Auf kommerzieller Basis wird Geheimdienst-Know-how für politische Manipulation angeboten. Dies hat ein internationales Recherche-Konsortium aufgedeckt. Der Fall zeigt die vitale Bedeutung kompetenter und unabhängiger Medien für die Demokratie.
Die geheime israelische Firma «Team Jorge» bietet gegen erkleckliche Summen die verdeckte Beeinflussung von Wahlen und Abstimmungen an. Dies hat im Rahmen des weltweiten Qualitätsmedien-Netzes «Forbidden Stories» (Tages-Anzeiger, RTS, Der Spiegel, Die Zeit, Süddeutsche, ZDF, Le Monde, Radio France, El País, La Repubblica, The Guardian, The New York Times, The Washington Post, Haaretz, The Marker etc.) ein internationales Reporterteam in einer halbjährigen Recherche aufgedeckt. Deren Ergebnisse wurden heute publiziert.
«Team Jorge» hackt Mail- und Social-Media-Konten politischer Exponenten, um in deren Namen gefälschte Informationen zu verbreiten und um deren Privatsphäre auszuspähen. Die illegalen Zugriffe dienen der im Sinne der Auftraggeber gezielten Desinformation. Die Besonderheit der jüngst enttarnten Firma sind komplexe Strategien, bei denen jeweils mehrere Arten des Zugriffs kombiniert werden: politische Akteure diskreditieren, Fake News streuen, gegnerische Parteien sabotieren.
Chef der israelischen Firma ist Tal Hanan, der sich Jorge nennt, ein Ex-Militär. Er hat ein Team von ehemaligen Agenten und Angehörigen militärischer Spezialeinheiten um sich versammelt und pflegt Kontakte zu diversen Geheimdiensten. In seiner Geschäftspraxis geht er offenkundig sehr viel weiter als sein zeitweiliger Kooperationspartner, das inzwischen aufgelöste Unternehmen «Cambridge Analytica», das «nur» Google-Daten gestohlen hatte, um Wähler mit personalisierter und psychologisch ausgeklügelter Werbung zu beeinflussen.
«Team Jorge» brüstet sich mit Interventionen in bislang 33 nationalen Wahlen und Abstimmungen und behauptet, meist erfolgreich gewesen zu sein. Reporter von «Forbidden Stories» standen als angebliche Interessenten mit «Team Jorge» in Kontakt. Ihnen führte Tal Hanan bei vermeintlichen Verkaufsgesprächen sein IT-Instrumentarium vor. Die mit Millionensummen selbst entwickelte technische Plattform «Advanced Impact Media Solutions» (AIMS) dringt angeblich in jegliche Mail- und Social-Media-Konten ein und dirigiert ein Heer von, wie es heisst, 30'000 täuschend echten Fake-Accounts, mit denen machtvolle Kampagnen ausgelöst werden können.
Täuschung, Lüge und Manipulation sind seit den Zeiten Nimrods den politischen Geschäften nie fremd gewesen. Wo es um Macht geht, hat Moral im wörtlichen Sinn das Nachsehen: Sie beurteilt meist im Nachhinein, was passiert ist; eine handlungsleitende Rolle wird ihr selten zugestanden. Empörung über die Amoral der Politik und des Geschäfts mit der Politik führt deshalb nicht weiter.
Die angemessene Reaktion auf die «Team Jorge»-Enthüllung ist nicht moralischer Aufschrei, sondern kühle Überlegung: Wie ist die offenkundig um sich greifende systematische Manipulation am besten einzudämmen? Denn «Team Jorge» ist ja nicht allein. Geheimdienste und Cyberkriminelle entwickeln laufend neue Methoden des Ausspähens und Unterwanderns, findige IT-Leute passen diese an fürs politische Geschäft, und man kann damit einen Haufen Geld machen. Es ist deshalb sinnvoll, immer mit der Möglichkeit zu rechnen, dass in der Politik jemand zu solchen illegitimen und vielfach auch illegalen Mitteln greift.
Hilflos ausgeliefert ist man derartigen Machenschaften glücklicherweise nicht – aber nur unter einer Bedingung: Es müssen in jedem grösseren Land mehrere schlagkräftige und unabhängige Medien vorhanden sein, die (bei grossen Fällen im Verbund) solch aufwändige Recherchen stemmen können und die über jene hochqualifizierten Journalistinnen und Journalisten verfügen, die es für so schwierige Langzeituntersuchungen braucht.
Jede einzelne Aufdeckung klandestiner Machtausübung bedeutet ein Stück Aufklärung und wirkt weit über den jeweiligen Anlass hinaus. Sie weckt den kritischen Sinn des Publikums und besonders auch der Medienschaffenden. Letztere müssen immer wieder daran erinnert werden, dass Informationen zu überprüfen sind, bevor sie weitergegeben werden dürfen. Kompetentes journalistisches Personal trägt entscheidend dazu bei, die Flächenbrände der Desinformation einzudämmen.
Auch das Medienpublikum hat beim Kampf gegen die heimlichen Drahtzieher eine wichtige Rolle. Es muss sich bewusst sein, dass kompetente und unabhängige Medien Geld kosten. Es genügt nicht, den Reporterinnen und Reportern von «Forbidden Stories» zu applaudieren. Man muss ihre Artikel im Netz bezahlen, die guten Zeitungen und Magazine abonnieren, für den Erhalt öffentlich-rechtlicher Radios und Fernsehsender votieren. Und jederzeit muss zivil couragiert dem verbreiteten pauschalen Miesmachen sämtlicher Medien entgegengetreten werden.