Man muss den folgenden Satz ganz allmählich auf sich wirken lassen: „Es ist unser Ziel, dass die gute Nachricht von Jesus Christus gelesen, gesehen, gehört und gesungen wird.“ So wirbt der „SCM Hänssler Verlag“ auf seiner Website für sein Buchprogramm. Eines der Erzeugnisse zum Ruhme von Jesus Christus haben Mosab Hassan Yousef und sein Ghostwriter Ron Brackin verfasst. Das Traktat trägt den Titel „Sohn der Hamas – mein Leben als Terrorist“. Wie das? Ein islamistischer Terrorist zum Lobe Jesu ? Das passt dennoch – sofern der muslimische Terrorist zum Christen wird, und sofern er für die richtige Seite arbeitet, in diesem Fall für den israelischen Inlandsgeheimdienst Schin Bet.
Doch der Reihe nach. Als Sohn von Hassan Yousef, einem Mitbegründer der „Islamischen Widerstandsbewegung“ (Hamas) wird Mosab Hassan Yousef von den Israelis gefasst, eingekerkert und im Gefängnis zum Spion umgedreht. Wäre Mosab aufgeflogen, er wäre sofort von der Hamas getötet, vermutlich auch gefoltert worden, zumal er durch seine Spionage gegen den Vater die in der arabischen Welt stets hoch gehaltene Familienehre besudelt hat.
Eine offene Frage
Mosab begründet seine Spionagetätigkeit für Israel auch mit seinem wachsenden Abscheu vor der Hamas, die im Gefängnis ihre eigenen Leute gefoltert habe. Aber warum diskutiert Mosab seine Zweifel nicht mit seinem Vater, warum hält er sich nicht heraus aus den Aktivitäten der Hamas ? Das Buch gibt keine Antwort auf diese Frage.
Während seiner Zeit als israelischer Agent befasst sich Mosab mit dem Christentum, konvertiert schliesslich und bittet den Schin Bet, ihn aus den Spionagediensten zu entlassen. Er geht nach Kalifornien und schreibt ein Buch. Die israelische Zeitung "Haaretz" berichtet am 24. Februar 2010, Mosab habe durch seine Tätigkeit für den Schin Bet viele Selbstmordattentate der Hamas verhindert, mithin viele Leben gerettet. Mosab Hassan Yousefs Informationen trugen auch dazu bei, dass die Israelis Marwan Bargouti, den bei den Palästinensern überaus beliebten Führer von Jassir Arafats Fatah-Organisation im Westjordanland, verhaften konnten.
Die israelische Propagansamaschine
Soweit einige der wichtigsten, wohl unbestreitbaren Tatsachen. Hinzuzufügen bleibt hier, dass der Autor – gewollt oder ungewollt - die völkerrechtswidrigen Zustände in israelischen Untersuchungsgefängnissen aufdeckt.
Doch in den meisten anderen Passagen wird offenbar, dass die Feder des Autors durch die israelische Propagandamaschine geführt wurde. Denn ohne die Erlaubnis des Schin Bet und ohne dessen Genehmigung des Manuskriptes kann ein solches Buch nicht erscheinen. Keiner Erörterung wert ist dem von höherer Stelle gesteuerten Autorengespann etwa die Möglichkeit, dass es eine so starke Hamas nie gegeben hätte, wenn Israel seine Besatzung palästinensischer Gebiete aufgegeben hätte.
Im Übrigen unterlaufen dem Autor historische Fehler. Diese beruhen teils auf Unwissenheit, teils dürften sie dem Autor von seinen israelischen Auftraggebern diktiert worden sein. Zur ersten Kategorie gehört die Behauptung, der Islam habe sich zwischen 1517 und 1923 durch das Osmanische Kalifat über drei Kontinente ausgedehnt. Falsch! Die Ausdehnung des Islam beginnt bereits nach dem Tode des Propheten 632. Im Jahre 642 wird Ägypten erobert, 711 landen Muslime am heute Gibraltar genannten Felsen in Spanien – um nur einige Beispiele zu nennen.
Camp David ohne Angebot
Schwerwiegender sind die auf schierer Manipulation durch den Schin Bet basierenden Interpretationen, die der Autor Ereignissen wie etwa dem Ausbruch der ersten Intifada (1987), der Konferenz von Camp David (Sommer 2000) und dem anschliessenden Beginn der zweiten Intifada gibt. Diese Passagen könnten direkt von einem israelischen Regierungssprecher formuliert worden sein. Die Hamas, schreibt der ehemalige Schin Bet-Spion, habe 1987 nur einen Anlass zum Aufstand gegen Israel gesucht. Falsch: Die Hamas, so ist etwa im exzellenten Buch von Helga Baumgarten („Hamas, der politische Islam in Palästina“) nachzulesen, wurde erst eine Woche nach Ausbruch der ersten Intifada (Dezember 1987) gegründet, als sich die Führer des Islamischen Zentrums in Gaza, unter ihnen Scheich Ahmed Yassin, überlegten, welche Haltung man zu den Massendemonstrationen einnehmen sollte. Nicht erwähnt wird im Buch die Tatsache, dass Israel in den Jahren zuvor Scheich Yassin und dessen Anhänger unterstützt hatte – um ein Gegengewicht zu Arafats PLO und zu Arafats Fatah-Bewegung aufzubauen.
Dann die Darstellung der Friedenskonferenz von Camp David im Sommer 2000, zu der Präsident Bill Clinton geladen hatte. Bis heute geistert durch die Medien die Meinung, der damalige israelischen Premier Ehud Barak habe den Palästinensern grosszügig 90 Prozent der Westbank angeboten. Auch der Ex-Hamas-Mann Mosab Hassan Yousef und sein Ghostwriter Ron Brackin wärmen diese Version wieder auf. Wie aber im August 2001 der Zeitzeuge Robert Malley, einer von Clintons Beratern, in der „New York Review of Books“ schrieb, habe es niemals ein ausformuliertes israelisches Angebot an Arafat gegeben. Es habe immer nur vage israelische Ideen gegeben, welche die Amerikaner dann der palästinensischen Verhandlungsführung unterbreitet hätten.
Das Geschehen auf dem tempelberg
Schliesslich der Ausbruch der zweiten Intifada. Hier gibt der konvertierte Spion wiederum eine Darstellung, die dem politischen Kalkül Israels entspricht, nicht aber den historischen Tatsachen. Die Palästinenser hätten, schreibt der Autor, auf dem Tempelberg durch unfachgemässe Baggerarbeiten Schaden angerichtet, Ariel Scharon habe mit seinem Auftritt am 28. September 2000 auf dem Tempelberg sozusagen weiteres Ungemach verhindern wollen. Tatsache dagegen ist, dass Scharon mit einem von Ehud Barak genehmigten grossen Aufgebot an Polizei auf dem Tempelberg (arabisch Haram as- Sherif) erschienen ist, um diesen besonders dem Islam und dem Judentum heiligen Bezirk für Israel zu reklamieren. Für Muslime, für Palästinenser insbesondere, war dieser Auftritt eine Provokation, die, nach dem Scheitern von Camp David, zur zweiten Intifada führte. Dieser Hergang der Ereignisse ist Gemeingut unter allen seriösen Beobachtern des palästinensisch-israelischen Konfliktes.
Unerwähnt im Buch bleibt auch, dass die Siedler ihren Einfluss auf Politik und Militär Israels immens erweitert haben. Geld für Siedlungen fehlt im Sozialsystem des Landes, eine Folge waren die Massendemonstrationen im Frühherbst. Insgesamt ist – wen wundert's? – die Yousef/Brackin/Schin Bet-Version des Konfliktes auf dem Fundament des zionistischen Zieles aufgebaut, wonach Israel das gesamte Land zwischen Mittelmeer und Jordan gehöre. Demgemäss sind Palästinenser bestenfalls Störenfriede, schlimmstenfalls Terroristen. Gegen diese israelische Politik hat zunächst Jassir Arafats PLO gekämpft. Und als dieser Kampf erfolglos war und sich der so genannte Friedensprozess lediglich als Deckmantel für weitere israelische Landnahme und Vertreibung entpuppte, wandten sich viele der Hamas zu. Deren Attentate auf israelische Zivilisten sind verabscheuungswürdig, völkerrechtswidrig und politisch kontraproduktiv. Gleichwohl ist Widerstand, auch gewaltsamer, etwa gegen Siedler, die fremdes Land rauben, legitim.
Nicht einmal Bürger zweiter Klasse
Kein anderer als Amos Schocken, Eigentümer und Herausgeber der liberalen israelischen Tageszeitung "Haaretz", schreibt in einem Gastkommentar der „Berliner Zeitung“ vom 1. Dezember 2011 über die Politik der Siedler und deren Organisation Gush Emunim (Block der Getreuen): „Die Linie des Blocks der Getreuen ist klar und einfach: Die Besatzungsgrenzen nach dem Sechs-Tage-Krieg sind die für Israel geltenden Grenzen. Die Palästinenser, die in diesen Gebieten leben, (soweit sie nicht geflohen sind oder vertrieben wurden), sind einem harten Regime zu unterwerfen. Dies treibt sie in die Flucht oder führt zu ihrer Vertreibung, beraubt sie ihrer Rechte und schafft eine Situation, in der diejenigen, die bleiben, nicht einmal mehr Bürger zweiter Klasse sind.“
Deutlicher kann man die israelische Politik kaum skizzieren. Das ehemalige Hamas-Mitglied, der Schin Bet-Spion und Konvertit Mosab Hassan Yousef, hingegen unterlegt seinem Handeln eine christliche Vision: „Wenn wir Jesus in dieser Welt verkünden wollen“, lässt er seinen Ghostwriter formulieren, „müssen wir seine Botschaft der Liebe ausleben. Wenn wir Jesus folgen wollen, müssen wir auch damit rechnen, verfolgt zu werden. Wir sollten uns glücklich schätzen, wenn wir um seinetwillen verfolgt werden.“ Die Palästinenser, besonders die Christen unter ihnen, dürften ihre Freude an diesem Leiden haben.
Kampf der Götter
In der Zeitung "Haaretz" schliesslich (Ausgabe vom 25. 2. 2010) gibt der ehemalige Muslim zu Protokoll, im palästinensisch-israelischen Konflikt gehe es im Grunde um den Kampf zwischen dem Gott der Tora und dem Gott des Koran. Konvertiten, das ist bekannt, vertreten ihre neue Überzeugung stets mit einhundertfünfzigprozentiger Verve. Kein Wunder also, dass der Ex-Muslim und Ex-Hamas-Mann Mosab Hassan Yousef schreibt, die Palästinenser müssten aufhören, Israel und den Westen für alle ihre Probleme verantwortlich zu machen: „Wenn sie wahre Freiheit wollen, dann müssen sie sich von ihrem Gott befreien.“
Wie schön doch, wenn man endlich Christ ist. Und wie schön, dass ein christlicher Verlag nun einen Bestseller hat. Und wie schön, dass dieser christliche Verlag einen substanziellen Beitrag zum Kampf der Kulturen leistet.
Mosab Hassan Yousef, Sohn der Hamas, Mein Leben als Terrorist, SCM Hänssler, 5. Auflage , September 2010