„Es sind die wichtigsten Wahlen für Ungarn. Die Nation wird von Migranten und internationalistischen Kräften bedroht“, hatte der Regierungschef im Wahlkampf immer wieder betont.
In der Nacht zum Montag erklärte er nun: „Wir haben die Möglichkeit geschaffen, Ungarn zu verteidigen. Eine grosse Schlacht ist vorbei, wir haben einen entscheidenden Sieg errungen.“
Zu den ersten Gratulanten gehörte die französische Rechtsextremistin Marine Le Pen: „Der Verdrehung der Werte und der von der EU geförderten Massenimmigration wurde erneut eine Absage erteilt. Die Nationalisten können bei den Europawahlen 2019 die Mehrheit gewinnen“, erklärte Le Pen in einem Tweet.
Wegen des rieisgen Andrangs wurden einige Wahllokale länger offen gehalten als geplant. Deshalb verzögerte sich die Bekanntgabe des Schlussergebnisses. Es wurde schliesslich kurz nach Mitternacht verkündet.
Die Wahlen waren nicht nur für Ungarn, sondern auch für Europa von grosser Bedeutung. Es ging darum, ob Orbán seinen EU-verachtenden und anti-demokratischen, „illiberalen“, autokratischen Kurs weiterführen kann. Die meisten rechtsstaatlichen Institutionen hat er ausgehöhlt. Der Ausgang der Wahl könnte Einfluss auf Polen, Italien, Österreich, Frankreich und andere Staaten haben.
„Muslimische Invasoren“
Zwar sagten Umfragen einen deutlichen Sieg von Orbáns Fidesz-Partei voraus. Doch Analysten hielten es für möglich, dass der Regierungschef die Zweidrittel-Mehrheit oder die absolute Mehrheit im Parlament verliert. Dass Fidesz kürzlich eine Bürgermeisterwahl in der Fidesz-Hochburg Hódmezövásárhely verlor, liess aufhorchen. Umfragen der Denkfabrik „Zavecz Research“ zeigten, dass 46 Prozent der Ungarn einen Regierungswechsel wollen. Dazu kommt es nun nicht. Orbáns Partei erzielte mit einem Plus von 3,4 Prozent ein klar besseres Ergebnis als bei den Wahlen vor vier Jahren.
Orbán war von 1998 bis 2002 Ministerpräsident, dann erneut ab 2010. Mit seiner jetzigen Wiederwahl tritt er seine vierte Amtsperiode an.
Während der Wahlkampagne hatte er den Ton gegen Migranten verschärft. Auf Plakaten, die im ganzen Land aufgehängt sind, hetzte die Regierung gegen Flüchtlinge. Er sprach davon, dass das „christliche Europa“ verteidigt werden und vor den „muslimischen Invasoren“ geschützt werden müsse.
Bei der Schlusskundgebung in Budapest am Freitag hatte er mit kämpferischer Rhetorik erneut den Untergang des Landes prophezeit, sofern sich die Nation nicht gegen die „bösartigen und listigen Feinde“ wehre. Dazu gehören laut Orbán die EU, ausländische Medien, Oligarchen, Spekulanten, NGOs – und vor allem der Holocaust-Überlebende und amerikanische Milliardär George Soros, der alles Unheil steuern soll. Immer wieder gibt sich der Regierungschef als Beschützer christlicher und wahrer ungarischer Werte.
Vielschichtige Opposition
- Zweitstärkste Formation mit 19,5 Prozent wurde die von Gábor Vona geführte Jobbik-Partei, die versucht, von ihrem rechtsextremen Image loszukommen. Jobbik verlor im Vergleich zu den letzten Wahlen 0,6 Prozent.
- Die sozialdemokratische MSZP mit Spitzenkandidat Gergely Karácsony musste im Vergleich zu den Wahlen vor vier Jahren schwere Verluste (-13,2%) hinnehmen und ist mit 12,4 Prozent drittstärkste Kraft.
- An vierter Stelle mit 6,9 Prozent liegt die grüne LMP-Partei mit Spitzenkandidatin Bernadett Szél. LMP gewann im Vergleich zu den letzten Wahlen 1,6 Prozent.
- Die erstmals antretende Demokratische Koalition DK des Ex-Sozialdemokraten Ferenc Gyurcsány steuert einen liberalen, pro-europäischen Kurs und schaffte mit 5,6 Prozent die 5-Prozent-Hürde knapp.
- Unter der 5-Prozent-Hürde und damit nicht im Parlament vertreten ist die erstmals antretende Momentum-Partei des 28-jährigen András Fekete-Györ. Sie kam auf 2,8 Prozent. Die Partei zieht vor allem gebildete Junge an, will sich ideologisch nicht festlegen, steuert jedoch einen weltoffenen, liberalen Kurs.
Orbáns Gegner werfen dem Ministerpräsidenten vor, er verwandle Ungarn nach und nach in einen autokratisch geführten Staat und habe ein fragwürdiges Verhältnis zum Rechtsstaat. Der aus armen Verhältnissen stammende Regierungschef, der demnächst 55 Jahre alt wird, hat sich mit eisernem Willen und einem ausgeprägten Machtinstinkt nach oben gekämpft. Er schrieb die Verfassung, das Rechts- und Wahlsystem zu seinen Gunsten um. Das neue System begünstigt die stärkste Partei. Auch die Pressefreiheit hat er radikal beschnitten. Immer häufiger werden dem angeblichen Korruptionsbekämpfer selbst Korruption vorgeworfen.
(J21)