Es ist gut, dass ein emotional und weltanschaulich unbelasteter amerikanischer Historiker dieses in Europa noch immer kontroverse Thema aufgegriffen hat. Seine These lautet, dass Pius XI. als autoritär veranlagter Priester und der ebenso autoritäre Mussolini, die beide 1922 an die Macht gelangten, sich damals beim Aufbau ihrer Machtposition ergänzten.
Der erzkonservative Papst stiess auf unerwartete Hindernisse und war bereit zu Kompromissen mit der italienischen Regierung, um grösseren Einfluss zu bekommen. Mussolini wandte sich nach einer linken Kurve nach rechts und brauchte für seinen Machtwillen gesellschaftliche Legitimierung.
Anfänglich gegenseitig vorteilhaft
Bei dieser politischen Umarmung konnte der neue Papst am Aufstieg des energischen Mussolini teilhaben, während dieser dank dem Papst in der noch mehrheitlich katholischen Bevölkerung trotz seiner gewalttägigen Bewegung akzeptiert wurde. In den Lateran-Verträgen von 1929 spielten sich der Priester und der Faschistenführer gegenseitig die Karten zu.
Pius XI. erhielt den Vatikanstaat mit der dabei angestrebten Autonomie. Italien musste jetzt wie andere Länder diplomatische Beziehungen zum Vatikan aufnehmen. Das katholische Bekenntnis wurde in Italien zur Staatsreligion, die Schulen mussten Religionsunterricht erteilen und die Heirat in der Kirche wurde obligatorisch.
Mussolini erhielt nur einen, aber dafür unbezahlbaren Vorteil. Politik und seine Herrschaft des Faschistenführers wurden jetzt legitimiert von der Kirche des katholischen Italien. Die religiösen Autoritäten konnten sich nun nicht mehr distanzieren, wenn Mussolinis Faschisten gegen andere Gruppierungen vorgingen oder wie im Krieg gegen Äthiopien unmenschliche Methoden anwandten. Auch bei antisemitischen Entscheidungen im Zusammenhang mit der von Mussolini angestrebten Annäherung an Hitler war die Kirche dabei.
„Mit brennender Sorge“
Die Kirche hielt traditionell Distanz zu jüdischen Gemeinschaften. Aber beim Aufkommen eines aggressiven Antisemitismus bei den Faschisten in den frühen Dreissigerjahren und der späteren Annäherung an den Nationalsozialismus im gleichen Jahrzehnt konnte die Kirche ihre ursprüngliche Haltung nicht behaupten. Dasselbe galt auch bei der von Nationalsozialismus und Faschismus betriebenen Kampagne gegen die angeblich weltweite Verschwörung von Juden, Freimaurern und Protestanten. Einig waren sich Kirche und Faschismus allerdings schon immer bei der Ablehnung des Bolschewismus.
Für den gebildeten und zugleich autoritären Papst Pius XI. waren sowohl Antisemitismus als auch Hassparolen und Gewalt ein Ärgernis. 1937 wandte er sich in der Enzyklika „Mit brennender Sorge“ gegen Rassismus und Nationalsozialismus. Diese Anweisungen mussten in Deutschland damals heimlich verteilt werden. Seine Berater versuchten Pius XI. von weiteren solchen Aufrufen abzuhalten, weil sie die Wut von Hitler fürchteten. Da Mussolini weitgehend zum Nachahmer des Nationalsozialismus geworden war, hätte auch Italien die Gegenbewegung seitens des Hitler-Regimes zu spüren bekommen.
Gescheiterte Distanzierung vom Faschismus
Wie Kertzer in seinem Buch darlegt, wurde der Papst zunehmend isoliert. Für den 10. Februar 1939 bereitete Pius XI. ein Konzil vor, bei dem er sich vom Faschismus lossagen wollte. Die Tragik des Papstes war, dass er das Konzil nicht mehr erlebte und die zur Verteilung vorbereiteten Manuskripte vom Nachfolger vernichtet wurden, weil dieser zum Faschismus neigte. Hatten nach der Machtübernahme 1922 Papst und Mussolini immer über heimliche Boten kommuniziert, so wurde diese Kommunikation jetzt einseitig. Es gab nur eine Partei und einen Herrscher in Italien, der sich bei der Eroberung von Äthiopien 1936 noch den Kaisertitel zulegte.
Beim ursprünglich vom Autor dieses Buch erwarteten Gegenspiel von Papst und Faschistenführer ist der Intellektuelle Pius XI. tragisch gescheitert, während der nur für seine Machtinteressen kämpfende Faschistenführer unbeschwert seine Alleinherrschaft in Italien errichtete.
* David I. Kertzer: Der erste Stellvertreter. Papst Pius XI. und der geheime Pakt mit dem Faschismus. Theiss Verlag, 2016