Mit dem richtigen Köder kann man fast jeden für sich gewinnen. Im Vorfeld der polarisierenden eidgenössischen Abstimmungen vom 3. März 2013 lohnt es sich, diese Köder etwas genauer zu untersuchen.
Die Volksinitiative „Gegen die Abzockerei“ und die Revision des Raumplanungsgesetzes haben interessante Gemeinsamkeiten. In beiden Fällen geht es um Einschränkungen der Freiheit, besonders hochgehende Emotionen, machtvoll aufgebauschte Angstszenarien, unterschiedliche Interessen der Wirtschaft und Gesellschaft und um die Rolle der Economiesuisse.
Freiheit: Wir alle sind stolz auf unser Land, Hort der Freiheit. Dabei vergessen wir nicht, dass die persönliche Freiheit ihre Grenzen hat. Solange sie anderen nicht schadet, halten wir sie hoch. Somit ist die logische Grenze eines jeden Menschen die Freiheit des/der andern. Bei beiden Abstimmungen geht es letztlich um genau diese Abgrenzung.
Abzocker schaden vielen und vielem, darüber besteht wohl wenig Zweifel. Der ungebremste Kulturlandverlust und die Zersiedelung in der Schweiz mögen für einzelne kein Problem sein. Für viele ist die Tatsache, dass hierzulande pro Sekunde ein Quadratmeter überbaut wird, allerdings so etwas wie ein schleichender Lebensqualitätsverlust, eine immer spürbarere Einengung der Bewegungsfreiheit. Damit mutiert die vielbeschworene Eigentumsfreiheit zum Rohrkrepierer: Sie zerstört den Boden, auf dem sie gedeiht. Als freie Menschen in einem freien Land können wir unsere Gedankenfreiheit dazu benutzen, die Entscheidungsfreiheit an der Urne zu demonstrieren.
Gegner der Minder-Initiative beschwören den Verlust von etablierten Freiheitsrechten: Die Pflicht für Pensionskassenvertreter zur Teilnahme an Abstimmungen an Aktionärsversammlungen und der Zwang zur jährlichen Wiederwahl von Verwaltungsräten; beides geht ihnen zu weit, beide Forderungen beschränkten persönliche Freiheiten innerhalb Geschäftswelt. Dabei ist gerade diese Teilnahmeverbindlichkeit, also die Pflicht, sein Recht wahrzunehmen (und nicht an Dritte zu delegieren), Bestandteil der guten, alten Kant’schen Freiheitsdefinition. Die Last der Verantwortung für die Freiheit seiner Entscheidung kann nicht delegiert werden. Dass Verwaltungsräte bei der jährlichen Generalversammlung wieder zu wählen sind, auch das gehört zum Verantwortungsbereich der Eigentümer – den Aktionären. Die Verantwortung dafür, dass einzelne Menschen (z.B. Abzocker) ihren Freiheitsraum nicht missbrauchen, wurde in der Vergangenheit zu oft nicht wahrgenommen. Falsch verstandene Freiheit.
Dass mit Schlagworten wie „Eigentumsfreiheit wird beschränkt“ und „Raubzug gegen das Privateigentum“ gegen das neue Raumplanungsgesetz angetreten wird, war zu erwarten. Da stehen sich tatsächlich die Interpretationen des Freiheitsgedankens gegenüber: Zum Beispiel die Freiheit des Wolfes gegen jene der Schafherde.
Emotionen: Die hochgehenden Emotionen im Vorfeld beider Abstimmungen zeigen vordergründig eines: Hier die rational Argumentierenden, dort die emotional Kämpfenden. Ein Journalist weiß es besonders genau. Die Befürworter hätten es einfach, sie argumentierten emotional und fällten den Entscheid „aus dem Bauch“. Hoppla, da ging bei der emotional gesteuerten Berichterstattung etwas vergessen. Es mag zwar rein affektiv-emotionale Entscheidungen „aus dem Baugefühl“ geben; dagegen existieren so etwas wie rein rationale Entscheidungen gar nicht. Aus der Sicht des neuro- und kognitionswissenschaftlichen Menschenbildes werden unsere bewussten Entscheidungen vorbereitet und getroffen durch emotionale Vorgänge. Somit findet rationales Abwägen immer in diesem Rahmen statt. Gerhard Roth, Professor für Verhaltensphysiologie meint dazu dezidiert: „Das emotionale Entscheidungssystem hat bei der Handlungssteuerung das erste und letzte Wort.“
Gegen „Goldene Fallschirme“ und „Selbstbedienung in Chefetagen“ wird in der Abzockerinitiative angetreten. Der Volksmund kreiert dann und wann sehr schöne, bildhafte Metaphern, die aussagekräftiger sind als spaltenlange, professorale Auftrags-Gutachten. Auch unsere Bundesrätin Doris Leuthard weiß darum, wenn sie in ihrer Argumentation im Hinblick auf das Referendum des Schweizerischen Gewerbeverbands gegen die Revision des Raumplanungsgesetzes ein eindrückliches Bild malt. „Nichts zu tun, wäre ein Spiel mit dem Feuer“, meinte sie kürzlich, drohend und lachend zugleich. Unser Denken beruht auch auf der Imaginationskraft und auf inneren Bildern, die wir uns persönlich erschaffen. Vorstellungsbilder machen vermutlich den Hauptinhalt unserer Gedanken aus, meint der Neurologe Damasio. Auch da gilt: Rationalität und Emotionen sind eng miteinander verflochten. Verstand und Gefühl sind untrennbar verflochten, ohne Gefühle ist kein vernünftiges Handeln möglich. Hochgehende Emotionen? Wissen wir jetzt, wovon wir reden, wenn wir rational argumentieren?
Angstszenarien: Eine der ältesten und bewährtesten Tricks, das Volk auf das „richtige“ Gleis zu bringen im Vorfeld von Abstimmungen ist die gekonnte Lancierung eines Angstmacher-Feldzugs. Mit verbalen Drohgebärden werden Unentschlossene erfolgreich so lang verunsichert, bis sie kapitulieren. Innerhalb der Kategorie Angstverbreitungskampagne gibt es die Filetstücke. Zum Beispiel: Gefährdung des Wirtschaftsstandorts Schweiz, gefährdete Arbeitsplätze, auf diese Weise lässt sich punkten. Damit wird gedroht, sollte die Abzocker-Initiative angenommen werden. Doch Angst ist ein schlechter Ratgeber. Beim Raumplanungsgesetz heißt die entsprechende Warnung: Achtung! Das verfügbare Bauland wird verknappt, die Preise werden steigen, der überwiegende Teil der Schweizer, der zur Miete wohnt, ist davon betroffen. Die Mieten werden explodieren!
Interessen der Wirtschaft: Vieles in unserem Land wird damit gerechtfertigt, als dass eine blühende Wirtschaft der ganzen Gesellschaft zugutekäme. Im Prinzip mag dies sehr oft stimmen. Wenn Vorteile für den Wirtschaftssektor jedoch größere Nachteile in anderen Bereichen für die Gesellschaft zur Folge haben, und sich diese sich erst mit Verzögerung zeigen, ist eine tiefere Gesamtanalyse notwendig.
Wird, wie seit einem Jahrzehnt, in unserem Land die freie Marktwirtschaft durch die Selbstbedienungsmentalität der Bonuselite gefährdet, ja letztlich selbstherrlich zerstört, dann tritt ein zutiefst schweizerisches Verhalten an den Tag: So nicht! Die Faust saust nicht nur in der Stammtischrunde, sondern auch am trauten Familientisch oder, etwas diskreter, in vielen Großraumbüros aufs Pult.
Die FDP-Kampagne gegen die Revision des Raumplanungsgesetzes wird ausgerechnet durch den Präsidenten des Schweizerischen Baumeisterverbands erläutert. Da mögen sich jetzt Herr und Frau Schweizer fragen, ob da nicht gar wirtschaftliche Interessen dahinter stünden?
Economiesuisse: Der Dachverband der Schweizer Wirtschaft engagiert sich seit Wochen außergewöhnlich stark für ein Nein bei beiden Vorlagen. Allein für die Bodigung der Abzocker-Initiative investiert er 8 Millionen Franken. Im Parlament hat er sich vorher erfolgreich für eine jahrelange Verzögerung der Beschlussfassung stark gemacht, eine Taktik, die nicht überall goutiert wurde. Beim Raumplanungsgesetz argumentiert er aus grundsätzlichen Überlegungen dagegen, da er den Föderalismus bedroht sieht.
Versuchen wir, diese beiden Geschäfte, worüber am 3. März 2013 abgestimmt wird, möglichst integral zu betrachten. Über den boomenden Wirtschaftsstandort Schweiz herrscht Freude. Steigender Wohlstand und willkommene Steuereinnahmen sind die Folgen. Die Rückseite der Goldmedaille: Das Wirtschaftswachstum manifestiert sich in der Form wuchernder Immobilienteppiche wie ein Krebsgeschwür, das Natur und Landschaft zerstört. Der Verdienst wächst, der Verlust auch. Unser Wirtschaftswachstum hat einen Ressourcenrückgang zur Folge, der immer sichtbarer wird. Ein quantitatives Wachstum, in dessen Folge die meisten Menschen qualitative Wohlstandseinbußen erleiden, indem ihre Umwelt beeinträchtigt wird - ist das erstrebenswert? Zumindest darüber nachzudenken dürfte sich lohnen.
Mit Speck fängt man die Mäuse. Auch Käse eignet sich bestens dafür. Einige der medial verbreiteten Botschaften im Vorfeld der Abstimmungen vom 3. März 2013 gehören – jedenfalls die unehrlichen – zur Kategorie löchriger Schweizerkäse.