Die Kunst des Bauens ist keine abgeschottete Disziplin. Sie greift auf vielfache Art ins Leben ein. So liegt es denn nahe, dass ein massgebender Architekt wie Zumthor sich mit Grössen aus anderen Bereichen austauscht: mit Künstlern, Philosophen, Komponistinnen, Handwerkern, Schriftstellerinnen, Filmemachern. In der neuen Publikation «Dear to me» sind 18 Gespräche aus einer Veranstaltungsreihe des Kunsthauses Bregenz gesammelt.
2017 erhielt Peter Zumthor von der Leitung des Kunsthauses Bregenz die Gelegenheit, das von ihm projektierte Gebäude nach seinen Vorstellungen zu bespielen. Zumthor veranstaltete «ein grosses Fest der Künste» unter dem Titel «Dear to Me», was etwa mit «meine Herzensangelegenheiten» übersetzt werden kann. Nebst den Installationen von eingeladenen Kulturschaffenden führte er während der knapp viermonatigen Dauer der Ausstellung zahlreiche Gespräche, die nun vom Verlag Scheidegger & Spiess veröffentlicht werden. Zumthor steht dabei nicht im Zentrum des Interesses, und doch deckt jedes Gespräch bestimmte Facetten seiner Persönlichkeit und seiner Arbeitsweise auf.
In der Zeit zwischen 17. September 2017 und 21. Mai 2019 interviewte er 17 Personen aus unterschiedlichen Bereichen: Künstler, Philosophen, Komponistinnen, Handwerker, Schriftstellerinnen, Filmemacher – neun Frauen und acht Männer, somit auffällig ausgeglichen, als ob Zumthor Kritik wegen allfälliger Einseitigkeiten von Anfang an im Keime ersticken wollte. Die Auswahl bezeugt das umfassende Interesse von Zumthor an Fachgebieten, die nur am Rande mit Architektur zu tun haben.
Das erinnert an seinen Berufskollegen Stephen Bates, dem die Auseinandersetzung mit Fachpersonen aus anderen Sparten so wichtig ist, dass er die Diskurse ebenfalls veröffentlichte. 13 Treffen mit Zumthor fanden im Kunsthaus Bregenz statt, drei weitere in den Räumlichten der ETH Zürich und das letzte schliesslich in der Augustinerkirche Zürich, wobei dieses aus dem Rahmen fällt, weil in diesem Falle Zumthor selbst befragt wird.
Erinnerungen und Handwerk
Eine Frage wird fast allen Teilnehmenden gestellt. Welche Erinnerungen knüpfen diese an ihre allerersten Wohnhäuser? Die Antworten haben kaum etwas mit Architektur zu tun, es geht um Eindrücke von Räumen, von Lichteinfällen, von Einrichtungen, von der Umgebung. Und doch ist davon auszugehen, dass Zumthor als aufmerksamer Zuhörer solche Impressionen bei seinen Entwürfen berücksichtigen möchte.
Immer wieder wird die Bedeutung des Handwerks hervorgehoben, explizit im Gespräch mit Rudolf Walli, der als Zimmermann mit dem Architekten mehrere Holzhäuser konstruierte, oder in der Befragung der jungen Künstlerin Claudia Comte, die ihre Holzskulpturen bewusst in mühseliger Handarbeit zur Museumsreife bringt. Hélène Bidet, die für Zumthors inzwischen gesuchtes Buch «Häuser» die Aufnahmen hergestellt hat, bevorzugt die analoge Fotografie deswegen, weil sie damit gerade mit der hierfür notwendigen Handarbeit einen Trancezustand erreichen kann.
Es erstaunt denn auch nicht weiter, dass Zumthor wiederholt seine Skepsis in Bezug auf den übermässigen Einsatz des Computers im Entwurfsprozess formuliert. Im Gespräch mit Aleida Assmann meint er: «Der Computer hat keinen Massstab mehr. Das Handzeichnen war eine andere Kultur, ich bin, glaube ich, noch der Einzige in meinem Atelier, der zeichnet, der Rest passiert am Computer.»
40’000 Bücher als Kunst-Installation
Dass bei Architekturwettbewerben immer mehr Renderings – das sind vom Computer erzeugte Visualisierungen der Entwürfe – verlangt werden, erachtet Zumthor als Problem. «Aber das kann ich nicht, denn bei mir im Kopf ist das Gebäude noch nicht fertig.» Und Walter Lietha gegenüber bemerkt er erfrischend ironisch: «Ich bin froh, dass ich Architekt bin. Die Häuser sind immer noch Häuser. Die virtuellen Häuser sind einfach nicht so gemütlich am Samstagabend.» Lietha sammelte als Antiquar über 40’000 Bände, die Zumthor ins Kunsthaus Bregenz transportieren und für die er gerundete Regale herstellen liess, die ein ganzes Geschoss einnahmen. So wie Lietha damit seine Liebe zum Papier als Schriftträger manifestierte, so möchte Zumthor nach wie vor für das Primat der Skizze und des Modells im Entwerfen einstehen.
Wenn Zumthor baut, dann – dies wird in den Gesprächen wiederholt angedeutet – wird der Ort auch in Bezug auf die historische Dimension untersucht. Selbst die Landschaft wird durch die Geschichte, durch die Eingriffe der Menschen bestimmt. Da trifft er sich mit Karl Schlögel, dem Spezialisten für osteuropäische Geschichte, der aufgrund seiner Stadtwanderungen zahlreiche Publikationen herausgegeben hat. Für ihn sind nicht nur die üblichen in Archiven abgelegten Quellen aufschlussreich, sondern auch Adressbücher, die immer wieder Überraschendes über die Benutzung von Gebäuden aufdecken, aber auch Kursbücher, die den öffentlichen Raum betreffen. Aleida Assmann gegenüber nennt Zumthor als eine wichtige Weichenstellung für sein Interesse an der geschichtlichen Verwurzelung von Orten seine Arbeit für die Bündner Denkmalpflege; rund zehn Jahre beschäftigte er sich mit der Baukultur der alpinen Bevölkerung, und dies mit wachsender Bewunderung.
Das innere Kino
In die Fragen und Antworten streut Zumthor Anmerkungen zu seiner Arbeitsweise ein. Im Gespräch mit Rudolf Walli erwähnt er, dass er ein Bild habe, «wie etwas aussehen müsste, meistens von innen, manchmal auch von aussen, oder auch beides. Das ist wie ein Kinobild, ein inneres Bild, in der Regel farbig. Ich sehe das und gewisse Dinge sind nicht so scharf; das sind die Dinge, die ich noch nicht weiss. Viel später im Prozess muss ich genau hinschauen, um zu sehen, welches Detail das Haus oder das Gebäude oder diese Ecke haben müsste. Aber sie sind irgendwie schon im Bild enthalten.»
Um Bilder im weitesten Sinne geht es im faszinierendsten Gespräch; es ist die Begegnung mit dem Filmemacher Wim Wenders. Da treffen sich zwei unkonventionelle Kulturschaffende auf derselben Bühne. Zudem gewährt Wenders Einblicke in seine Arbeit, so etwa in die Entstehung seines wohl berühmtesten Filmes, «Himmel über Berlin». Eher beiläufig deutet Wenders an, dass er einen Film über Zumthor machen möchte. Die Internetrecherche deckt auf, dass dies nicht einfach so daher geplaudert war, sondern dass tatsächlich ein solcher Film am Entstehen ist und wohl 2023, zum 80. Geburtstag von Zumthor, vollendet sein wird.
Dear to Me. Peter Zumthor im Gespräch, 18 Hefte in Schuber, Scheidegger & Spiess Zürich 2021, ISBN: 978-3-03942-009-4, CHF 160