Am 10. Oktober 2016 ist die Volksinitiative «Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt» (Konzernverantwortungsinitiative) eingereicht worden. Sie verlangt, dass Unternehmen mit Sitz, Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung in der Schweiz die international anerkannten Menschenrechte und Umweltstandards sowohl im In- als auch im Ausland respektieren müssen. Vier Jahre später, am 29. November 2020, wird es an den eidgenössischen Urnen zum grossen Showdown kommen. Das Schweizervolk wird darüber entscheiden, welche der beiden Politkampagnen die bessere war.
Im Prinzip für die Initiative, aber …
Es fängt schon beim Bundesrat an: «Er unterstützt den 'Kern der Initiative', aber …» Die FDP schreibt: «Die FDP unterstützt die Einhaltung und die Umsetzung der Menschenrechts- und Umweltstandards. Die von der Initiative vorgeschlagenen Massnahmen in Bezug auf die Sorgfaltspflicht lehnt sie dennoch klar ab.»
Man kann es drehen, wie man will: Weite Kreise der Schweizer Bevölkerung stören sich daran, dass «Schweizer Firmen», vor allem des Rohstoffhandels, angeklagt werden, in Menschenrechtsverletzungen in den Förderländern involviert zu sein. Das mit den «Schweizer Firmen» ist im Übrigen so eine Sache.
Erinnerung an die Bankgheimnis-Geschichte
Wenn ausländische Konzerne sich aus Steuergründen in der Schweiz ansiedeln, mutieren sie zu «Schweizer Firmen». Inzwischen beherbergt unser Land mehr als 500 solcher im Rohstoffhandel tätigen «Schweizer Konzerne». Zug und Genf sind Hochburgen dieser Schweizer Spezialität. Bei Annahme der Initiative würden wir «unsere» Unternehmen schwächen, warnen Initiativ-Gegner.
Unwillkürlich erinnern wir uns des unrühmlichen Untergangs des Schweizerischen Bankgeheimnisses. «Daran werden sie sich die Zähne ausbeissen», warnte der damalige Bundesrat Merz angesichts des massiven Drucks aus dem Ausland gegen diese Art von Steueroptimierung. Das damalige Bankgeheimnis ist weg, es ist nicht bekannt, dass in der Folge von den dafür verantwortlichen ausländischen Politikerinnen und Politikern einzelne notfallmässig ihren Zahnarzt aufgesucht hätten.
Wieder einmal liegt das Problem beim Ständerat
Angesichts des im Moment recht grossen Supports für die Initiative rang sich der Nationalrat mit Ach und Krach zu einem relativ vernünftigen Gegenvorschlag durch, um das offensichtliche Risiko einer Initiativ-Annahme zu verringern. Doch einmal mehr wurde der Ständerat seinem konservativen Etikett gerecht: Ihm ging das alles viel zu weit, er pochte auf Souveränität und Freiwilligkeit.
Und es kam, wie es musste: Dieser Starrsinn führt dazu, dass es gar keinen Gegenvorschlag gibt. Das massive Lobbying aus Wirtschaftskreisen hat vorerst Früchte getragen. Dick Marty, alt Ständerat FDP (!) und führender Kopf der Initiative: «Was man bisher nur aus Amerika kannte, hat die Schweiz erreicht. Mit Hilfe einer mächtigen PR-Agentur verbreiten die Konzerne im Internet im grossen Stil Unwahrheiten über die Konzernverantwortungsinitiative. Für ihre Kampagne wollen sie unglaubliche acht Millionen Franken ausgeben.»
«Eiserne Regel der Umfragewissenschaft»
In diesem Beitrag drei Monate vor der Eidgenössischen Abstimmung geht es keineswegs darum, Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, eine Abstimmungsparole zu unterschieben. Vielmehr möchte ich einmal mehr aufzeigen, wie es in der «Dunkelkammer» Ständerat zugeht, in welchem Ausmass die professionellen PR-Agenturen ihren Kampagne-Auftraggebern «Munition» abliefern. Entscheidend ist das im Vornherein von den Auftraggebern festgelegte Resultat der «professionell» durchgeführten Umfragen oder Gutachten.
Nur so ist es zu erklären, dass die im Frühling 2020 durchgeführten Umfragen zu völlig gegensätzlichen Resultaten kamen. Das Initiativkomitee vermeldete, dass im Mai starke 78 Prozent der Befragten der Initiative zustimmen würden. Wohl aufgeschreckt durch diese Prognose lieferte Swissmem (einer der Kampagnenführer der Gegner) seinerseits ein Umfrage-Gutachten mit dem Resultat, dass nur 46 Prozent der Stimmenden die Initiative unterstützen würden.
Ergänzend ist dazu in der NZZ zu lesen: «Die Episode illustriert eine eiserne Regel der Umfragewissenschaft: Mit der Art der Fragestellung lassen sich die Antworten stark vorspuren […] Der Gegenvorschlag des Nationalrats hat die Kernforderungen der Volksinitiative mit einigen Abschwächungen übernommen und würde zum Rückzug der Initiative führen. Die Variante des Ständerats führt dagegen keine neuen Haftungsregeln ein, sondern enthält allgemeine Berichterstattungspflichten …» Das Resultat dieser Manöver ist bekannt: Keiner der beiden Gegenvorschläge schaffte es und es wird damit nur das Ja oder Nein an der Urne zur ursprünglichen, radikalen Initiative geben.
Das Volk entscheidet
Der Entscheid, welche der Argumente, die – von den professionellen PR-Spezialisten der Initiativbefürworter oder -gegner in den nächsten Monaten laut und kämpferisch formuliert – zu einem Ja oder Nein an der Urne führen werden, liegt bei jenen Bürgerinnen und Bürgern, die ihr Stimmrecht ausüben werden. Viele der Abstimmungsparolen beruhen auf Befragungen, Hypothesen, unbeweisbaren Annahmen oder Zweckoptimismus, resp. -pessimismus. Dass die Initiative im Bundesrat und im Parlament ganze vier Jahre lang zu reden gab, ist ein Indiz dafür, dass das Anliegen im Kern eine Selbstverständlichkeit fordert. Über den Weg zu einer Verbesserung kann man sich in guten Treuen streiten.
Das Abstimmungsresultat im November 2020 wird auch insofern interessant sein, als es zeigen wird, ob die «Alles-oder-nichts-Haltung» der durch den Ständerat provozierten Fundamentalablehnung funktionierte oder ob nicht die kooperative «Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach»-Idee des indirekten Gegenvorschlags die bessere Strategie gewesen wäre.