Die Abgeordneten blockierten damals eine Untersuchung gegen einen der Korruption beschuldigten Oligarchen. Dieser verfügte als Abgeordneter und Oppositionsführer im Parlament über mehr Einfluss als die Regierung.
Das Machtmittel des Präsidenten
Zatlers benutzte den Vorfall im Mai, um in einer emotionalen Ansprache die Geringschätzung des Rechts anzuprangern und das erst im November 2010 gewählte neue Parlament aufzulösen. Damit benutzte er als erster Präsident im neuen Lettland ein Machtmittel des sonst mit wenig Macht ausgerüsteten Staatsoberhaupts.
Das Parlament versagte ihm darauf die Wiederwahl und wählte aus Rache einen neuen Präsidenten. Es wurde erwartet, dass eine Mehrheit der Stimmenden die Empörung Zatlers teilen und im Referendum der Parlamentsauflösung zustimmen werde. Die Abstimmung am 23. Juli überschritt nun spielend die vorgeschriebene Mindestbeteiligung von 50 Prozent. Und die Zustimmung wurde zu einem in diesem Ausmass nicht erwarteten Paukenschlag.
Zatlers Reformpartei
Der Präsident ordnete noch vor seiner Ablösung im Juli eine Hausdurchsuchung beim Oppositionsführer Ainars Slezers an und gründete am 9. Juli, zwei Tage nach der Beendigung seiner Amtszeit, Zatlers Reformpartei (ZRP). Mit dieser will er sich an der voraussichtlich am 17. September stattfindenden Neuwahl des Parlamentes beteiligen.
Dann wird sich zeigen, ob die Frustration über korrupte und eigenmächtig agierende Regierungen anhält und ob sich eine dem Rechtsstaat verpflichtete Regierung bilden lässt. Dabei würde es natürlich auch helfen, dass die lettischen Abgeordneten wie in anderen Parlamenten Diäten erhielten und dadurch weniger auf die „Geschenke“ von zahlungskräftigen Oligarchen angewiesen wären.
Eine weitere Schwäche der lettischen Demokratie ist, dass die Partei mit den Stimmen der Russischsprachigen bisher von der Regierung ausgeschlossen wurde. Fast ein Drittel der Bürger wird dadurch zur Opposition verdammt mit der Erklärung, sie müssten zuerst die lettische Geschichtsinterpretation akzeptieren und Lettisch als alleinige Landessprache anerkennen. Eine solche Ausgrenzung lähmt auch ein nicht unbedingt korruptes Parlament, weil sie die Möglichkeit zur Balancierung von Interessen und Ansichten behindert.
Zwei baltische Erfolgsbeispiele in der Finanzkrise
Bei den Kontroversen um die Beihilfe der EU für Griechenland wird Lettland neben Estland immer wieder als Beweis angeführt, dass ein Land mit gutem Willen sich einschränken und den drohenden Staatsbankrott verhindern könne. In der Tat konnte die amtierende Regierung von Valdis Dombrowskis die Auflagen des Internationalen Währungsfonds und der EU erfüllen und das Budget mit drastischen Entlassungen, der Schliessung von Spitälern und Schulen sowie der Kürzung der Beamtengehälter balancieren.
Noch überzeugender war Estland, das die Finanzkrise ohne drohenden Staatsbankrott meisterte, indem es rechtzeitig die Ausgaben korrigierte. Wer die baltischen Staaten als Musterschüler bezeichnet, sollte allerdings auch erwähnen, dass hier die Arbeitnehmer noch wenig organisiert sind und sich kaum gegen die Verfügungen der Regierung und die Massnahmen der Arbeitgeber wehren können.