Das jahre-, ja jahrzehntelange Schlechtreden zeigt Wirkung: Die EU weckt bei vielen Schweizerinnen und Schweizern negative Gefühle. Trotzdem unterstützt eine deutliche Mehrheit des Stimmvolks die laufenden Verhandlungen über die Bilateralen III zwischen der Schweiz und der EU. Das zeigt eine neue Umfrage von gfs.bern im Auftrag der SRG.
«Die EU ist ein ‘bürokratischer Moloch’»: So lautete jüngst der Titel über einem Artikel im Tages-Anzeiger. Was nachher folgte, war aber nicht eine eingehende journalistische Auseinandersetzung mit dem angeblichen bürokratischen Moloch Europäische Union, sondern die Beschreibung der Resultate einer Umfrage von gfs.bern im Auftrag der SRG zur Sicht der Schweizer Stimmberechtigten auf die EU und die bilateralen Verträge mit derselben. Was in der Umfrage viele Schweizerinnen und Schweizer behaupten, wird vom Tages-Anzeiger ungeprüft und unkommentiert einfach als Tatsache dargestellt. Dabei beschäftigt die EU weniger Mitarbeiter als der Kanton und die Stadt Zürich zusammen.
So geschieht es immer wieder in den Schweizer Medien: Faktenwidrige Behauptungen, die hauptsächlich EU-feindliche Kreise wie SVP-Vertreter um Einflüsterer Christoph Blocher sowie neuerdings auch ein Klub von Milliardären und Prominenten namens Kompass/Europa um Alfred Gantner und Kurt Aeschbacher aufstellen, werden meist unbesehen übernommen. Ein Faktencheck findet praktisch nie statt.
Das angebliche Brüsseler Beamtenmonster bemühte auch die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) in ihrer Berichterstattung. «Der ‘Bürokratiemoloch’ weckt unterschiedliche Gefühle» hiess der Titel über ihrem Artikel zur Umfrage von gfs.bern. Immerhin macht die Überschrift klar, dass nachher die Resultate einer Meinungsumfrage folgen könnten und nicht ein Text über den Bürokratiemoloch an sich. Und immerhin hat sich die NZZ kürzlich in einem Artikel eingehend mit dem Funktionieren des Brüsseler EU-Apparats auseinandergesetzt («Mit dem Bürokratiemonster leben lernen», NZZ vom 7. Oktober 2024).
Man hört die SVP reden
Das jahre-, ja jahrzehntelange EU-Bashing und die schlechte Presse, die die EU in der Schweiz hat, spiegeln sich in der Umfrage von gfs.bern. 49 Prozent der Stimmberichtigten gaben an, dass sie «negative» Gefühle gegenüber der Europäischen Union hätten. «Positive» Gefühle machte nur eine Minderheit von 28 Prozent der Befragten geltend.
Negative Gefühle sind dabei gemäss Umfrage mit dem Verlust von nationaler Souveränität, die mit einer Anbindung an die EU einhergehen soll, mit der Bürokratie in der EU und den als undemokratisch empfundenen EU-Entscheidungsprozessen verbunden. Genau das sind Meinungen zur Europäischen Union, wie sie die SVP und ihr nahestehende nationalkonservative Kreise seit langem mantramässig und meist unwidersprochen wiederholen. Und weil viele Schweizerinnen und Schweizer nur wenig Eigenwissen über die EU haben, fallen diese Behauptungen von SVP und Co. bei ihnen leicht auf fruchtbaren Boden. Positive Ansichten verweisen dagegen auf die EU als Friedens- und Wohlstandsprojekt, die wirtschaftlichen Vorteile einer Beteiligung an der EU sowie die Vorteile, die die Einbindung in eine grössere Gemeinschaft mit sich bringt.
Pragmatisches Verhältnis zur EU
Die EU mag bei den Schweizerinnen und Schweizern ein negatives Image haben, aber die bilateralen Verträge mit ihr stufen hohe 80 Prozent als wichtig für die Schweiz ein. Aber nur noch 54 Prozent meinen, diese Verträge brächten der Schweiz Vorteile. Positiv zu Buche schlagen dabei vor allem der hindernisfreie Zugang zu einem Teil des EU-Binnenmarkts, dem klar wichtigsten Exportmarkt für die Schweizer Wirtschaft, sowie die Möglichkeit, den Fachkräftemangel in der Schweiz zu lindern. Als negativ bezeichnet wird dagegen die verstärkte Zuwanderung in die Schweiz, die für Lohndruck sorge, die Miet- und Immobilienpreise steigen lasse sowie die Sozialwerke belaste.
Und obwohl die SVP und Kompass/Europa an den laufenden Gesprächen zwischen Bern und Brüssel über ein neues, drittes bilaterales Vertragspaket, den Bilateralen III, kein gutes Haar lassen, befürworten deutliche 71 Prozent der Stimmberechtigten diese Verhandlungen. Deren Dringlichkeit wird allerdings von den Befragten stark unterschiedlich beurteilt: 54 Prozent bezeichnen sie als dringend, 43 Prozent als nicht dringend. Diese klaren Zustimmungswerte zu den Bilateralen und zu den gegenwärtigen Verhandlungen bestätigen die Ergebnisse früherer Umfragen.
Fazit: Viele Schweizerinnen und Schweizer lieben die EU zwar nicht, aber sie finden diese so wichtig, dass sie geregelte Beziehungen der Schweiz zu ihr grossmehrheitlich gutheissen. In dieser Haltung spiegelt sich damit ein pragmatisches Verhältnis der Schweizerinnen und Schweizer zur EU.