Es wäre eine Riesenüberraschung, wenn die 45-jährige laute, meist aggressive Postfaschistin nicht italienische Ministerpräsidentin würde. In den letzten Stunden vor der Wahl am Sonntag gab sie sich wie ein demokratiefreundliches Lämmchen. Doch das ist sie nicht. Ein Kommentar.
Seit Wochen liegt ihre rechtspopulistische Partei «Fratelli d’Italia» stabil an der Spitze. Doch allein werden die «Brüder Italiens» keine Regierung bilden können. Sie sind auf die ebenso rechtspopulistischen «Lega» von Matteo Salvini und «Forza Italia» von Silvio Berlusconi angewiesen. Zusammen dürfte diese Troika eine Mehrheit im jetzt geschrumpften italienischen Parlament bilden. Und da Meloni der stärksten dieser drei Parteien vorsteht, wird Staatspräsident Sergio Mattarella nicht darum herumkommen, sie mit der Bildung einer Regierung zu beauftragen.
Keine Alternative in Sicht
Wer denn sonst? Eine Alternative scheint es nicht zu geben. Zweitstärkste Partei sind die Sozialdemokraten. Sie liegen in Umfragen drei, vier, fünf Prozent hinter den Fratelli. Aber: Allein können auch sie nicht regieren. Mit wem denn sonst noch?
Da gibt es die linksliberalen Mini-Parteien «Azione» von Carlo Calenda und «Italia via» von Matteo Renzi. Doch selbst wenn sie sich zusammenschlössen, würde es mit Sicherheit nicht zu einer Mehrheit reichen, um den Ministerpräsidenten zu stellen.
Selbst wenn es ein politisches Erdbeben gäbe ...
Ein sozialdemokratisch-linksliberales Bündnis (Sozialdemokraten plus «Azione» plus «Italia viva») käme auf höchstens 30 Prozent der Stimmen. Dem rechtspopulistischen Dreigespann hingegen werden um die 45 Prozent vorausgesagt.
Und selbst wenn ein politisches Erdbeben einträfe und die Linke eine Mehrheit gewänne, wäre dies eine schrecklich instabile Mehrheit und würde wohl nach kurzer Zeit zerbrechen. Letta hasst Renzi, weil dieser ihn 2014 gestürzt hatte. Und Renzi hasst Letta, weil dieser jetzt die Sozialdemokraten anführt und Renzi nur einer traurigen Konfetti-Partei vorsteht. Es ist absolut nicht anzunehmen, dass sich einer der beiden dem andern unterordnet.
Die Linke und die Fünf Sterne?
Da gibt es noch die «Cinque Stelle» (Fünf Sterne), eine sowohl links- als auch rechtspopulistische Protestpartei. Sie hatte die Wahlen vor vier Jahren gewonnen, ist jetzt aber auf die Hälfte zusammengeschrumpft. Meinungsumfragen geben ihr etwa 15 Prozent.
Rein theoretisch: Wäre ein Bündnis zwischen den Sozialdemokraten, der «Azione», «Italia viva «und den «Cinque Stelle» möglich? Zusammen kämen diese Parteien auf höchstens etwa 43 Prozent – also nahe an das rechtpopulistischen Troika heran.
Nicht vorstellbar
Aber: Eine solche Vierer-Allianz wäre eine Totgeburt. Enrico Letta, der Chef der Sozialdemokraten, hat es kategorisch ausgeschlossen, mit «dem wilden Haufen» der Cinque Stelle zusammenzuspannen. Zu Recht: Die Sterne, mit ihrer Schnickschnack-Basisdemokratie, wechseln ihre Positionen fast täglich und haben sich längst diskreditiert. Ihr Chef, der frühere Ministerpräsident Giuseppe Conte, ist ein schwacher Versager, dem es nicht gelungen war, einen seriösen Plan zur Verteilung der 200 EU-Milliarden auszuarbeiten. Deshalb wurde er von Matteo Renzi als Ministerpräsident gestürzt. Und Giuseppe Conte war es dann, der für den Sturz der Regierung von Mario Draghi verantwortlich ist.
Es ist nicht vorstellbar, dass Letta, Renzi, Calenda und Conte zusammenfinden und am gleichen Strick ziehen.
Salvini im Boot
Also: Keine Alternative zu Giorgia Meloni. Doch auch sie wird sich – falls sie Regierungschefin wird – mit Allianz-Partnern herumschlagen: vor allem mit Matteo Salvini, dem Chef der «Lega». Er, vor zwei Jahren noch ein Shootingstar in Italien, war fest überzeugt, nächster italienischer Ministerpräsident zu werden. Doch er scheiterte an sich selbst. Seine Auftritte und Positionen wurden zunehmend peinlich. Seine Anhänger zog es scharenweise zu Giorgia Meloni. Salvinis Lega, die vor zwei Jahren in Meinungsumfragen noch bei bis zu 35 Prozent lag, ist auf 15 Prozent abgerutscht.
Jetzt kommt er nicht umhin, Meloni den Vortritt zu lassen. Das muss sie sich teuer erkaufen, denn allein kann auch sie nicht regieren. Sie braucht Salvini, und sie braucht Berlusconi. Und vor allem Salvini stellt bereits unverhohlen seine alten rassistischen und extremistischen Forderungen. Am Donnerstag sagte er: «Ich kann es kaum erwarten, die Häfen für Flüchtlinge wieder schliessen zu können.» Salvini steht in Catania vor Gericht, weil er einem Rettungsschiff mit 116 teils kranken und ausgehungerten Flüchtlingen verbot, in Italien anzulegen.
Ohne die Lega hat sie keine Mehrheit
Salvini will das wichtige Amt des Innenministers übernehmen, was Meloni offenbar nicht behagt. Doch wie weit kann sie ihn zurückbinden? Salvini hat Meloni in der Hand – und umgekehrt. Diese Woche erklärte er ultimativ: «Die Verteilung der Ministerien entscheiden wir, ich und Meloni, gemeinsam.» Er wird Forderungen stellen, drohen. Sie wird darauf eingehen müssen, denn ohne seine Lega hat sie keine Mehrheit.
Meloni versuchte in jüngster Zeit, sich als verantwortungsbewusste, gemässigte Politikerin zu geben, der die Freiheit und das Wohl des Volkes und Europa am Herzen liegt. Viele Medien (auch nicht-italienische) haben diese Schalmeien kommentarlos widergegeben.
Marine Le Pens Freundin
Doch es darf nicht vergessen werden: Meloni strebt eine «illiberale Demokratie» à la Viktor Orbán an. Sie will die Rechte der Minderheiten beschränken. Sie will via einer Verfassungsänderung in Italien eine Art Präsidialsystem einrichten, das dem Präsidenten grosse Macht und Befugnisse gibt. Sie ist mit Marine Le Pen befreundet und galt – zumindest früher – als Putin-freundlich. Und der wahrscheinlich mitentscheidende Berlusconi gibt wenige Tage vor seinem 86. Geburtstag Unsinn von sich, wie «Putin wurde zum Krieg gedrängt». Die EU zahlt Italien 200 Milliarden Euro Aufbauhilfe, doch Meloni und Salvini nicht müde, gegen die EU zu wettern. «Ich lasse mir von Brüssel nicht dreinreden», sagte sie letzte Woche. Salvini versammelte am Freitag Getreue um sich, die Plakate mit der Aufschrift trugen «Ursula (von der Leyen) out!»
Dazu kommt Salvini mit seiner rassistischen Forderung, die Grenzen «für Unerwünschte» zu schliessen. Zudem will der Putin-Freund die Sanktionen gegen Russland aufheben und der Ukraine keine Waffen mehr liefern.
Naiv?
Natürlich kann man sagen: Italien, die dritte Volkswirtschaft der EU ist stark in Europa eingebunden. Meloni wird sich nicht alles erlauben können. Zudem kann ihr die EU den Geldhahn abdrehen. Italien braucht Europa. Viel mehr als umgekehrt.
Viele Italiener und Italienerinnen geben sich angesichts dessen, was da mit einer Regierung Meloni auf sie zukommt, erstaunlich gelassen. Italien sei eben ein emotionales Land. Schon immer, heisst es, seien Politiker schnell in den Himmel gehypt worden – um dann ebenso schnell wieder in der Hölle zu enden. Das mag beruhigend wirken. Vielleicht ist es aber auch naiv. Denn wenn Meloni eine längere Zeit an der Macht bleibt, kann sie viel Unheil anrichten: Für Italien und Europa.