Die quer liegenden Gedankengänge zu Wissenschaftsgläubigkeit, Zeit und Nachhaltigkeit lohnen am meisten. Sie hinterfragen auch ökologische Glaubenssätze und machen Mut, den kritischen Blick selbst dann nicht aufzugeben, wenn Kritik oder Lösungsvorschläge mit dem Grünsiegel der Nachhaltigkeit daher kommen.
Autoren wie Niko Paech (Ossietzky Universität Oldenburg) oder Jérôme Bindé (Unesco-Direktor für Antizipation und Zukunftsforschung) stellen die Fragen nach dem Umgang mit dem Wachstum (nachhaltig?) oder unserer Zeit-Ökonomie (just in time?) radikal.
Mit Substanz und Ironie
Aber auch im Einzelnen lohnt das Themenheft von „Le Monde diplomatique“. Es pflegt ein amüsantes Mass an Scherz, Satire, Ironie, wie man es von den Herausgebern der deutschen Ausgabe (die Berliner „tageszeitung – taz“, mit der „WOZ“ als Schweizer Partnerin) einst gewohnt war - und lässt doch differenzierte Substanz nicht vermissen.
Mateo Cueva (Pseudonym) und Niels Boeing schildern wohltuend unverkrampft die Möglichkeiten und Gefahren, aber auch das nutzbringende Potential der Nanotechnologie – und bieten den Laien gleichzeitig einen ersten, nachvollziehbaren Einblick in das, was Nanotechnologie in ihrer Vielfalt sein kann. Matthias Greffrath hält es ähnlich mit der Gen-Technologie, die ansonsten sehr kritisch auf den Prüfstand gestellt wird.
Wer schaudern will, darf also auch schaudern bei der Lektüre von „Nano. Gen. Tech“. Helfen wird dabei der Blick auf die Utopien der (u.a.) von Google und Nasa gesponserten „Singularity University. Preparing Humanity for Accelerating Technical Change“, die bis 2045 die Menschheit durch Fusion der intelligentesten Menschen mit super-intelligenten Computern in ein transhumanes Zeitalter führen will.
Oder die Beschäftigung mit den Phantasien des Geo-Engineering, das Wetter oder gar das Klima technologisch zu manipulieren, sei es durch Impfung der Wolken mit Silberjodid (Regen machen), Ausbringen von Schwefeldioxid in der Stratosphäre (Sonnenlicht reflektieren) oder Düngen des Ozeans mit Eisen zur gesteigerten Algenproduktion (Bindung von CO2 durch die Algen).
Selbstverständlich sind Wetter-Manipulationen seit über dreissig Jahren nicht nur Phantasie oder Teil von militärischen Planspielen, sondern auch militärischer Realität (Vietnam); so berichtet es Pat Mooney, Träger des alternativen Nobelpreises.
Technowissenschaft als neue Religion
Die Autoren der „Edition“ kennen für solche Projekte keine Gnade. Derartige Allmachts-Phantasien erinnern ja in der Tat an Dr. Strangelove (der bekanntlich lernte, die Atom-Bombe zu lieben). Bei der Lektüre stösst man denn auch auf den „Vater der Wasserstoffbombe“: Edward Teller löste folgerichtig bei vielen mit seinen Plänen zur Veränderung der Erde Ängste aus, und für gewaltige Irritation sorgte später der holländische Ozonschicht-Forscher und Nobelpreisträger Paul J. Crutzen, als er sich für Geo-Engineering aussprach.
Die selbstdefinierte Gottähnlichkeit dieser und vieler anderer Wissenschafter macht tatsächlich schaudern. Jacques Testart setzt sich in einem erfrischenden Essay auseinander mit dem fast kindlich-religiösen Glauben gerade von Naturwissenschaftern an ihre Wissenschaft.
Selbstverständlich nehmen auch die digitalen Medien in „Nano. Gen. Tech“ den angemessenen Raum ein. Selbstverständlich geht es um die digitale Flut (und den Zerfall der Daten), Datenschutz, Frauen und Internet, Hacker als Vorbild und die Herren der Bit-Wolke (Google, Amazon, Microsoft...). Als Eröffnung steht Peter Glasers „Digital sind wir alle schön“. Ein neuen Stück, mit Genuss zu lesen.
Edition Le Monde diplomatique Nanon. Gen. Tech. Wie wollen wir leben? 2010 (Okt) - No. 8
Erhältlich: In jeder guten Buchhandlung Über die WOZ: www.woz.ch - CHF 18.- Über www.monde-diplomatique.de - € 8.50
Allmachts-Phantasien