Emmanuel Macron hat etwas von einem Sonnyboy und dem idealen Schwiegersohn mit guten Manieren. Der ehemalige Banker hat gleich mehrere Eliteschulen durchlaufen, hat auch Philosophie studiert und war dabei Assistent von Paul Ricoeur, bevor er bei der Bank Rothschild Karriere machte.
Die Nervensäge
Noch vor 5 Jahren war der smarte junge Mann mit den grossen blauen Augen in der politischen Landschaft Frankreichs ein völlig unbeschriebenes Blatt. Jacques Attali, einst Berater von Präsident Mitterrand und seitdem graue Eminenz in den Kulissen der Macht, hat Macrons Namen François Hollande zugeflüstert. Der frisch gewählte Präsident holte den damals 34-jährigen Macron 2012 als Berater für ökonomische Fragen in den Elyseepalast und machte ihn zwei Jahre später zum Wirtschaftsminister.
In dieser Funktion sollte sich Macron als neuer Medienstar und zugleich als quirliger Wirtschaftsliberaler entpuppen, der unter anderem regelmässig an der 35-Stunden-Woche sägte und sich mit den Gewerkschaften anlegte. Der Parteilose, der sich anfangs noch als Linker bezeichnete, eckte immer wieder an und ging sehr schnell sowohl der sozialistischen Fraktion als auch mehreren Kabinettskollegen heftig auf die Nerven.
Präsident Hollande aber hielt zu ihm. Ja, Frankreichs Staatsoberhaupt liess es sich sogar gefallen, dass Macron im April dieses Jahres seine eigene politische Bewegung unter dem Namen „En Marche“ (in etwa: Vorwärts) gründete, der sich per Mausklick und ohne Mitgliedsbeitrag fast 100'000 Bürger, überwiegend gut Ausgebildete aus der Generation der 20- bis 40-Jährigen angeschlossen haben. Im August gab Macron von sich aus sein Ministeramt zurück – für seinen politischen Ziehvater, den ohnehin schwer angeschlagenen François Hollande, eine weitere schallende Ohrfeige.
Appell an die Franzosen
Jetzt kandidiert der erst 39-jährige Macron, den Frankreichs Medien gerne als politisches Wunderkind bezeichnen, für das höchste Amt im Staat.
Der Ex-Banker verkündete seine Kandidatur offiziell in einem Ausbildungszentrum für KFZ-Mechaniker im Pariser Problemvorort Bobigny. Seine Kommunikationsstrategen hatten die Kulisse einer Werkstatt ausgesucht, so als wollte man signalisieren, dass derjenige, der in seinem Leben bislang noch keine Wahl gewonnen hat, in der Lage ist, den stotternden Motor Frankreichs zu reparieren. Vor mehr Medienvertretern als politischen Anhängern, vor blauem Hintergrund und neben der Tricolore, erklärte er sich nun bereit für das Präsidentenamt, bereit, Frankreich ins 21. Jahrhundert zu führen, wie er sagte, dem pessimistischen Land wieder Hoffnung zu verleihen und die verkrusteten Strukturen in Wirtschaft und Gesellschaft aufzubrechen.
Gleich mehrfach sprach er von einer demokratischen Revolution in seinem – De Gaulle lässt grüssen – „Appell an die Franzosen“, ohne deutlich zu machen, worin diese Revolution bestehen könnte. Formeln wie „Optimismus des Willens“ schlichen sich in die Rede des politischen Vatermörders ein, der betonte, er sei weder links noch rechts und es gehe ihm auch nicht darum, die Linke oder die Rechte zu einen, sondern schlicht darum, alle Franzosen wieder zusammenzubringen.
Und wie schon fast selbstverständlich, weil es zur Zeit offensichtlich „in“ ist – und das nicht nur in Frankreich –, präsentierte sich Macron wiederholt als Kandidat ausserhalb des berühmten „Systems“, als Anti-System-Kandidat, der in seiner Zeit als Wirtschaftsminister „die Leere des gegenwärtigen politischen Systems“ von innen kennengelernt habe, ein System, welches nur noch im Eigeninteresse und nicht mehr im Allgemeininteresse funktioniere.
Kind des Establishements
Macron wird in den nächsten Wochen und Monaten viel daran setzen, vergessen zu machen, dass er selbstredend Teil dieses verschmähten Systems ist. Eine beträchtliche Zahl von mächtigen Vorstandschefs der französischen Wirtschaft und des Finanzwesens halten ihre schützende Hand über diesen viel versprechenden Sprössling, der mit der „Ecole Normale Supérieure“ und der „ Ecole Normale d'Administration“ gleich zwei der berühmten Elitehochschulen des Systems durchlaufen hat.
Auch das viel gescholtene System der Medien ist dem Jungstar eher wohlgesonnen, und die Herausgeber gleich mehrerer Tages- und Wochenzeitungen begleiten Macrons junge politische Karriere sichtlich wohlwollend. Der Mann, der ohne jeden Zweifel Teil des französischen Establishments ist und sich seit jeher fern der Niederungen des Alltags der unteren Gesellschaftsschichten bewegt, scheint fest entschlossen, seine politische Unerfahrenheit in einen Trumpf zu verwandeln, nach dem Motto: „Seht, ich bin noch unbefleckt von diesem System.“ Eine Rhetorik, die der eines Donald Trump oder einer Marine Le Pen nicht unähnlich ist.
Ärgerlich
Emmanuel Macrons Kandidatur ist ärgerlich – nicht nur für die sozialdemokratische Linke, die angesichts des zerrütteten Zustands der Sozialistischen Partei nach den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im nächsten Jahr ganz von der politischen Bildfläche zu verschwinden droht, wie das in den 60er Jahren schon einmal der Fall war. Sollte – wie es derzeit aussieht – der Kandidat der französischen Sozialisten, ob er nun Hollande, Valls oder sonstwie heissen wird, bei der Präsidentschaftswahl nur 10 bis 15 Prozent erzielen, dürfte die völlig ausgeblutete Sozialistische Partei dies kaum überleben. Das gilt ganz besonders für den Fall, dass ihr Kandidat hinter dem links von den Sozialisten stehenden, verbalradikalen Tribun Jean Luc Melenchon landen sollte, welcher 2012 immerhin 11 Prozent der Wählerstimmen auf sich verbuchen konnte.
Macrons Kandidatur ist zudem ärgerlich, weil auch sie letztlich Marine Le Pen dienen dürfte. Macron, der Wirtschaftsliberale, wird Wählerstimmen hauptsächlich aus dem politischen Zentrum auf sich ziehen, Stimmen, die dem Kandidaten der konservativen Partei „Die Republikaner“ fehlen werden – ganz besonders, wenn die Primärwahlen der Konservativen an diesem und am kommenden Wochenende den Favoriten, den ehemaligen Premierminister Alain Juppé zum Sieger und offiziellen Präsidentschaftskandidaten der traditionellen Rechten küren sollten.
In der Rolle des Brutus
Der gemässigte Juppé, der sich vom Hardliner Nicolas Sarkozy in gesellschaftspolitischen Fragen seit Monaten deutlich distanziert und damit in allen Umfragen zu den Primärwahlen klar vor dem ehemaligen Präsidenten liegt, wird bei den Präsidentschaftswahlen nächstes Frühjahr im 1. Durchgang mit Sicherheit Stimmen an Emmanuel Macron verlieren. Damit würde Juppé wahrscheinlich nicht mehr schaffen, wozu er bisher als Einziger in der Lage schien: im ersten Durchgang der Präsidentschaftswahlen mit über 30 Prozent auf Platz 1 und damit vor Marine Le Pen zu landen, was symbolisch von grösster Bedeutung wäre.
Weder Sarkozy für die Konservativen noch ein Kandidat der Linken würden dies zustande bringen. Mit Macrons Kandidatur schwindet diese Möglichkeit nun auch für Alain Juppé.
Dass es einem Kandidaten der Linken überhaupt gelingen könnte, am 7. Mai 2017 gegen Marine Le Pen in die entscheidende Stichwahl zu kommen, daran glaubt in Frankreich im Grunde schon seit Monaten niemand mehr. Emmanuel Macron, der Brutus, der seinem politischen Ziehvater Hollande jetzt definitiv den Dolchstoss versetzt hat, hat mit seiner Kandidatur nun das letzte Fünkchen Hoffnung bei den Sozialisten zerstört und den Eindruck verstärkt, dass die reformistische Linke in Frankreich dabei ist, endgültig politischen Selbstmord zu begehen.