Die muslimische Minderheit Myanmars, das Volk der Rohingya, ist grossenteils aus dem Land vertrieben. Einstweilen lebt eine Million von ihnen in Lagern in Bangladesch. Doch eigentlich will man sie dort nicht. Sie sitzen in der Falle.
Es ist nicht so, dass gar nicht berichtet würde über die aus Myanmar vertriebenen Rohingya. Ab und zu schaffen sie es in die Medien. Der Grossbrand in einem der insgesamt eine Million Menschen zählenden Lager im Südosten von Bangladesch flackerte kurz als Nachricht auf. Auch die nach gefährlicher Flucht über den Golf von Bengalen Mitte Februar in der indonesischen Provinz Aceh Gestrandeten erhielten für einen Moment ein wenig Aufmerksamkeit.
Der Konflikt um die muslimischen Rohingya im mehrheitlich buddhistischen Burma oder Myanmar reicht mindestens bis in die 1950er-Jahre zurück. Myanmar, das zum britisch-indischen Königreich gehört hatte, wurde 1948 unabhängig. Seither steht das Land fast permanent unter Militärherrschaft. Die Rohingya siedelten traditionell im nördlichen Teil des an Bangladesch grenzenden Rakhaing- (engl.: Rakhine-) Staates, einer Provinz Myanmars. Seit der Unabhängigkeit strebten sie nach stärkerer Autonomie, da sie als Muslime nicht unter buddhistischer Verwaltung leben wollten. Die Militärs jedoch duldeten keine regionalen Sonderregelungen.
Mit einem 1982 erlassenen neuen Gesetz verschärfte sich die Lage: Unter den über 150 staatlich anerkannten ethnischen Gruppen figurierte das Volk der Rohingya fortan nicht mehr. Die Auswirkungen dieses Ukas waren dramatisch. Mit einem Federstrich verloren die Rohingya ihre burmesische Staatsbürgerschaft; sie waren zu Staatenlosen geworden und verfügten über keinerlei Rechte mehr. Man konnte sie ungestraft berauben und enteignen. Viele verloren ihren Grundbesitz, private Güter wurden straflos zerstört oder gestohlen.
Systematische Vertreibung
Damit nicht genug: Die offizielle Doktrin Myanmars stempelte die im 16. und 18. Jahrhundert aus Bengalen vertriebenen und in Rakhine ansässig gewordenen Rohingya als Fremde und Eindringlinge ab und grenzte sie aus dem Prozess, der dem Vielvölker-Gebilde eine nationale Identität verlieh, systematisch aus. Als Muslime sind die Rohingya eine kleine religiöse Minderheit in dem fast durchwegs buddhistischen Staat; als einzige burmesische Ethnie mit einer indogermanischen Sprache erscheinen sie zusätzlich fremd; als Phänotyp mit etwas dunklerer Hautfarbe als die Mehrheit werden sie leicht Opfer rassistischer Ausgrenzung. Die Uno bezeichnete die Rohingya denn auch als die weltweit am stärksten verfolgte Volksgruppe.
Als 2015 die von der Friedens-Nobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi präsidierte Nationale Liga für Demokratie NLD die Parlamentswahlen gewann, wurde die Hoffnungsträgerin zur Regierungschefin und Aussenministerin. Mit vagen und abwiegelnden Aussagen zur Lage der Rohingya enttäuschte sie jedoch die im Ausland in sie gesetzten Hoffnungen. Offenkundig war sie bemüht, ihre buddhistische Anhängerschaft nicht gegen sich aufzubringen. Zudem wurde ihr Einfluss auf die Geschicke Myanmars von aussen wohl überschätzt. Selbst während der kurzen Phase, in der eine zivile Regierung formal an der Macht war, behielten die Militärs im Hintergrund die Fäden in der Hand.
2017 griffen Gruppen der Arkan Rohingya Salvation Army (Arsa) mehrere Polizeiposten an. Im Gegenzug nutzten Sicherheitskräfte und Militär die Provokation zu einer grossangelegten «ethnischen Säuberung». Sie terrorisierten die Rohingya-Bevölkerung mit dem Ziel der Vertreibung. Siedlungen und Heiligtümer der Muslime wurden verwüstet. Die staatlich angeordneten Massaker haben die angestrebte grosse Fluchtbewegung ausgelöst. Seither leben 1,5 Millionen Rohingya als Staatenlose im Exil.
Flucht nach Bangladesch
Die Grosszahl der Vertriebenen ist nordwärts nach Bangladesch geflohen. Bei der 170’000 Einwohner zählenden Stadt Cox’s Bazar, einem beliebten Touristenort, ist in der Folge der weltgrösste Komplex von Flüchtlingslagern entstanden. Das UNHCR, diverse Staaten sowie zahlreiche Hilfswerke und NGOs sichern das Überleben der Geflohenen in den Camps.
2020 verurteilte der Internationale Gerichtshof IGH Myanmar wegen Massenmorden an den Rohingya. Im gleichen Jahr nahm der Internationale Strafgerichtshof ICC ein Verfahren wegen Völkermordes auf. Nach dem Putsch vom 1. Februar 2021 in Myanmar, mit dem die Militärs die erneute Gewinnerin der Parlamentswahl Aung San Suu Kyi – ihre Partei NLD hatte gegenüber 2015 nochmals kräftig zugelegt – um ihren Sieg betrog, gibt es kaum Hoffnung auf ein Ende der Menschenrechtsverletzungen im Land, auch nicht für die Rohingya.
In den Lagern bei Cox’s Bazar, in denen seit 2017 die aus Myanmar vertriebenen Rohingya eng zusammengepfercht leben – inzwischen zählen sie mehr als eine Million –, herrschen trotz aller humanitären Hilfe schlimme Verhältnisse. Unter anderem haben sich unter den Lagerbewohnern kriminelle Banden gebildet, die mit Drogen handeln und ihre Schicksalsgenossen erpressen. Der Brand vom 5. März, der tausende von Behausungen und vitale Einrichtungen zerstört hat, soll von einer Gang gelegt worden sein.
Längst macht sich in den Lagern Verzweiflung breit, und viele wollen nur noch weg. Einige hundert Rohingya sind mit kleinen Booten nach Süden geflohen und nach einer Reise von 1’800 Kilometern in der indonesischen Provinz Aceh angekommen. Wie es scheint, werden sie dort als Muslime von Muslimen freundlich aufgenommen und vorerst einmal gut versorgt. Doch der Masse der in Bangladesch Festsitzenden steht diese Möglichkeit nicht offen. Sie sind wirklich in der Falle.