Das Gemeinsame dieser drei Ereignisse besteht darin, dass sie jedes für sich grotesk sind:
-- Da gibt es eine Ministerin für Bildung und Forschung, Annette Schavan, der nach langem Hin und Her von zögerlichen Wissenschaftlern klar und deutlich einer der schwerwiegendsten Verstösse im Ethos der Wissenschaften bescheinigt wird: absichtliche Täuschung zur Erlangung der Doktorwürde.
-- Die Planung des Grossprojekts "Stuttgart21" scheitert an der Planung. Das Projekt scheitert nicht am Widerstand sogenannter Wutbürger. Es scheitert, weil die Experten sich übernommen haben. Es scheitert, weil die Planer den Politikern nicht mehr sagen können, was das Ganze kosten wird, und sich die Politiker nicht mehr daran erinnern können, warum zum Teufel sie damals unbedingt diesen Bahnhof wollten.
-- Das neue Gebührensystem der ARD scheitert nicht an irgendwelchen querulatorischen Beitragsmuffeln, sondern weil der öffentlich-rechtliche Rundfunk einschliesslich eines so renommierten Experten wie dem Verfassungsrechtler Paul Kirchhoff sowie zahllosen Spezialisten für Verwaltungsfragen und ebenso zahllosen zuständigen Politikern ein System kreiert hat, das wiederum Kommunen, Wirtschaftsunternehmen und Kirchen auf die Barrikaden treibt.
Das sind drei Grotesken, für die ein Autor, wenn er sie erfunden hätte, von jedem Verlag abgewiesen würde: "Wem wollen Sie denn das erzählen?"
Ohne Zeitdruck
Weiterhin ist diesen drei Ereignissen gemeinsam, dass keines von ihnen als Resultat enormen Zeitdrucks oder „unvorhersehbarer Umstände“ gedeutet werden kann. Frau Schavan hatte Zeit zum Täuschen, und sie hatte seit dem Beginn der Diskussion um ihre „Doktorarbeit“ viel Zeit , den Ausgang zu bedenken. "Stuttgart21" wurde ausführlich geplant und beraten, und es ist nicht bekannt, dass der Entschluss zur Realisierung übers Knie gebrochen worden wäre. Und das neue Gebührensystem der ARD wurde auch nicht in Krisensitzungen à la Griechenlandrettung beschlossen.
Schamlosigkeit
Die dritte Gemeinsamkeit der drei Grotesken liegt in ihrer Schamlosigkeit: Frau Schavan, die sich vor gar nicht so langer Zeit kokett für ihren ebenfalls des Plagiats überführten Ministerkollegen Karl Theodor zu Guttenberg „nicht nur öffentlich“ schämte, scheint damit ihr Schämen restlos verbraucht zu haben.
Die Bahn, für deren exakte Planung die Kursbücher geradezu symbolisch waren, ist unter die Abenteurer gegangen – und die verantwortlichen Politiker gleich mit. Den Bürgern von Stuttgart, die aus schierem Entsetzen über die Zerstörungen ihres Parks beim bisherigen Bahnhof mit dem alten Baumbestand aufbegehrten, wurde Irrationalität bescheinigt. Jetzt versuchen die verantwortlichen Politiker, allen voran der Bundesminister für Verkehr, Peter Ramsauer, heimlich, still und leise, die Kartoffeln aus dem Feuer zu holen. Das ist schamlos. Eine Entschuldigung müsste am Anfang jeder weiteren Diskussion über das Projekt stehen. - Das würden übrigens auch einige frustrierte CDU-Politiker in Stuttgart so sehen.
Und es ist schamlos, dass die ARD ihr neues Gebührensystem in eine Art Steuer verwandeln wollte, ohne diese verfassungswidrige Tatsache beim Namen zu nennen und sich statt dessen von Zuflüsterern Ausdrücke wie „Kulturabgabe“ oder „Kulturtaxe“ servieren zu lassen. Der staatstragende Rundfunk wird wird jetzt von staatstragenden Institutionen schärfer attackiert als jemals zuvor von den linkesten Studentenvereinigungen. Angesichts dessen müssten alle Sender und Intendanten in den Boden versinken.
"Wir alle sind irgendwie Gauner"
Aber worin liegt das Problem? Es liegt darin, dass auf der politischen Bühne alle rationalen Geltungsansprüche und damit die wichtigste Legitimation des Handelns staatlicher Gewalt in die Bedeutungslosigkeit gejagt werden. Doktorarbeit? War da was? Ich war damals jung und brauchte den Titel. - Bahnhofsprojekt? Na gut, wir haben es versucht. Und immerhin: Wir haben vom gescheiterten Flughafen in Berlin gelernt! - Gebührenerhöhung? Nun gut, wer würde nicht versuchen, Geld aus möglichst vielen Taschen zu ziehen?
„Seien wir doch mal ehrlich: Wir sind doch alle irgendwie Gauner.“ - Ist das die Botschaft, die uns die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung nahebringen wollen? Früher war es die Domäne der Konservativen, vor der Auflösung des Staatswesens durch Umtriebe, die „von unten“ kommen, zu warnen. Heute wäre es die Aufgabe von Konservativen, den mehr als leichtfertigen Umgang mit der Glaubwürdigkeit staatlicher Instanzen „von oben“ in aller Schärfe anzuprangern.