Noch vor wenigen Jahren war die Situation bei den Pariser Taxis einfach und überschaubar. Es gab rund 17‘000 von ihnen für die Stadt Paris und den angrenzenden Vorstadtgürtel mit insgesamt rund 5 Millionen Einwohnern, und man bekam, wenn man es spontan haben wollte, so gut wie nie ein Taxi. Die Suche wurde regelmässig zu einer nervlichen Zerreissprobe und verwandelte sich nachts des öfteren in beinahe handgreifliche Auseinandersetzungen mit anderen Zeitgenossen am Strassenrand im Kampf um einen der Wagen mit grün leuchtendem Licht auf dem Dach.
Das alte Kartell
Die 17‘000 Pariser Taxis waren überwiegend auf drei grosse Taxiunternehmen – eine Art Kartell – verteilt, das dafür sorgte, dass sich ihre Zahl in Frankreichs Hauptstadt ja nicht erhöhte und keine Konkurrenz aufkam. Dies gelang über Jahrzehnte hinweg dank der zum Taxifahren nötigen Lizenz. Die war nur zu haben, wenn ein altgedienter Taxler in Pension ging oder starb, und sie war teuer: Rund 250‘000 Euro waren zu berappen, die dem Verkäufer und Vorgänger normalerweise als Altersversorgung dienten und den Anfänger in der Regel dazu zwangen, sich für sein restliches Arbeitsleben lang zu verschulden.
Diese Situation hat sich innerhalb von nur drei, vier Jahren radikal geändert. Ein Beispiel:
Paris, nachts um halb zwei. Die letzte Metro ist weg, ein Taxi mit grünem Licht auf dem Dach erbarmt sich und hält. Der Fahrer flucht nicht mal darüber, dass die Distanz nur 2,5 Kilometer beträgt und für ihn nicht viel dabei herausspringt. Der Mann aus Afrika hat andere Sorgen. Er scheint innerlich zu kochen. Mit kehliger und zugleich sich zusehends überschlagender Stimme stösst er alle zehn bis zwanzig Sekunden zwei Worte aus: „Un Uber …. Un Uber …. Un Uber“ ... was sich anhört wie „Anübär“.
Rabenschwarze Autos in dunkler Nacht
Dabei deutet der Zeigefinger der einen Hand ruckartig nach links, nach rechts, nach vorne, nach hinten, und es ist, als springe der Fahrer dabei jedes Mal ein paar Zentimeter weit von seinem Sitz auf. Man beginnt zu hoffen, die restlichen 2 Kilometer wohlbehalten zu überstehen, kämpft gegen die Müdigkeit und folgt dem Zeigefinger mit dem Blick und tatsächlich: Draussen schleicht ein rabenschwarzes Auto nach dem anderen in beide Richtungen über den Asphalt des Boulevard Strasbourg und des Boulevard Magenta. Eine ganze Armada von gepflegten Karossen füllt die ansonsten zu dieser Tageszeit fast leeren Strassen.
Kaum ein einziges der roten oder grünen Lichter der normalen Taxis ist auszumachen. Der verzweifelte Fahrer setzt zur finalen Wehklage an, wiederholt fünf, sechs, sieben Mal: „Wie soll man da nur Umsatz machen, sagen Sie mir das, wie soll ich da Umsatz machen?“
Verzweiflung
20‘000 dieser neuen, inoffiziellen Taxifahrer gebe es mittlerweile in der Region Paris, klagt er, mehr als die herkömmlichen. Und das bedeutet für ihn nicht nur weniger Kundschaft, sondern auch, dass seine teuer erstandene Lizenz innerhalb kürzester Zeit um einige Zehntausend Euro an Wert verloren hat. Diese neue Konkurrenz von Fahrern, oft ohne Ausbildung, die als „Auto-Entrepreneur“ im Einmannbetrieb funktionieren und sozial, etwa im Krankheitsfall, ohne jede Absicherung sind, hat ausserdem die in Paris im europäischen Vergleich ohnehin nicht sonderlich hohen Preise noch weiter gedrückt.
Teilweise kostet eine Fahrt bei ihnen nicht mal die Hälfte. Gegen diese Art von hemmungsloser und brutaler Konkurrenz haben die traditionellen Pariser Taxifahrer in den letzten Jahren gleich mehrmals mit der Gewalt der Verzweiflung geantwortet, bei Demonstrationen die dunklen Limousinen ihrer Gegner demoliert; regelmässig kam es auch im Alltag zu handgreiflichen Auseinandersetzung zwischen diesen beiden Kategorien von Taxifahrern.
Das Elend
Nun, nach zwei bis drei Jahren, bricht die Wut zwischen Fahrern der verschiedenen neuen Anbieter aus. Zwei Tage lang haben die so genannten VTC (Voiture de Tourisme avec Chauffeur) sehr durchschlagend die Zugänge zu beiden Pariser Flughäfen blockiert, aus Protest gegen neuen Formen von Online-Angeboten bei UBER und gegen ihre eigenen Arbeitgeber.
Die nämlich hatten jüngst, um der Konkurrenz von UBER entgegenzutreten, die Fahrpreise schlicht um 20 Prozent gesenkt – ein knallharter Einnahmeverlust für die Fahrer. Sie arbeiten seit Monaten und Jahren mindestens 70 Stunden die Woche, zehn Stunden pro Tag, um am Ende des Monats gerade mal den gesetzlichen Mindestlohn von 1‘100 bis 1‘200 Euro nach Hause zu bringen.
Enttäuschung
Mit grossem Enthusiasmus hatten sich überwiegend junge Männer aus den Pariser Vorstädten auf diese neuen Fahrerjobs gestürzt, um auf diese Weise – oft nach Jahren der Arbeitslosigkeit und des mühsamen Überlebens – endlich auf eigenen Beinen zu stehen und einer einigermassen regulären und geregelten Arbeit nachzugehen. Das waren allein in der Region Paris immerhin 20‘000.
Sie putzten sich heraus, zwängten sich in Anzüge, legten Krawatte und weisses Hemd an, rieben pfundweise Gel in die Haare und Wachs auf die schwarzen Lederschuhe und bemühten sich um gute Manieren. Manchmal haben sie etwas von Erstkommunikanten. Warten sie neben ihren Limousinen auf die Kundschaft, könnte man aber auch denken, sie seien Sicherheitsleute. Nur der Stöpsel im Ohr fehlt.
Racaille
„Alles nur Racaille“, fluchte jüngst ein traditioneller gallischer Taxifahrer mit Schnauzbart, grauen Haaren und Le Pen Parolen, als ihn einer seiner jungen Konkurrenten ohne Taxischild vor einem Krankenhaus ein wenig behinderte . „Racaille“ heisst so viel wie Lumpenpack, welches selbstverständlich dunkelhäutiger ist und aus der Vorstadt kommt.
Dieser „Racaille“ platzt aber jetzt, nach zwei, drei Jahren ihres Fahrerdaseins offensichtlich der Kragen. Der Traum vom Superjob im Luxusauto, dank dem man endlich aus der Arbeitslosenstatistik verschwunden und ins Berufsleben eingestiegen ist, droht sich schon wieder zu zerschlagen und ist für sie nach kürzester Zeit zum Albtraum geworden.
Die Misere am Steuer
In den schwarz glänzenden schweren Limousinen sitzt die Misere am Steuer hinter den getönten Scheiben und wird von UBER & Co., die in Frankreich selbstredend so gut wie keine Steuern zahlen, ausgepresst wie Zitronen.
Gleichzeitig nimmt aber in Paris heute aus der Generation der 20–40-Jährigen, die zur Hälfte ohnehin nur noch am und im I-Phone lebt, kaum noch jemand ein herkömmliches Taxi – und dies nach nur zwei, drei Jahren der Präsenz von UBER und Konsorten.
Der künftige Preis
Willkommen also im Pariser Taxidschungel, wo man sich gegenseitig auffrisst. Dem überwiegenden Teil der Kundschaft scheint dieser latente Kriegszustand unter den Chauffeuren egal zu sein. Wenn nicht gerade eine der mittlerweile drei Kategorien von Taxis aus dem einen oder anderen Grund Zugänge zu Flughäfen, Bahnhöfen oder irgendwelche Hauptverkehrsachsen blockiert, hat der Kunde heute zumindest den Vorteil, dass er in Paris wieder relativ einfach ein Taxi finden kann, ohne einem Nervenzusammenbruch nahe zu kommen.
Bleibt nur die Frage, welchen Preis er auf Dauer zu zahlen hat.