Sicherheit, Wohlstand und Frieden – das sind die Ziele für die drei Länder, die in der gemeinsamen Mitteilung der USA, Israels und der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) genannt werden. Nun ist Bahrain dem Beispiel der Emirate gefolgt, andere Länder der Region dürften nachziehen.
Der Schritt Bahrains kommt nicht überraschend. Seit vielen Jahren werden die Beziehungen zwischen Manama und Jerusalem ausgebaut. Trotzdem hat er Symbolcharakter, steht er doch stellvertretend für die Haltung des mächtigen Nachbarn Saudi-Arabien, welcher sich mit einem eigenen Abkommen offiziell noch zurückhält.
Sicherheit, Wohlstand und Frieden: Dies ist das Angebot, das der Staat im Nahen Osten seiner Bevölkerung gegenwärtig macht. Von Partizipation der Bevölkerung oder gar Demokratie natürlich kein Wort. Das Konzept basiert auf einem Verständnis des Staates im Sinne des hobbes’schen Leviathan, der Unterwerfung verlangt und als Gegenleistung für Ordnung sorgt und die Bedürfnisse der Bevölkerung erfüllt.
Die Abkommen werden gegenwärtig in erster Linie mit Bezug auf das arabisch-israelische Verhältnis und natürlich auf die amerikanische Innenpolitik gedeutet. Das überrascht kaum, findet man in den Medien doch kaum ein Bild, auf dem sich Präsident Trump nicht als grosser Friedensstifter in den Mittelpunkt drängen würde. Richtet man den Blick aber auf die Motivationen der Golfmonarchien selber, wird deutlich, dass diese Abkommen vor allem für die neue Blockbildung der letzten Jahre stehen.
Die alte Bedrohung: Iran
Die Zusammenarbeit mit Israel bietet für die Golfmonarchien nicht nur die Aussicht auf wirtschaftliche und technologische Zugewinne. Es geht vor allem um Schutz – künftig durch die militärische Zusammenarbeit mit Israel und damit indirekt durch die USA. Vor wem sich Riyad und Abu Dhabi fürchten, ist klar: Der Erzfeind aus Sicht der arabischen Monarchien ist seit langem der Iran, und in ihrer Wahrnehmung hat er noch an Gefährlichkeit gewonnen. Nicht nur das iranische Atomprogramm sorgt auf der arabischen Seite des Golfes für Sorgenfalten, auch der iranische Einfluss in Libanon, Syrien, Irak und Jemen konnte kaum zurückgedrängt werden. Und der Iran tut sein Übriges, um das Bedrohungsgefühl zu bewirtschaften mit der Propaganda einer transnationalen islamischen Widerstandsfront.
Besonders seit dem amerikanischen Einmarsch im Irak von 2003 hat der Nahe Osten eine Konfessionalisierung erlebt, die zu einer schiitisch-sunnitischen Front geführt hat. Der Konflikt zwischen dem schiitischen Iran und dem sunnitischen Saudi-Arabien hat sich dadurch vertieft. Die schiitische Seite umfasst neben dem Iran den Hisbollah und verschiedene irakische Akteure, dazu das alawitische Regime in Syrien und die zaiditischen Huthis im Jemen.
Doch während dieser Block lange Zeit eine gewisse Stabilität aufgewiesen hat, scheiterten frühere Versuche, die sunnitische Öffentlichkeit zu einem politischen Lager zu vereinen. Diese Instabilität hatte ihren Grund in der Frage, wer den sunnitischen Islam repräsentiert. Saudi-Arabien und die Türkei standen sich in ihrem Anspruch gegenüber, die sunnitische Führungsmacht zu sein. Diese Spannung ist in den letzten Jahren zunehmend aufgebrochen.
Die neue Bedrohung: Türkei
Nach Beginn des Krieges in Syrien arbeiteten die Türkei und Saudi-Arabien noch auf das gemeinsame Ziel hin, das Regime von Baschar al-Assad in Syrien zu stürzen. Doch diese Pläne haben Riyad und Abu Dhabi schon lange aufgegeben. Besonders der Aufstieg und Fall der Muslimbrüder in Ägypten unter Muhammad Mursi hat die beiden Lager auseinandergetrieben. Ägypten, heute stramm auf Seiten der Golfmonarchien positioniert, streckt bereits die Fühler aus für eine Versöhnung mit dem Regime in Syrien. All das hat zu einer neuen arabisch-türkischen Konfrontation geführt. Sei es in Libyen, beim Machtpoker um Hoheitsrechte im Mittelmeer, bei der Blockade Katars oder mittlerweile auch im Jemenkrieg – überall stehen sich die Türkei und die arabischen Staaten als Kontrahenten gegenüber.
Die Angst vor dem Iran begleitet die Golfmonarchien schon lange, aber erst mit der zusätzlichen Konfrontation mit der Türkei scheint die Bedrohungslage nun als derart akut empfunden zu werden, dass neue Ansätze verfolgt werden. Beobachter in Riyad malen schon das Gespenst einer türkisch-iranischen Allianz an die Wand und weisen darauf hin, dass aus Kreisen der Muslimbrüder Kontakte zum schiitischen Klerus angebahnt werden. Daher das Bedürfnis nach zusätzlichem Schutz, den die Annäherung an Israel (und dadurch das Wohlwollen der USA) gewährt.
Erdogan reagiert auf diesen Konflikt, indem er den Neo-Osmanismus, den er schon seit Jahren kultiviert, deutlicher in Szene setzt. Das äussert sich nicht nur in militärischen Ambitionen (Beispielsweise im Krieg in Libyen), auch die Symbolpolitik der Rückumwandlung der Hagia Sofia in eine Moschee ist in diesem Licht zu sehen. Sogar in der Popkultur wird der Streit ausgetragen, etwa in TV-Serien, in denen die Osmanen (in türkischen Produktionen) zu Zivilisationsbringern und Rettern des Islams stilisiert werden, während ihnen in der arabischen Version die Rolle der brutalen Unterdrücker zufällt.
Neo-Arabismus und De-Islamisierung
Als Antwort auf das türkische Gebaren betonen die Golfstaaten die arabische Identität – analog zum Neo-Osmanismus gewissermassen ein Neo-Arabismus. Damit kann weiterhin die Abgrenzung zum (persischen) Iran markiert werden, gleichzeitig wird aber auch der Konflikt mit der Türkei symbolisch ausgedrückt. Der Neo-Arabismus ist somit nicht nur Nachfolger der gescheiterten sunnitischen Blockbildung, sondern auch eine Abwehrhaltung gegen den Iran und die Türkei. Damit wird auch deutlich, dass es zumindest fragwürdig ist, wenn heute noch von Saudi-Arabien und den VAE als Anführern eines sunnitischen Blocks gesprochen wird.
Der Bezug auf das arabische Element stellt neben der regionalen Blockbildung auch ein Potential zur internen Integration dar. Besonders deutlich ist das in Saudi-Arabien. Die hier lebende bedeutende schiitische Minderheit wurde lange als Bedrohung, gar potentiell durch den Iran gelenkte «fünfte Kolonne» empfunden und war zudem aufgrund der Allianz des Königshauses mit den wahhabitischen Geistlichen verschiedensten Repressalien ausgesetzt. Der saudische Kronprinz Muhammad bin Salman dagegen versucht, die Legitimation des saudischen Staates vom Pakt mit den Wahhabiten zu lösen, die eigene Herrschafts-Legitimation gewissermassen zu ent-wahhabisieren. Er mässigte denn auch das Vorgehen der Religionspolizei gegen die Schiiten und leitete stattdessen Infrastrukturprojekte in den schiitisch dominierten Gebieten ein – nicht ohne den Hinweis auf die «gemeinsame arabische Identität» aller Saudis. Das Potential dieses Ansatzes scheint auch für den Jemen erkannt worden zu sein, wo die zaiditischen Huthis von Saudi-Arabien als iranische Proxys bekämpft werden: Auch ihnen gesteht man mittlerweile einen «arabischen» Status zu und betrachtet sie als Verhandlungspartner, solange sie sich vom Iran distanzieren.
Wird der Neo-Arabismus für das saudische Königshaus über die Loslösung von den Wahhabiten hinaus einen eigenständigen symbolischen Raum liefern und damit den Bezug auf den Islam ersetzen? Tatsächlich gibt es verschiedene Hinweise, die auf eine solche De-Islamisierung in der Legitimation von Staat und Herrschaft hindeuten. Wenn sich die Golfmonarchien auf den Arabismus beziehen, tun sie dies denn auch mit der Absicht, den politischen Islam aus der Öffentlichkeit zu verdrängen. Welche Rolle der Islam in der Region künftig spielen wird, welche Form er in den jeweiligen Gesellschaften annehmen wird, ist gegenwärtig noch kaum absehbar.
Der «neue Nahe Osten»
Neo-Arabismus statt eines sunnitischen Blocks, De-Islamisierung, die Konfrontation der arabischen Staaten nicht nur mit dem Iran, sondern nun auch mit der Türkei: In der regionalen Blockbildung fallen gleich mehrere Entwicklungen zusammen, die die Region prägen. Die Normalisierung der Beziehungen mit Israel fügt sich in die Logik der neuen arabischen Blockbildung nahtlos ein.
Die grosse Herausforderung der neo-arabistischen Vision stellt denn auch gar nicht Israel, sondern die Integration Syriens und Libanons in diese Allianz dar. Diese beiden arabischen Länder (teilweise ist auch der Irak noch dazuzurechnen) werden aufgrund der starken iranischen Präsenz zwischen den regionalen Blöcken besonders umkämpft sein. Sollte es aber in den nächsten Jahren gelingen, Assad in den Neo-Arabischen Block einzubinden, wäre selbst eine Normalisierung der Beziehungen zwischen den Erzfeinden Israel und Syrien nicht mehr undenkbar.
Die gegenwärtig verbreitete Formulierung, mit den Abkommen zwischen Israel, Bahrain und den Emiraten sei ein «Neuer Naher Osten» eingeleitet, muss also korrigiert werden: Die Abkommen sind nicht Auslöser, sondern vielmehr ein Ausdruck der Umbrüche, die in der Region gegenwärtig stattfinden und das Gesicht des Nahen Osten in den nächsten Jahren prägen werden.