Treffen doch nach Monaten der Misstöne und der « freundschaftlichen Spannungen », wie der Élysée das umschrieben hatte, zu einer strahlenden Demonstration werden. Man wollte zeigen, dass Deutschland und Frankreich bei allen Zwistigkeiten doch noch in der Lage sind, im Rahmen der EU eine gemeinsame Initiative zur Zukunft der Wirtschafts- und Währungsunion einzubringen, um beim kommenden EU-Gipfel etwas anzustossen. So plädieren jetzt die beiden wichtigsten EU-Staaten - wenn auch vorsichtig und verklausuliert - für eine Wirtschaftsregierung und ganz konkret für einen echten, hauptamtlichen Präsidenten der Eurogruppe, der gar mit einem eigenen Budget ausgestattet sein soll.
Hollande und die Souveränität
Frankreichs Präsident war an diesem deutsch-französischen Nachmittag noch etwas angespannt - vom Vortag her. Die EU-Kommission, die Frankreich zum Abbau des Haushaltsdefizits bekanntlich zwei zusätzliche Jahre eingeräumt hatte, hatte es gewagt, öffentlich zu sagen, ja schwarz auf weiss sehr detailliert zu schreiben, welche Reformen und Strukturreformen man im Gegenzug von Frankreich erwarte.
Als Antwort kam ein martialischer Auftritt des als Weichling verschrieenen Präsidenten. In der zentralfranzösischen Stadt Rodez warf er sich – übrigens wieder im Regen – eine fast De Gaulle’sche Pose. Er erklärte die Souveränität für Frankreich als bedroht und verkündete klipp und klar: „Die Kommission hat Frankreich nicht zu sagen, was es zu tun hat“.
Es fällt schwer, sich vorzustellen, wie man angesichts derartiger Reaktionen mit Hollande und mit Frankreich auf dem Weg zu einer politischen Union auch nur ein kleines Stück vorankommen könnte. Es ist traurig, aber wohl wahr - und François Hollande weiss das eben sehr genau: eine Abgabe gewisser Kompetenzen an die EU ist in Frankreich bei der schon lange anhaltenden, derzeit aber besonders ausgeprägten antieuropäischen Stimmung ein hochexplosives Thema und im Grunde einfach nicht machbar. Man spürt schon heute die Angst der etablierten Parteien vor den Europawahlen im nächsten Jahr, wo den virulenten Antieuropäern auf der extremen Linken und der extremen Rechten, Jean-Luc Mélenchon und Marine Le Pen, sensationelle Ergebnisse vorhergesagt werden.
Was kann der Staat?
Gegen die ausgeprägte antieuropäische Stimmung im Land kann François Hollande nicht ankommen. Ebenso wenig gegen das Wetter mit seinen Kälte- und Wassermengenrekorden. Aber selbst das wird er besser nicht laut sagen. Denn wehe ein Politiker wagt es in Frankreich zu äussern, der Staat könne nun einmal nicht alles tun. Eine Welle der Empörung bricht über ihn herein und die nächste Wahl verliert er gewiss.
So geschehen mit Lionel Jospin. 1997 hatte er als frisch ernannter Premierminister versucht, offen und ehrlich zu sein und nicht um die Dinge herum zu reden. Damals kündigte der Autokonzern Renault im belgischen Vilvoorde die Schliessung eines Werks an. Die Regierung Jospin wurde aufgefordert, sie solle etwas dagegen tun. Da wagte der Regierungschef den Satz: „Der Staat kann nicht alles.“ Fünf Jahre später landete er im ersten Durchgang der Präsidentschaftswahlen mit gerade mal 16% der Stimmen hinter Jean-Marie Le Pen und kam nicht in die Stichwahl. Und 15 Jahre später wird ihm dieser Satz noch immer vorgehalten, als sei er eine Ungeheuerlichkeit gewesen.
Fast könnte man denken, François Hollande habe diese Episode im Hinterkopf gehabt, als er sich zur Schaffung des schizophrenen “Ministeriums für den produktiven Aufschwung” verstieg. Diese barocke Bezeichnung soll wohl vor allem signalisieren: der Staat vermag doch noch etwas. Im Grunde aber ist der smarte und umtriebige Minister, Arnaud Montebourg, in erster Linie dazu da, die Illusion aufrecht zu erhalten, dass es tatsächlich so sei. Seit einem Jahr eilt er nun schon von einer Fabrik, die von der Schliessung bedroht ist, zur nächsten. Er gibt sich kämpferisch, glänzt als ehemaliger Anwalt mit bester Rhetorik - am Ende aber bleibt dann doch überwiegend der Eindruck: Der Minister macht vor allem Wind und bedient mit seinem Gestikulieren den linken Flügel der Wählerschaft von François Hollande. Mehr nicht.
Bleibt die Frage, ob es nicht ein wenig verantwortungslos ist, ein derartiges Spiel zu treiben. Im Grunde konnte zum Beispiel beim darniederliegend Stahlwerk im lothringischen Florange niemand ernsthaft daran glauben, dass Präsident Hollande und seine Regierung den Betrieb wirklich verstaatlichen würden. Dies hatte der viel redende Minister Montebourg verkündet. Hinterher musste man allerdings feststellen, dass die verzweifelten Menschen in der Region sehr wohl daran geglaubt hatten. Entsprechend gross war die Enttäuschung und François Hollande hat inzwischen bei den aussterbenden Stahlkochern im Nordosten Frankreichs nicht mehr Sympathien als einst sein Vorgänger Sarkzoy.
Sozialdemokrat - ein Schimpfwort
Mitten im Regen zerbrechen sich - die Sorgen möchte man haben - Frankreichs Kommentatoren dieser Tage die Köpfe darüber, ob François Hollande noch Sozialist ist oder doch schon Sozialdemokrat. Und zudem noch ein heimlicher Sozialdemokrat, einer, der sich schämt, ein solcher zu sein.
Eigentlich stellt sich die Frage „Sozialist oder Sozialdemokrat“ ja schon seit langem nicht mehr. Doch Frankreichs Linke betreibt bei diesem Thema seit Jahrzehnten inbrünstigste Nabelschau.
Als François Hollande jüngst zur 150-Jahr-Feier der deutschen Sozialdemokratischen Partei nach Leipzig gereist war und dort fast so etwas wie ein Loblied auf die Sozialdemokratie gesungen hat, wurde ihm das zu Hause auf der Linken fast als Vaterlandsverrat ausgelegt. Es ist, als wäre in Frankreich auch im Jahr 2013 das Wort Sozialdemokratie noch so etwas wie ein Schimpfwort. Als Mitglied der Sozialistischen Partei aber müsse man unbedingt weiter so tun, als wäre die nächste Revolution nicht mehr weit und der Kapitalismus noch abzuschaffen. Ein Teil der französischen Sozialisten liebt dieses Schattenboxen offensichtlich über alles und gaukelt sich einfach liebend gerne etwas vor.
Frankreichs Sozialisten
Denn, Hand auf Herz: War denn etwa 1971 der Gründer der Partei, François Mitterrand, ein Sozialist? So einer mit dem Messer zwischen den Zähnen? War der im ultrarechten Milieu aufgewachsene Grossbürgerssohn aus der streng katholischen Provinzbourgeoisie… ein Sozialist? Der Jurastudent im Paris der 30-er Jahre, der an ultrarechten Demonstrationen teilgenommen hat, der Innen – und Justizminister Mitterrand, der in den 50er-Jahren in Algerien ohne mit der Wimper zu zucken die Folter zugelassen hatte – ein Sozialist? Eher ein Machiavell, der, um an die Macht zu kommen, die Kommunisten mit ins Boot gezogen hatte, um sie dort ausdörren lassen. So etwas konnte Mitterrand perfekt. Aber ein Sozialist? Nicht einmal ein Sozialdemokrat. Weite Teile der alten Bourgeoisie Frankreichs wussten 1981 ganz genau, wer Mitterrand wirklich war und haben teilweise für ihn gestimmt, einfach weil sie Giscard d'Estaing nicht mehr ertragen konnten. Wäre dem nicht so gewesen, hätte Mitterrand damals die Wahl nie gewinnen können.
Laurent Fabius, den Mitterrand 1984 zum jüngsten Premierminister aller Zeiten ernannt hatte, Spross einer Dynastie von reichen Antiquitätenhändlern – „mit einem silbernen Löffel im Mund zur Welt gekommen“, wie die Franzosen so schön sagen, - ein Sozialist?
Gewiss, Lionel Jospin, der ehemalige sozialistische Premierminister, war einst sogar Trotzkist gewesen und hatte bei den Sozis Anfang der 70er-Jahre die trotzkistische Strategie des Entrismus praktiziert. Doch unter seiner Regierung sind von 1997 bis 2002 in Frankreich so viele Betriebe privatisiert worden, wie nie zuvor und nie danach. Vor allem aber sind damals die Genossen an der Basis, die Arbeiter und die so genannten kleinen Leute, der Sozialistischen Partei (PS) scharenweise davon gelaufen. Der PS war in jenen Jahren definitiv zu einer Partei der Lehrer, der Beamten und der Mittelschicht geworden, die den Kontakt zu den Geplagten dieser Gesellschaft weitgehendst verloren hatte.
Und man denke schliesslich an Dominique Strauss-Kahn, den Grossbürger und Lebemann, mit der Millionen-schweren Ex-Frau. An einem der teuersten Plätze von Paris besitzt er eine Wohnung und in Marrakesch einen Palast. Seine Freunde fahren stets die neuesten Porsche. Er war war gewiss ein ganz besonders hart gesottener Sozialist…
Nicht zu vergessen Monsieur Cahuzac, der gechasste sozialistische Haushaltsminister mit seinem Konti in der Schweiz und in Singapur. Wollte er vielleicht Revolution machen und dem Kapitalismus an die Gurgel?
Publikum will, dass er verliert
Von wegen „Le changement, c'est maintenant”. Dass dies ein Wahlkampfspruch war und sonst nichts, wusste im Grunde jeder in Frankreich. Der Sozialist/Sozialdemokrat Hollande, der im Mai 2012 sein Amt antrat und vorfand, was er vorfand, nämlich einen ziemlich katastrophalen sozialen und ökonomischen Zustand des Landes, tat einem eigentlich damals schon leid. Er hat gewonnen, weil Nicolas Sarkzoy für eine Mehrheit der Franzosen einfach nicht mehr tragbar war, aber nicht weil die Menschen in Frankreich wirklich glaubten, Hollande könne grundsätzlich etwas ändern.
Eine wunderschöne Metapher auf Hollandes bisherige Amtszeit und seine Schwierigkeiten hörte man dieser Tage aus dem Mund des ehemaligen Tennis-Stars Yannick Noah, der sich zum erfolgreichen Sänger und Musiker gewandelt hat und nach wie vor einer der populärsten Franzosen überhaupt ist. Er verlegte zur Verteidigung Hollandes den Präsidenten und seine Politik in ein Tennisstadion: „Er tritt an und das Spiel ist einfach ein Mist, die Bälle sind schlecht, der Platz ist ein Acker, die Schiedsrichter sind korrupt und das Publikum wünscht sich, dass er verliert.“
Nebenbei bemerkt: Noah ist zur Zeit in aller Munde, weil das Tennisturnier in Rolland-Garros läuft und er vor exakt 30 Jahren der letzte Franzose war, der es gewonnen hat. Das ist noch länger her als der letzte Tour de France-Sieg eines Franzosen - Bernard Hinault, 1985. Diese zwei Fetstsellungen reichten dieser Tage schon aus, damit das grosse Wehklagen über die mutmassliche Dekadenz des Landes wieder einsetzte: 30 Jahre kein Rolland-Garros-Sieger, seit 28 Jahren kein Franzose im Gelben Trikot am Ende einer Tour de France – ein weiterer Beleg dafür, dass es um dieses Land einfach schlecht bestellt ist.
Selbstredend ist dieses Jahr natürlich auch das Tennisturnier in Rolland-Garros verregnet. Und entsprechend der Tendenz müsste es auf der 100. Jubiläumsausgabe der Tour de France im Juli auf den Bergetappen sogar schneien, wahrscheinlich gerade an dem Tag, an dem der Präsident, wie üblich, im offenen, roten Wagen des Tour-Direktors sich zwei Stunden lang den Fernsehkameras und dem Publikum am Strassenrand darbieten wird.
Homoehe – die erste
Wenigstens in Montpellier hat es am letzten Mittwoch aber nicht geregnet. Nach Monate langen öffentlichen und parlamentarischen Debatten und einem halben Dutzend Grossdemonstrationen der Gegner, ist dort das Gesetz über die Homo-Ehe erstmals angewandt worden. Am Mittwoch Punkt 18.02 Uhr gaben sich in der südfranzösischen Stadt zwei Männer das Ja-Wort.
Es war eine Trauung, die sogar auf der offiziellen Webseite der Stadt Montpellier per Video übertragen wurde. Eine Trauung vor 500 geladenen Gästen, bedrängt von über 200 Journalisten mit einer Armada aufgereihter Kameras wie bei einem G 8-Gipfel.
Bräutigam und Bräutigam, Bruno und Vincent, beide knapp 40, zogen begleitet von Musik wie zwei Rockstars in den grössten Saal des Rathauses ein, tauschten ein paar erste Küsse für die Kameras und standen schliesslich vor der sichtlich bewegten Bürgermeisterin mit blau-weiss-roter Schärpe über der Brust.
Die sprach von einem historischen Tag für Frankreich, einem historischen Tag für die Republik. Die persönliche Geschichte des gleichgeschlechtlichen Paars begegne an diesem Tag der Geschichte eines ganzen Landes und einer Gesellschaft, die sich nach vorne bewege und Diskriminierungen bekämpfe.
Im Blitzlichtgewitter dann die ganz normal klingenden Fragen, ob der eine den anderen zum Ehemann nehmen wolle, auf die ein dünnes Ja vom einen und ein überzeugtes, festes Ja vom anderen folgten. Die Standesbeamtin war beim Verlesen des Ehevertrags so gerührt, dass sie in Tränen ausbrach und nach einem Taschentuch flüstern musste, bevor zum Klang von Frank Sinatras „Love and Marriage“ die Ringe ausgetauscht werden konnten.
Einer der beiden Bräutigame fand, trotz aller Aufregung und trotz des Getümmels auch noch die richtigen Worte mit Blick auf all die mittelalterlichen Anfeindungen, rechtsradikalen Ungeheurlichkeiten und zahlreichen Gewaltakte der letzten Monate, die die Einführung der Homo-Ehe begleitet hatten: „In meinen Augen ist das heute einfach ein Symbol für die Liebe, die über den Hass triumphiert hat. Man muss sich lieben in unserer Gesellschaft. Das Leben ist so schon schwer genug. Deswegen beschwöre ich euch: „Liebt euch, liebt uns, lieben wir uns, das ist wichtig!“
Die 200 Ordnungskräfte, die die Zeremonie vor Gegnern der Homo-Ehe schützen sollten, verbrachten an diesem Mittwoch einen ruhigen Abend und das Brautpaar konnte sich sogar auf dem Balkon des Rathauses von einer freudigen Menge feiern lassen. Und wie gesagt: Es hat nicht geregnet.