Auf dem Radar hatte ich Sergison Bates Architects nicht, doch schon ein Blick auf die Preise, die das in Zürich und London domizilierte Büro bis anhin eingeheimst hat, lässt erahnen, dass wir es hier mit Baumeistern zu tun haben, die zur ersten Liga gehören. Beeindruckend ist auch die Publikationsliste mit etlichen architekturtheoretischen Studien. Aber auch die Aufzählung der Ausstellungen lässt sich sehen, worunter die Auftritte von 2008, 2012 und 2018 an der Architekturbiennale in Venedig besonders auffallen.
1996 gründeten Stephen Bates und Jonathan Sergison das Studio in London, das 2010 mit einer Niederlassung in Zürich erweitert wurde. 2006 wurde Mark Tuff, der seit Anbeginn zum Team gehörte, Partner des Büros. Der Gewinn des bedeutenden Wettbewerbes für das Kanal-Pompidou-Museum für Moderne und Zeitgenössische Kunst in Brüssel, zusammen mit EM2N, veranlasste das Team 2019, auch in Brüssel eine Zweigstelle einzurichten.
Schwergewicht bei Wohnbauten
Dass Sergison Bates archtects im Museum Bellpark einen Einblick in ihr Schaffen gewähren, ist auch einem Projekt in Kriens selber zu verdanken, das 2009 im Rahmen des Zentrumswettbewerbes erarbeitet wurde, aber nicht zur Ausführung gelangte. Es handelt sich um ein Wohngebäude, das laut Hilar Stadler und Gerold Kunz, den Kuratoren der Ausstellung, die Essenz einer Agglogemeinde am besten erfasst habe.
Das Schwergewicht der Präsentation in Kriens bilden die Bauten für das Wohnen der vergangenen zehn Jahre, das heisst, seit der Eröffnung des Züricher Büros. Wohnbauten geben selten Gelegenheit, mit einem spektakulären Formenrepertoire aufzufallen. Die Arbeit muss sich auf unzählige Details konzentrieren, der Dialog zwischen dem Neuen und dem Bestehenden wird zentral. Es müssen Fragen der Materialität geklärt werden. Man muss sich mit den Wünschen der Bauherrschaften in Bezug auf Ausnützung auseinandersetzen. Und nicht zuletzt geht es um die Strukturen der einzelnen Wohnungen. Letzteres erscheint einfach, weil das Rad ja nicht immer neu erfunden werden kann; und doch muss es immer wieder von Grund auf analysiert werden.
Das Ausstellungsplakat zeigt einen labyrinthisch anmutenden Grundriss mit vielen Ecken, Rundungen, Abschrägungen – ein 2017 entwickeltes Wohnbauprojekt in London. Dass man dabei an die Bauweise des 19. Jahrhunderts denkt, ist kein Zufall, denn die Architekten kamen zu dieser Lösung aufgrund einer eingehenden Untersuchung der bestehenden Quartierbebauung. Vielleicht würden einige diesbezüglich von analoger Architektur sprechen.
Auch auf dem A3-Ausstellungsbegleiter zu den dreissig im Obergeschoss mit Plänen, Fotos und Modellen gezeigten Werken sind Grundrisse gedruckt. Dies zeigt, dass das Ringen um die Organisation der Räume im Schaffen der Architekten zentral ist. Im Unterschied zu den Grundsätzen des Neuen Bauens mit der Forderung nach dem freien Grundriss, nach dem Raumkontinuum, scheinen hier viele Räume klar definiert und somit nicht verhandelbar zu sein. Sie funktionieren wie ein Uhrwerk, in dem jedes Rädchen seinen Platz hat, ohne dass es eine Möglichkeit gibt, nachträglich Veränderungen vorzunehmen. Alles ist aufeinander abgestimmt. Erst mit der Festlegung der räumlichen Ordnung ergeben sich die Fassaden und die plastische Komposition der Baukörper. Sergison Bates Architects haben in Bezug auf die Verkleidung eine Vorliebe für den Klinker, womit sie an die Backsteinkultur gerade auch in den englischen Vorstadtquartieren des viktorianischen Zeitalters anknüpfen.
In der Mitte der Ausstellungsräume des Museums Bellpark zeugen verschiedene Modelle auf grossen Tischen von der Faszination für das Handwerkliche im Entwurfsprozess. Zeichnungen neben den Grundrissplänen stehen für das Bekenntnis zur Handskizze, auch wenn der Computer selbstverständlich als Arbeitswerkzeug akzeptiert wird. Es ist noch eine dritte Dimension in diesem schon fast traditionell zu nennenden Ringen um Lösungen zu nennen, das Schreiben, und zwar, wie Jonathan Sergison in der Begleitpublikation bekennt, das Schreiben von Hand auf Papier.
Erzwungener Aufschub, kreativ genutzt
Diese Publikation ist einzigartig aus verschiedenen Gründen. Ursprünglich sollte die Ausstellung schon im Mai 2020 eingerichtet werden. Sie musste aufgeschoben werden, und das nutzen die Architekten, um den vorgesehenen Katalog durch eine Schrift zu ersetzen, die sich nahtlos an ihre Textsammlung anschliesst. In der Zeit vom 14. Juli bis 16. September 2020 führten sie meist online zehn Gespräche mit Architekten, Architektinnen, Dozentinnen und Kunsthistorikern, mit denen sie schon seit längerer Zeit in Kontakt standen, teilweise sogar zusammenarbeiteten oder deren Schriften sie stark beeinflussten.
Die Bedeutung des Schreibens im Denken von Sergison Bates Architects, das nebst dem Bauen und dem Lehren zu ihren drei Grundpfeilern gehört, wird am besten im Gespräch mit Martin Steinmann erläutert. Hier tun die drei Gesprächsteilnehmer ihre Sicht und ihre Strategie beim Verfassen von Texten kund. Für Sergison Bates Architects ist Schreiben die Chance, Gedanken zur und über die Architektur zu ordnen.
Einblick in die Komplexität des Bauens
Die Gespräche ergeben in ihrer Summe einen hervorragenden Einblick in die Komplexität des Bauens: Es ist die Analyse der Stadt, es ist die Befragung der Geschichte, es ist die Auseinandersetzung mit wichtigen Vorbildern, es ist die Erforschung der Materialien, es ist das Reagieren auf die Herausforderung Nachhaltigkeit und vieles mehr.
Sergison, Bates und Tuff erlebt man als Leser nie als besserwissende, arrogante Stars, die keine Widerrede dulden, sondern als Zweifler, als Suchende, als Forschende, die nicht den Anspruch haben, dass sie mit ihren Werken Meilensteine für die Ewigkeit setzen. Man erfährt auch einiges über ihre Vorbilder, allen voran Robert und Alison Smithson, dann aber auch Roger Diener, mit dem sie das allererste Gespräch führten. Da ist eine Seelenverwandtschaft spürbar, zumal das Schaffen von Diener wesentlich bedingt ist durch das Erforschen der Beziehung von Einzelgebäude und Stadt sowie auch durch das Ertasten von Wohnformen in einer Stadt.
Mit Ludovica Molo, der derzeitigen Präsidentin des BSA und Dozentin an der Hochschule Luzern Technik & Architektur betonen sie die wertvollen Anregungen, die sie in der Begegnung mit Studenten und Studentinnen erhalten. Molo teilt die Überzeugung von Sergison und Bates, dass Lehren zugleich ein Lernen ist. Mit den Zürcher Architekten Oliver Lütjens und Thomas Padmanabhan fachsimpeln sie über das Konstruieren von Modellen in verschiedenen Materialien und Massstäben.
Eine besondere Hommage gilt Marina Aldrovandi, welche für die Redaktion der Texte verantwortlich ist. Sie sei für das Team so etwas wie ein Bullshitradar, weil sie gnadenlos auf Unverständliches hinweise und Korrekturen verlange. Aldrovandi heftet am Schluss der Publikation eine amüsante Liste von Fehlleistungen an, die sich bei der automatischen Verschriftlichung des Gesprochenen ergeben haben. «Alison and Peter Smithson» erfasste der Computer als «Alison, Peter, listen» bzw. «Alison and pizza Smithson». Für «Kriens» wurde «creams» und für «Mario Campi» gar «Mario can pee» vorgeschlagen. Für James Joyce wäre diese Zusammenstellung von Errors ein gefundenes Fressen gewesen.
Die Ausstellung «The Practice of Architecture» im Museum Bellpark Kriens dauert noch bis 11. Juli.
Publikation: Gerold Kunz/Hilar Stadler/Stephen Bates/Jonathan Sergison/Mark Tuff: On and around architecture. Ten conversations, Park Books/Museum im Bellpark Zürich/Kriens 2021