Es ist ein offenes Geheimnis, dass russische Hacker in den italienischen Wahlkampf eingreifen und Stimmung für die Rechtspopulisten machen. Matteo Salvini, der Chef der «Lega» hat bereits begonnen, den Sprachgebrauch des Kremls zu übernehmen.
Salvini erklärte am Samstag in Fano, einer Küstenstadt an der Adria, Italien müsse die Sanktionen gegen Putin «überdenken». Die westlichen Massnahmen würden Russland nicht schaden – Italien jedoch schon. Wörtlich: «Wir haben es mit dem einzigen Fall in der Welt zu tun, in dem Sanktionen, die einen Krieg beenden, ein Regime in die Knie zwingen oder Anschläge verhindern sollen, nicht den Sanktionierten schaden, sondern jenen, die die Sanktionen ergreifen.»
Die Italiener seien die Verlierer, die Russen die Gewinner, rief Salvini vor seinen Anhängern aus. «Offensichtlich hat sich in Brüssel jemand verkalkuliert.»
«Wir müssen das ukrainische Volk weiterhin unterstützen, verteidigen und ihm helfen, aber die Sanktionen schaden Russland nicht, das Hunderte von Milliarden mehr einnimmt.»
«Putin hätte es nicht besser sagen können»
Enrico Letta, der Chef des sozialdemokratischen «Partito Democratico» (PD) antwortete prompt: «Putin hätte es nicht besser sagen können. Salvini ist eine Gefahr für das Land.»
Die Analyse des Lega-Chefs wird von den meisten Experten nicht geteilt. Amerikanische und britische Thinktanks rechnen damit, dass die russische Wirtschaft wegen der Sanktionen langsam aber sicher schweren bis katastrophalen Schaden erleiden wird. Vor allem die fehlenden westlichen Ersatzteile würden dem Land arg zu schaffen machen.
Salvinis Putin-Hörigkeit ist nicht neu. Das Foto, das ihn auf dem Roten Platz mit einem Putin-T-Shirt zeigt, macht auch jetzt wieder die Runde in den Medien.
Früher hatte Salvini gesagt, Putin sei «ein Geschenk Gottes» und verdiene den Friedensnobelpreis. Und 2019 erklärte der Lega-Mann: «Lasst mich sagen, dass Putin einer der besten Regierungschefs der Welt ist, zusammen mit Trump.»
Salvini war oft Gast in Moskau. 2017 hatte die Kreml-Partei «Einiges Russland» ein «Partnerschaftsabkommen» mit der Lega geschlossen. Später tauchte Salvini in einer Bar des Moskauer Hotels Metropol auf und soll – so besagen es mehrere Indizien – mit Emissären des Kreml über eine Mitfinanzierung des Lega-Wahlkampfs für die Europa-Wahlen verhandelt haben. Es sei um Millionen gegangen, schrieben italienische Medien. Salvini sagte, er habe «keinen einzigen Rubel» erhalten.
Die Lega auf 14 Prozent abgerutscht
Salvini geht es nicht gut. Seine Lega, die vor drei Jahren in Umfragen noch auf Zustimmungswerte von bis zu 35 Prozent kam, ist jetzt auf 14 Prozent abgerutscht. An diesem Wochenende wurde sie sogar von den «5 Stelle» überholt und rutschte damit auf den vierten Platz ab. Salvinis einstige Anhänger und Anhängerinnen sind in Massen zu Giorgia Meloni abgewandert, der Chefin der rechtspopulistischen, postfaschistischen «Fratelli d’Italia» (FdI).
Wenige Tage vor den Wahlen am 25. September zieht nun Salvini medienwirksam und laut die klassische rechtspopulistische Karte. Er schlägt sich auf die Seite des «armen Volkes», das wegen des Krieges höhere Benzin-, Gas- und Lebensmittelpreise bezahlen muss. Die Sanktionen «schaden unseren Unternehmen und Familien». Salvinis Botschaft ist klar: Was kümmern uns Putin und der Krieg in der Ukraine, wir wollen billiges Benzin!
Der EU-Kritiker
Salvini war auch immer als EU-Kritiker bekannt. Auch diese Karte zieht er jetzt wieder. Europa sei mit seiner «ideologisch grünen Politik» mitverantwortlich für die Preisanstiege.
Doch auch wenn Salvinis Partei schrumpft und schrumpft: Der Lega-Chef wird in der kommenden Regierung vermutlich als Innenminister eine wichtige Rolle spielen.
Meloni ist auf Salvini angewiesen
Zudem ist er mit seiner Putin-freundlichen Haltung nicht allein. Giorgia Meloni, die vermutlich neue Ministerpräsidentin, ist zwar cleverer als Salvini und hält sich im Wahlkampf zurück. Doch was sie wirklich denkt und will, werden wir erst nach den Wahlen erfahren. Früher jedenfalls hatte sie sich immer wieder Putin-freundlich und vor allem EU-kritisch geäussert. Auch der Dritte im rechtspopulistischen Bund, Silvio Berlusconi, der immer mehr zum Polit-Clown mutiert, gab sich lange Zeit als Bewunderer und Freund von Putin aus.
Melonis Fratelli d’Italia werden laut Umfragen die stärkste Partei im rechtspopulistischen Dreigestirn. Doch Meloni wird nicht allein regieren können. Sie ist auf Salvini und Berlusconi angewiesen. Nur zusammen verfügen die drei über ein Mehrheit. Salvinis Putin-freundliche Haltung könnte also die gesamte Regierung beeinflussen.
Der 200-Milliarden-Trumpf
In den USA, in der EU und der Nato fürchtet man deshalb, dass Italien aus dem solidarischen westlichen Anti-Putin-Block ausscheren könnte. Schon Melonis Dauerflirt mit Viktor Orbán und seiner illiberalen Demokratie dürfte die EU schwer belasten. Putin könnte sich bald die Hände reiben.
Allerdings wissen auch Italiens Rechtspopulisten, dass Italien nicht aus dem europäischen Wirtschaftsgefüge ausbrechen kann. Zudem verfügt die EU über ein Druckmittel. Brüssel hatte Italien eine Aufbauhilfe von 200 Milliarden Euro zur Modernisierung des Landes zugesprochen. Dieses Geld wird in Tranchen ausbezahlt. Bisher floss erst ein kleiner Teil. Wie wird sich die EU verhalten, wenn die neue italienische Regierung eine EU-kritische Haltung einnimmt und die europäische Solidarität mit der Ukraine sprengt?