Zu den spannenden politischen Phänomenen der letzten Zeit gehört das sich Ausbreiten der Piraten-Partei in Deutschland. Sie dringt in die Parlamente der Länder ein und könnte ohne Weiteres auch im nächsten Bundestag vertreten sein. Eine Partei der Parteikritiker, eine Partei der prononcierten Widersprüche, was unter anderem dazu führt, dass die Piraten auch eine Partei ohne Parteiprogramm sind. Auf was für einen Wortlaut könnten sie sich schon einigen? Der Chef ihrer Berliner Fraktion, Christoph Lauer, hat es kürzlich an einem Podiumsgespräch auf den Punkt gebracht: „Wir haben es geschafft, eine gemeinsam empfundene politische Unzufriedenheit zu bündeln und uns dafür wählen zu lassen.“
Piraten überfallen Schiffe im Meer und eignen sich an, was sie an Gütern vorfinden. Das Meer der modernen Piraten ist das Internet und was sie sich aneignen, sind urheberrechtsgeschützte Kulturprodukte. Was ausserhalb der Reihen ihrer Anhänger niemanden freut. Viel nützlicher als diese digitale Piraterie ist doch das Bewirtschaften, das „Bündeln“ der wahrhaftig allgemein empfundenen politischen Unzufriedenheit – mit den klassischen Parteien. Denn was die, ohne Ausnahme (nicht nur in Deutschland), angesichts einer brandgefährlichen Krise an Hilflosigkeit, Unfähigkeit, schäbigstem Opportunismus produzieren, ist nicht zu fassen. Da kann man verstehen, dass es verzweifelte Wähler vorziehen, mit den Piraten ohne Programm aufs Meer ins Ungewisse zu segeln, statt mit den etablierten Parteien vorprogrammierte Havarie zu erleiden. (Christoph Kuhn)