Es rumort gewaltig im Fürstentum. Der Zwergstaat, der auf sein Hochglanzimage allergrössten Wert legt und allzu neugierige Blicke von aussen seit jeher zu unterbinden sucht, ist trotz allem wieder mal ins Gerede gekommen.
Nicht wegen den üblichen Klagen, dass es sich bei diesem Felsen über dem Mittelmeer, um den sich gerade mal 38’000 Einwohner scharen – darunter im Sommer rund 3000 Russen, Callgirls eingeschlossen – nach wie vor um ein Steuerparadies handle.
Justiz und Polizei im Zwielicht
Diesmal ist schlicht und einfach die gesamte Hierarchie des Justiz- und Polizeiapparats von Monaco gehörig ins Zwielicht geraten wegen eines Milliardenstreits zwischen einem russischen Oligarchen und einem Genfer Geschäftsmann, der sich für den Oligarchen zum Kunsthändler aufgeschwungen hatte.
Vor mehr als zwei Jahren schon musste der Generalstaatsanwalt – traditionell ein von Paris entsandter Beamter – fast über Nacht wegen dunkler Geschäfte und Interessenkonflikten das Fürstentum verlassen. Und im vergangenen Monat nun sogar der „Direktor für juristische Angelegenheiten“ – de facto der Justizminister des Zwergstaats.
Nicht mal zwölf Stunden nach Erscheinen eines „Le Monde“-Artikels erfuhr man, dass Justizminister Philippe Narmino mit sofortiger Wirkung in Pension gehen wird. Zwei hohe Kriminalbeamte mussten ebenfalls daran glauben. Die Vorfälle, über die „Le Monde“ da berichtet hatte, nennen manche französische Medien mittlerweile „Monacogate“.
Rybolovlev contra Bouvier
Diese Affäre, die das ganze Fürstentum erschüttert, nahm im Januar 2015 ihren Lauf. Damals reichte der seit 2011 in Monaco angesiedelte russische Oligarch, Dmitry Rybolovlev, der mit 7,5 Milliarden Vermögen zu den 200 reichsten Menschen der Welt zählt, vor einem Gericht des Fürstentums Klage ein wegen Betrugs und Geldwäsche gegen Yves Bouvier, den Herrscher über einen Teil der „Ports Francs“ am Genfer Flughafen, deren Modell der Schweizer inzwischen auch nach Singapur und nach Luxemburg exportiert hat. Die „Ports Francs“ sind Orte, an denen mehr Kunstwerke gehortet werden als im Pariser Louvre.
Rybolovlev, studierter Mediziner, der unter Boris Jelzin sein zwielichtiges Vermögen mit Kalium und Düngemitteln gemacht hatte und 1997 schon nicht mehr in Russland, sondern in Genf residierte, wirft Yves Bouvier in der Anklage vor, ihn beim Zusammenstellen seiner wohl einmaligen Privatsammlung moderner Kunst um eine Milliarde (!) Euro betrogen zu haben.
Die Kunstsammlung
Die beiden waren sich erstmals 2003 in Genf begegnet, nachdem Rybolovlev beschlossen hatte, sich möglichst die teuerste private Kunstsammlung der Welt zuzulegen, und gerade eines der ersten Werke dieser Sammlung erworben hatte: einen Chagall für 6,5 Millionen Euro. Der russische Oligarch erkor bei dieser Gelegenheit Yves Bouvier – dank dessen Erfahrungen in den Ports Francs – zu dem Mann, der ihm bei der Zusammenstellung seiner einmaligen Sammlung helfen sollte. Denn zumindest damals war der heute 51-jährige Rybolovlev in Sachen Kunst noch völlig unbewandert.
Zwälf Jahre lang hat Bouvier für ihn und seine Sammlung gearbeitet und ihm 37 Meisterwerke für insgesamt fast zwei Milliarden Euro weiterverkauft. Darunter mehrere Picassos, einen Van Gogh, einen da Vinci, zwei Goyas und mehrere Gemälde von Modigliani. Als Rybolovlev im Januar 2015 vor Gericht zog, stand man gerade in Verhandlungen um einen Rothko für 140 Millionen Euro, der der Familie des legendären Weinguts Château Pertrus im Bordeaux-Gebiet gehörte. Bouvier hatte Jahre gebraucht, um das Werk ausfindig zu machen.
Justiz privatisiert
Noch ist unklar, wie und warum genau es zu dem Zerwürfnis zwischen beiden kam. Klar hingegen scheint: Wenn Rybolovlev einmal entschieden hat, jemanden zu killen – er war in Russland 1996 auch mal wegen Mordes angeklagt und sass elf Monate im Gefängnis, bevor er wegen mangelnder Beweise frei kam und sofort in die Schweiz zog – dann setzt er alle Mittel in Bewegung. Und im Fall von Bouvier hiess das, wie es dessen französischer Staranwalt, François Spizner jüngst formulierte, „Rybolovlev privatisierte die Justiz des Fürstentums“.
Seine engste Mitarbeiterin und Anwältin, die Ukrainerin Tetiana Bersheda, hatte nach der Anzeige Anfang 2015 im Handumdrehen Kontakte zu zwei wichtigen Beamten der Kriminalpolizei und zum „Direktor für juristischen Angelegenheiten“, sprich zum Justizminister von Monaco aufgenommen. Mit dem Ziel – wie sich bald herausstellen sollte – den Genfer Geschäftsmann und Kunsthändler Bouvier nach der Anzeige in Monaco auch wirklich dingfest zu machen.
In Handschellen
Am 25. Februar 2015 war Bouvier mit einem Privatjet nach Nizza geflogen und in einer dunklen Limousine nach Monaco befördert worden zu einem Rendez-vous mit Rybolovlev und war prompt in eine Falle getappt. Rybolovlevs Anwältin hatte Monacos höchste Kriminalbeamte am Vortag von seinem Kommen informiert und als der Schweizer Geschäftsmann am Belle Epoque-Gebäude auf die Klingel des russischen Oligarchen drückte, schnappten die Handschellen zu.
Erst drei Tage später und gegen eine Kaution von 10 Millionen Euro sollte Bouvier wieder freikommen. Und bis heute kann niemand erklären, was sich der Schweizer in Monaco hat zu Schulden kommen lassen und wie die Justiz die Klage überhaupt akzeptieren konnte.
Die Enquete der Tageszeitung „Le Monde“, die die ganze Tragweite des Falls nun ans Tageslicht brachte, beruht auf einer CD, die Tausende E-Mails und SMS zwischen Rybolovles Anwältin und den monegassischen Kriminalbeamten sowie mit dem Justizminister des Fürstentums beinhaltet, die in einem ausgesprochen vertrauenswürdigen, fast freundschaftlichen Tonfall gehalten sind – man gibt sich Küsschen, bedankt sich für Einladungen – und den Eindruck vermitteln, dass die monegassische Polizei und die Justiz dem russischen Milliardär zu Füssen lagen. Mails und SMS, aus denen auch hervorging, dass der Justizminister Monacos unter anderem ein schönes Wochenende in Rybolovles Haus in Gstaad verbracht hatte, just zu dem Zeitpunkt, als die Klage gegen Bouvier eingeleitet worden war.
Sein Fussballverein
Man kann sich des Eindrucks nur schwer erwehren, dass der russische Oligarch sich zum zweiten Fürsten von Monaco machen wollte, seit er sich 2011 dort niedergelassen hatte. Den ersten und wichtigsten Schritt auf dem Weg dorthin tat er schon wenige Monate nach seiner Ankunft: Er kaufte kurzerhand den Fussballclub AS Monaco, stand danach bei fast jedem Heimspiel brav auf den Ehrenplätzen an der Seite des Fürsten und investierte rund 300 Millionen Euro in den Verein, der mit Topstars wie Falcao und dem neuen Juwel des französischen Fussballs, dem 18-jährigen Kilian Mbapé, in der Saison 2016/17 prompt französischer Meister wurde, vor dem mit katarischen Millionen ausgestatteten Hauptstadtclub Paris Saint Germain.
Der Herr über den Fussball in Monaco meinte offensichtlich, sich bei der Privatfehde mit seinem ehemaligen Schweizer Vertrauensmann und Kunsthändler Bouvier auch zum Herrn über die Justiz im Zwergstaat machen zu können.
Gross und teuer
Diese Attitude Rybolovlevs passt auch zum Bild, wonach er, wo immer er auch auftaucht, nur das Grösste und Teuerste sucht, das so ostentativ wie möglich sein muss.
Dementsprechend wollte er schon 2004 am Genfersee für rund 100 Millionen Euro eine Nachbildung des Petit Trianon-Schlosses von Versailles bauen lassen, scheiterte aber an den eidgenössischen Baubestimmungen. Dafür besitzt er aber schon seit langem und selbstverständlich ein Haus in Gstaad mit einem 15 Meter hohen Hamam und einem atomsicheren Bunker. 2008 hat er dann in Palm Beach/Florida ein kitschiges Anwesen im Disneyland-Stil für gut 90 Millionen Dollar erworben, welches ein gewisser Donald Trump sich vier Jahre früher für 40 Millionen unter den Nagel gerissen hatte. Seiner Tochter hat Rybolovlev in New York für über 80 Millionen Euro das teuerste Penthouse der Welt gekauft und nebenbei auch noch Scorpio, die legendäre griechische Privatinsel von Onassis. Und für sich selbst, seit er sich 2011 in Monaco niedergelassen hatte, dort die teuerste Wohnung der Welt: fast 1700 m² in den obersten Stockwerken des Prunkbaus „Belle Epoque“ an der Avenue Ostende. Ein Domizil, das wie ein Bunker doppelt und dreifach gesichert ist und das er für rund 300 Millionen Euro erworben hat.
1999 war in diesen ungewöhnlichen vier Wänden der jüdisch-libanesische Banker Edouard Sfar, einer der reichsten Männer der Welt, in seinem Badezimmer erstickt, nachdem sein amerikanischer Krankenpfleger aus obskuren Gründen einen Wohnungsbrand gelegt hatte. Der Milliardär hätte gerettet werden können, doch er hatte sich bis zum Schluss geweigert, die hoch gesicherten Stahltüren zu seinem gigantischen Penthouse zu öffnen.
Panik
Jetzt aber herrscht wieder einmal Panik an Bord im kleinen Fürstentum. Albert II., der vorzugsweise in den USA lebt und sich ohnehin lieber in der Sprache Shakespeares ausdrückt als in der von Molière, ist nach Monaco zurückgeeilt, um Ordnung zu schaffen, wie es heisst. Wieder mal. Rybolovlev dagegen hat man an der Côte d'Azur schon seit einigen Wochen nicht mehr gesehen, nicht mal in der VIP-Loge von AS Monaco, als sein Club in der Champions League zu Hause 0:3 gegen den FC Porto unterlag. Der einst so stolze Besitzer des Fussballvereins soll sich derzeit in Kalifornien aufhalten. Und seine smarte Rechtsanwältin, Tetiana Bersheda, welche Polizei und Justiz des Fürstentums in der Affäre Yves Bouvier um den Finger gewickelt hatte, suchte ebenfalls das Weite. Sie hat sich vorübergehend in London angesiedelt.
Monaco ade?
Und schon stellen die ersten Zeitungen die Frage: Wird Rybolovlev mit seinen 7,5 Milliarden Vermögen Monaco verlassen? Gut möglich. Schliesslich hat der macht- und geldsüchtige Oligarch auch der Schweiz eines Tages im Jahr 2011 den Rücken gekehrt, weil dort die Gesetzgebung und die Praxis, was das Bankgeheimnis angeht, in Bewegung gekommen war und die neue Situation dem Mogul aus Russland nicht mehr genügend Undurchsichtigkeit garantieren konnte. Vielleicht zieht es den ehemaligen König des russischen Kaliums ja nach Singapur, wo in Bouviers „Ports Francs“ inzwischen ein Teil seiner einmaligen Kunstsammlung lagern soll. Die hatte Rybolovlev schon vor Jahren prophylaktisch dorthin und nach Zypern verlegen lassen, auf die Insel, wo eine ganze Armada von Rechtsanwälten über seine Briefkastenfirmen rund um die Welt wacht. Der Grund dafür? Der gute Mann mit dem Aussehen eines Steuerbeamten, aber mit einem tötenden Blick hatte bis vor wenigen Jahren auch noch eine der teuersten Scheidungen der jüngeren Geschichte am Hals und sein Kunstschatz sollte davor bewahrt bleiben. Etwa vier Milliarden Euro hätte ihn die Scheidung ursprünglich kosten sollen, letztlich einigten sich seine Anwälte mit denen seiner Ex-Frau auf rund 500 Millionen.
Man darf gespannt sein, wann und ob überhaupt der russische Milliardär und der monegassische Fürst wieder einmal Seite an Seite im Fussballstadion von Monaco zu sehen sein werden. Denn die Lage ist ernst. Selbst die französische Wochenzeitung „Paris Match“, die seit Jahrzehnten mit dem Fürstenhaus einen Deal hat und für liebedienernde Berichterstattung über Exklusivrechte für Fotos von der Fürstenfamilie verfügt, hat sich letzte Woche doch tatsächlich dieser heiklen Geschichte angenommen und getitelt: „Skandal in Monaco – Fürst Albert II. und die russischen Oligarchen“, mit einer Story, die die Überschrift trug: „Rybolovlev und die dunklen Schatten über dem Felsen“.