Nicht zufällig fielen diese Kampagnen zeitgleich mit dem Eingeständnis der ehemaligen Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Gabriela Shalev, zusammen, dass sie heute die Politik ihrer Regierung beim besten Willen nicht mehr verteidigen könnte.
Netanjahus nachträglicher Versuch der Umarmungstaktik, die Allianz mit den USA sei stärker als je zuvor, übersieht die tiefe persönliche Antipathie ihm gegenüber in der Chefetage des Weißen Hauses.
Abgesehen von den Prognosen, die bis zuletzt ein äußerst knappes Ergebnis zwischen Obama und seinem Herausforderer ankündigten, ist der Misserfolg Netanjahus höchst aufschlussreich.
Zum einen sind die jüdischen Wähler in den USA dem Aufruf des Ministerpräsidenten, Mitt Romney zu wählen, nicht gefolgt, ; interessanterweise votierten lediglich die in Israel lebenden Amerikaner mehrheitlich für den Republikaner. Selbst im umkämpften „swing state“ Florida mit seinem hohen Anteil jüdischer Zuwanderer im Rentenalter ist Netanjahu wie auf Bundesebene die politische Gefolgschaft verweigert worden.
Der israelisch-palästinensische Konflikt verlässt das Blickfeld
Damit werden die Umfragen bestätigt, wonach Israel nur noch für eine kleine Minderheit der amerikanischen Juden an der Spitze ihrer politischen Entscheidung steht. Wer sich in Colleges und an Universitäten umhört, findet diesen Trend bestätigt. Dass der Sieg Obamas vor allem auf die Zustimmung unter den hispanisch-stämmigen Wählern und auf das Wahlverhalten der Afro-Amerikaner zurückzuführen ist, dürfte für Netanjahu und für die israelischen Regierungen der Zukunft insgesamt die größte Schlappe sein.
Denn damit wächst im Zuge des demographischen Wandels eine Generation von Amerikanern in Gesellschaft und Politik heran, die mit den zu Recht oder zu Unrecht kritisierten Unterlassungen Präsident Roosevelts nicht belastet ist (auf die Bombardierung von Auschwitz und andere deutsche Todesfabriken zu verzichten), die nicht unter den Traumata jüdischer Überlebender in den USA steht und der ein anderes Verständnis von der unverbrüchlichen Wertegemeinschaft mit Israel eigen ist. Die bisherige Dominanz der Euro-Amerikaner neigt sich unvermeidlich dem Ende zu, und mit ihm kündigt sich eine strategische Neuorientierung an, bei dem auch der israelisch-palästinensische Konflikt das primäre Blickfeld verlässt.
Netanjahus Druckkulisse versagte
Zum anderen hat Netanjahus Druckkulisse versagt, Washington eine „rote Linie“ im Hinblick auf den Iran vorzugeben. Obama wird zwar auch in Zukunft die Daumenschrauben ansetzen, um Teherans Nuklearprogramm zu behindern. Und vermutlich wird er sich – und in Absprache mit Israel – an „cyber attacks“ gegen sensible Ziele im Iran beteiligen. Aber von vornherein unrealistisch war Netanjahus Hoffnung, dass die amerikanische Präsidentschaft, unter welcher Führung auch immer, nach dem Desaster im Irak und in Afghanistan für einen dritten offenen Waffengang zu gewinnen sei.
Fast unbemerkt hatte auch Romney frühzeitig eine solche Option ausgeschlossen. Die marode Infrastruktur der Verkehrswege und Bildungseinrichtungen, die Schwäche des produzierenden Gewerbes und die riesige Überschuldung des Staatshaushalts werden dafür sorgen, dass die Ausgaben für das Militär und für die Auslandhilfsprogramme einer grundlegenden Prüfung unterzogen werden. Wenn Romney die Führung der Republikanischen Partei behalten will, wird er auf das Angebot Obamas zur sektoralen Zusammenarbeit zugehen müssen.
Keine Änderung der israelischen Politik in Sicht
Israel stehen schwere Zeiten bevor. Die ausschließliche Konzentration auf seine „wohlverstandenen Interessen“ hat das Land in eine internationale Isolation geführt, der es schwer entrinnen kann – es sei denn durch eine dritte Staatsgründung nach 1948 und 1967.
Dazu würde es jedoch eines geradezu revolutionären Paradigmenwechsels bedürfen, der weder von der gegenwärtigen Regierung noch von den Oppositionsparteien zu erwarten ist. Vielmehr hat der Präsident der Knesset vor zehn Tagen ohne großen einheimischen und internationalen Widerhall verkündet, dass es zwischen dem Mittelmeer und dem Jordan nur einen Staat geben könne, einen jüdischen und demokratischen Staat mit jüdischer Mehrheit. Im antizipierten Szenario Reuven Rivlins, das sich nunmehr auf die gemeinsame Partei „Unser Haus Likud“ („Likud Beiteinu“) mit Avigdor Lieberman stützen kann, sucht man einen Hinweis auf die verfassungspolitischen Konsequenzen für die Palästinenser vergebens.
Haben die USA und die Europäer die Energie und den Mut, sich von der Illusion zu befreien, dass Netanjahu nach den Wahlen am 22. Januar 2013 mit der Mehrheit der Bevölkerung im Rücken den nationalen Anspruch der Palästinenser ernst nimmt? Nicht nur für Berlin steht die erste Probe aufs Exempel am 29. November bevor, wenn Machmud Abbas in New York den Antrag auf eine stark modifizierte UN-Mitgliedschaft einbringen will.