Ein schlechtes Omen? Die sorgfältig inszenierte Siegesfeier in Paris nach der offiziellen Ankündigung fiel gleich buchstäblich ins Wasser. Als man auf der Esplanade du Trocadéro die übergrossen olympischen Ringe enthüllte, mit dem funkelnden Eiffelturm im Hintergrund, da schüttete es aus allen Rohren und ausser einer Reihe von Offiziellen war fast niemand zugegen.
Paris wird nun also zum dritten Mal Olympische Sommerspiele austragen. 1900, im selben Jahr wie die legendäre Weltausstellung, als Paris noch als Hauptstadt der Welt gesehen wurde, war die Seine-Metropole erstmals Austragungsort, und die Spiele waren eher ein Anhängsel der Weltausstellung. 1924 dann ein zweites Mal. Von diesen Spielen sind sogar noch zwei Einrichtungen übrig geblieben: das altehrwürdige Stadion von Colombes, wo jahrzehntelang der Rugbyclub „Racing Paris“ beheimatet war, und ein olympisches Schwimmbad im 20. Pariser Arrondissement, in dem der spätere Tarzan, Johnny Weissmüller, Medaillen sammelte. Danach ein Jahrhundert lang nichts.
Drei fehlgeschlagene Versuche
Was haben sie sich bemüht in der französischen Hauptstadt seit den 80er Jahren, diese Olympischen Spiele wieder einmal an die Seine zu holen! 1992 war man an Barcelona gescheitert, schliesslich hiess der einst Franco nahe stehende IOK-Präsident damals Samaranch. 2008 gingen die Spiele nach Peking und beim dritten Anlauf, als man sich schon so sicher war, jetzt an der Reihe zu sein, scheiterte Paris am weitaus besseren Lobbying Londons, wo ein Tony Blair es deutlich besser verstanden hatte, die Stimmberechtigten im IOK um den Finger zu wickeln. Bertrand Delanoë, der damalige Pariser Bürgermeister, klagte hinterher, Blair habe vor der Entscheidung im Juli 2005 jedes einzelne IOK-Mitglied bei der Tagung in Singapore in seinem Hotelzimmer empfangen.
Jetzt, zwölf Jahre später, hat man es also geschafft. Und doch hat der Zuschlag für Paris einen fahlen Beigeschmack. Es ist, als käme man 2024 an die Reihe, weil es praktisch keine anderen Kandidaten mehr gibt.
Das Internationale Olympische Komitee (IOK), über Jahrzehnte hinweg eine Ansammlung von korrupten und halbkriminellen Zeitgenossen, hat die olympische Idee im Laufe der Zeit so weit herabgewirtschaftet, dass plötzlich fast niemand mehr Olympia haben möchte. Ja es bleibt sogar der Eindruck, das IOK habe die Package-Lösung mit Los Angeles gewählt, weil man auf die Art sicher ist, zumindest bis 2028 ausgesorgt zu haben und in vier Jahren nicht schon wieder mit der fast erniedrigenden Tatsache konfrontiert zu sein, dass wie diesmal ein Kandidat nach dem anderen das Handtuch wirft – Boston, Hamburg, Rom und am Ende Budapest, sagten allesamt: Olympia, nein danke!
Bevölkerung nicht gefragt
Nur Paris hat brav weitergemacht. In der zentralistisch-monarchischen Republik kam natürlich auch niemand auf den Gedanken, ähnlich wie in Hamburg, vielleicht die Bevölkerung im Grossraum Paris zu fragen, ob sie die Spiele denn überhaupt will. Die Pariser Bürgermeisterin, Anne Hidalgo, hat den Gedanken an ein Referendum über diese Frage regelmässig einfach vom Tisch gewischt, so als sei das nichts anderes als eine verrückte Idee.
Heute brüstet die Bürgermeisterin sich mit Umfragen, wonach 70 bis 80 Prozent der Franzosen die Olympischen Spiele 2024 in Paris für eine gute Sache halten. Sie, die noch vor drei Jahren klar und deutlich gesagt hatte: „Die Spiele sind teuer, die Kandidatur ist teuer, solch Geld raubende Spiele passen nicht mehr in unsere Zeit.“ Als wenig später der damalige Präsident François Hollande geäussert hatte, Olympische Spiele wären für das ganze Land etwas Grossartiges, musste sie klein beigeben und wandelte sich zu einer eifrigen Anhängerin der Sache.
Madame Hidalgo schwört heute auch Stein und Bein, diesmal werde das Budget (6,6 Milliarden Euro, die Hälfte privat finanziert) nicht überzogen wie in Athen oder Rio, auch wenn zurzeit in Tokio, drei Jahre vor den Spielen 2020, schon wieder alles aus dem Ruder läuft und fast niemand daran glauben will, dass es in der französischen Hauptstadt 2024 nicht so sein sollte. Wobei Paris allerdings in der Tat bereits über 90 Prozent der nötigen Anlagen verfügt. Das olympische Dorf gilt es zu bauen, eine Schwimmhalle, ein Hallenstadion und das Pressezentrum – alles andere ist vorhanden.
Aufwertung der Vororte
Das wirklich Interessante dabei: Abgesehen vom Hallenstadion werden diese Gebäude nicht in Paris selbst entstehen, sondern in den bisher nicht allzu gut beleumundeten nördlichen Vororten Saint Denis, wo auch das Frankreichstadion steht, und in Le Bourget. Eine ganze Reihe von weiteren Disziplinen werden in schon bestehenden Einrichtungen in der näheren Umgebung ausgetragen werden, im Departement Seine-Saint Denis, dem ärmsten im ganzen Land mit dem jüngsten Bevölkerungsdurchschnitt, wo der Wohnungspark vieler Städte zu 50 bis 65 Prozent aus Sozialwohnungen besteht.
Bis 2024 sollen in diesem und in den Nachbardepartements rund tausend neue U-Bahn- und S-Bahn-Züge auf neuen Strecken unterwegs sein, die endlich zahllose Vororte untereinander verbinden werden. Strecken, die so etwas wie ein Gerüst werden sollen für das seit Jahren diskutierte städtebauliche Grossprojekt „Le Grand Paris“.
Es ist der Versuch, die historischen Grenzen des nur 8 auf 13 Kilometer grossen Paris, wo im Schnitt pro Quadratkilometer über 21’000 Menschen wohnen, aufzubrechen, und so eine Metropole zu schaffen. Dadurch soll die zum Himmel schreiende Kluft zwischen Paris und seinen Vororten zumindest verringert werden. Die Olympischen Spiele, so meinen mehrere Experten, könnten auf dieses Projekt eine beschleunigende und unterstützende Wirkung haben.
Das historische Paris jedoch könnte auf die Olympischen Spiele und ihre Anziehungskraft für Menschen aus aller Welt durchaus verzichten. Terroranschläge und Drohungen hin oder her, die Seine-Metropole ist mit jährlich rund 30 Millionen Touristen auch so schon der meistbesuchte Ort der Welt – der Glanz der Lichterstadt ist immer noch ausreichend.
Schande der Porte de la Chapelle
Ein Glanz, der an manchen Orten allerdings mehr als getrübt ist. An der Hauptachse von der Pariser Innenstadt zu den meisten Veranstaltungsorten der künftigen Olympischen Spiele im nördlich gelegenen Departement Seine-Saint Denis liegt die Porte de la Chapelle, eine von Dutzenden Abfahrten von der Pariser Ringautobahn. Diese Eingangstür zur Lichterstadt wird während der Spiele ein zentraler Durchgangsort für Hunderttausende Besucher und Offizielle sein, die per Auto, Taxi, S-Bahn oder mit Fernzügen in die Stadt drängen.
Just hier, wo die Nordautobahn von den Flughäfen Roissy Charles de Gaulle und Le Bourget nach Paris hinein führt, spielen sich seit Monaten tagtäglich Dramen ab. Die Stadt Paris hat an diesem Ort mit jahrelanger Verspätung ein Aufnahme- und Anmeldezentrum für Flüchtlinge und Asylsuchende geschaffen, das jedoch von der Grösse und der personellen Ausstattung her völlig unterdimensioniert ist.
Die Folge: Aberhunderte, die keinen anderen Unterkunftsort haben, warten in nächster Umgebung auf Einlass, tage- und wochenlang. Dabei werden sie nun seit Monaten schon von Bereitschaftspolizisten permanent von Bänken, Plätzen und winzigen Rasenflächen gnadenlos verjagt. Alles, was nach Ansammlung aussieht, wird konsequent aufgelöst, selbst in der Nacht werden die Flüchtlinge fast stündlich geweckt.
Die Strategie ist so haarsträubend wie klar: Man will die Menschen schlicht unsichtbar machen. Dieser nördliche Zugang zur Lichterstadt ist eine permanente Schande – und der Staat ein gewaltiger Zyniker und Heuchler. Während der Präsident wiederholt betont, Frankreich müsse sich bei der Aufnahme von Flüchtlingen auf der Höhe zeigen, ordnet sein Innenminister derart menschenverachtende Polizeiaktionen an. Willkommen im Glanz der Olympiastadt.