Zwischen 1929 und 1965 erschienen unter Aufsicht von Le Corbusier acht Bände mit der Präsentation seiner Werke. Seither ahmen zahlreiche Architekten den Meister nach, nicht immer erfolgreich. Der Verleger Dino Simonett offeriert im Zusammenhang mit dem Schaffen von Herzog & de Meuron eine bemerkenswerte Alternative.
Bei Architektur-Werkausgaben ist zu differenzieren zwischen Publikationen, die von Kunsthistorikerinnen und Kunsthistorikern nach dem Hinscheiden der Architekten betreut werden, und denjenigen, die von tätigen Baumeistern initiiert werden. Im ersten Falle werden für den Gesamtkatalog akribisch alle verfügbaren Dokumente ausgewertet und architekturkritisch gewichtet. Im zweiten Falle versuchen Architekten die Rezeption zu steuern, zunächst mit aufwändigen Reihen, die einen Wettbewerbsvorteil gegenüber Konkurrenten bedeuten.
Le Corbusier, der in seinem „Oeuvre complète“ das Frühwerk fast vollständig ausblendete, hat mit seiner Publikation Massstäbe gesetzt und viele Architekten dazu motiviert, ähnliche mehrbändige Werkkataloge zu lancieren, etwa Alvar Aalto, Renzo Piano, Norman Foster, Peter Zumthor, Mario Botta, Herzog & de Meuron.
Übungsabbrüche, Intimes und ein Murks
Nicht alle Reihen überzeugen. Bemerkenswert ist die leider abgebrochene Übersicht über das Gesamtwerk Fosters, die vom international gefeierten Grafiker Otl Aicher betreut wurde. Nach dessen Tod begann Foster sozusagen von vorne und gab die inzwischen auf sechs Bände angewachsene Sammlung neu heraus.
Persönlich intim ist die Rückschau von Peter Zumthor, der ehrlich über seine Erfolge, aber auch über das Scheitern schreibt. Ein Rohrkrepierer scheint das Produkt aus dem Hause Botta zu sein. Die drei Bände mit detaillierten Informationen über jedes einzelne Werk decken lediglich die Zeit bis 1997 ab. Seither herrscht diesbezüglich Funkstille.
Ein Murks scheint das Verzeichnis der Arbeiten von Herzog & de Meuron zu sein. Bis anhin erschienen fünf Bände, welche die Phase von 1978 bis 2007 ausleuchten – jedoch mit einer Lücke zwischen 2002 und 2004, die vom noch nicht erschienenen, aber schon seit längerer Zeit angekündigten fünften Band gefüllt werden müsste. Das Layout wurde nach dem zweiten Band von einem anderen Team entwickelt, leider verbunden mit einer Verminderung der Lesbarkeit. Die Bände sind bis zur Grenze des Erträglichen vollgestopft mit Texten, Plänen, Skizzen, Modellstudien und Aufnahmen der realisierten Bauten.
Hommage an die grossen Basler
Der Basler Verleger Dino Simonett wagt gleichsam den Befreiungsschlag und präsentiert das Gesamtwerk von Herzog & de Meuron in einem einzigen, 272-seitigen Band. Ausgangspunkt war nicht ein Auftrag des Architekturbüros, sondern des Verlegers eigene Neugier. Er versteht das Buch nicht nur als eine persönliche Annäherung, sondern auch als eine Hommage an die Baukünstler, die der Stadt Basel wichtige Denkmäler geschenkt haben.
Im Vorwort schildert Simonett, wie er Abend für Abend Bilder der Projekte von Herzog & de Meuron gesammelt und in einen vorgefertigten Rahmen eingefügt hat. Jedes einzelne Werk der inzwischen auf 500 Nummern angewachsenen Liste ist mit einer Aufnahme dokumentiert. Es gibt allerdings einige Leerstellen, teilweise sogar ohne Nennung des Projektes.
Wie dem auch sei, wer sich über das Oeuvre complète von Herzog & de Meuron informieren möchte, hat mit dem bescheidenen Band von Dino Simonett alles, was man hierfür benötigt. Jedes einzelne Exemplar wird durch ein spezielles Druckverfahren für den Einband sogar zu einem Unikat. Störend ist lediglich der Text von Michel Kessler, der seine Intellektualität mit einem Schwulst an Fremdwörtern demonstrieren möchte. Auch bei wiederholter Lektüre war es dem Rezensenten nicht möglich, so etwas wie nachvollziehbare Hauptaussagen zu erfassen.
Eine solche Zusammenstellung in Buchform müsste im Grunde genügen, um Le Corbusiers Steilpass anzunehmen. Präzisere Einblicke in Einzelwerke könnten digital angeboten werden. Für Herzog & de Meuron scheint dieser Zug jedoch abgefahren zu sein, oder aber sie ringen sich dazu durch, die Übung ihrer Gesamtausgabe nach fünf Bänden abzubrechen, was einem Scheitern gleichkäme. Und Scheitern ist in diesem weltweit agierenden Büro nicht vorgesehen.
Herzog & de Meuron 001–500. Index of The Work of Herzog & de Meuron 1978–2019, Simonett & Baer, Basel 2019. Der Verlag bietet nebst einer Paperbackversion eine auf 2000 Exemplare limitierte Auflage mit Leineneinband an sowie in gleicher Aufmachung eine Sammleredition von 200 von Jacques Herzog und Pierre de Meuron signierten Exemplaren.