Fast dasselbe Spiel wie vor fünf Jahren – eine Woche vor dem 1. Wahlgang gibt es Meinungsumfragen, die die rechtsextreme Kandidatin im entscheidenden 2. Wahlgang bei fast 50 Prozent sehen.
Eigentlich nichts Neues im französischen Wahlkampf und im Vergleich zum Jahr 2017. Nach einer gewissen Aufregung um die Kandidatur des ultraradikalen und rassistischen Nationalisten Eric Zemmour, der in den Umfragen kurzfristig an 2. Stelle rangierte, sowie nach einigen, schnell verglühten Hoffnungsfunken für die Kandidatin der klassischen Konservativen, Valerie Pécresse, wonach sie es hätte ins Finale schaffen können, sind die Dinge jetzt seit etwa drei Wochen relativ klar, die Fronten bereinigt und fast alles ist wieder beim Alten.
Erneut Macron-Le Pen
Wie schon vor fünf Jahren wird es in der Stichwahl am 24. April erneut zum Duell zwischen Emmanuel Macron und Marine Le Pen kommen. Der amtierende Präsident, der sich erst im allerletzten Moment als Kandidat für seine eigene Nachfolge erklärt und seitdem so gut wie gar keinen Wahlkampf gemacht hat, liegt in den Umfragen mit 26 bis 28 Prozent wenige Tage vor dem 1. Durchgang immer noch deutlich in Front. Marine Le Pen, die in den letzten drei Wochen kräftig zugelegt hat, bringt es auf 20 bis 22 Prozent. Alle anderen Kandidaten rangieren, deutlich abgeschlagen, auf den hinteren Plätzen.
Was den Linkaussen und Ex-Sozialisten, Jean-Luc Melenchon, der wie Le Pen in den letzten drei Wochen «von einer positiven Dynamik profitierte», wie die Meinungsforscher sich ausdrücken, nicht daran hindert, mit seinen derzeit 15 Prozent in den Umfragen immer noch so zu tun, als könnte er an Marine Le Pen vorbeiziehen und es in den entscheidenden 2. Wahlgang schaffen, beziehungsweise tatsächlich daran zu glauben, er könnte es schaffen.
Le Pen ante portas ?
Beachtlich ist in diesem ohnehin sehr merkwürdigen, vom Krieg in der Ukraine völlig überlagerten Wahlkampf, dass seit einer guten Woche vom ersten Wahlgang am kommenden Sonntag kaum noch die Rede ist, sondern fast nur noch von der Stichwahl am 24. April. Die gesamte französische Presse hat in diesem Zusammenhang Marine Le Pen seit Tagen mindestens eine Titelgeschichte gewidmet, mit dem Grundton: sie ist, entgegen aller Unkenrufe und trotz der Kandidatur von Eric Zemmour, wieder da und im Rennen und ihr Bemühen, so hoffähig wie möglich zu wirken, hat Erfolg. Zwar sei die Rechtsauslegerin im Grunde für die demokratische Grundordnung nach wie vor gefährlich, heisst es, sie könnte es diesmal, bei ihrem 3. Anlauf, aber vielleicht trotzdem schaffen, ins höchste Staatsamt zu gelangen. In der Tat sagen ihr die Meinungsumfragen der letzten Tage für das Duell mit Emmanuel Macron am 24. April inzwischen 45 bis 47 Prozent der Stimmen vorher!
Sollten diese Prognosen in knapp 3 Wochen Realität werden, wäre auch das schon ein gewaltiger Donnerschlag in der politischen Landschaft Frankreichs. Vor fünf Jahren hatten die französischen Wähler die rechtsextreme Kandidatin in der Stichwahl noch bei 34 Prozent eingebremst. Millionen Franzosen, darunter ein Grossteil des linken Wahlvolkes, hatten damals im Grunde nicht für Macron gestimmt – was selbiger allzu schnell vergessen sollte – sondern in allererster Linie gegen Marine Le Pen! Ja, dieser 2. Wahlgang war damals de facto ein Referendum gegen die extreme Rechte in Frankreich.
Und heute?
Fünf Jahre später, angesichts der Tatsache, dass Macron im Laufe seiner Amtszeit im Grunde zur zentralen Figur der französischen Rechten geworden ist, nach heftigen Protesten gegen seine letztlich gescheiterte Rentenreform, nach Gelbwestenbewegung und zwei Jahren Covid 19 wird sich ein Referendum in dieser Form nicht mehr wiederholen. Es gibt zu viele linke Wähler in Frankreich, die diesmal nicht bereit sein werden, Macron ein zweites Mal ihre Stimme zu geben und am 24. April zu Hause bleiben oder ins Wochenende fahren werden, ohne bei den Wahlurnen vorbeizuschauen.
In Präsident Macrons Umgebung, so heisst es, mache sich eine gewisse Unruhe und Besorgnis breit. Es ist, als bereue man inzwischen, dass der amtierende Präsident zu spät in den Wahlkampf eingestiegen ist respektive eigentlich gar keinen geführt hat. Eine einzige Wahlveranstaltung am letzten Samstag, abgehalten wie das Spektakel beim Superbowl, wo Macron sich sozusagen in letzter Minute vor 30’000 Anhängern plötzlich, gemäss seiner Devise «Sowohl links als auch Rechts» an sein linkes Bein erinnerte und mit Phrasen um sich warf, die bei potentiell linken Wählern Eindruck schinden sollten. Bis hin zu dem Satz in Richtung der Grosskonzerne: «Unsere Leben sind mehr wert als eure Profite» – eine Parole, die er doch tatsächlich bei der ultralinken NPA («Neue antikapitalistischen Partei») des Kandidaten Philippe Poutou gestohlen hatte. Ebenso geklaut das Motto «La Force Tranquille», mit dem ein gewisser Francois Mitterrand 1981 die Präsidentschaftswahlen gewonnen hatte.
Zemmour auflaufen lassen
Währenddessen ist Marine Le Pen in diesem Wahlkampf ohne grosses Aufsehen ihren eigenen Weg gegangen. Sie hat sich vom Auftauchen ihres rechtsextremen Konkurrenten, Eric Zemmour, der mit dröhnenden Grossauftritten das Land bereiste, nicht beirren lassen. Sie verfiel auch nicht in Panik, als fast ein Dutzend Persönlichkeiten aus der Führungsetage ihrer Partei, einschliesslich ihrer Nichte, Marion Maréchal, zu ihrem Konkurrenten überliefen und dort wie Beutestücke präsentiert wurden. Le Pen liess Zemmour gebetsmühlenhaft vom grossen Bevölkerungsaustausch und der nötigen «Remigration» reden, seine immer gleichen Hasstiraden gegen Islam und Ausländer verbreiten und seine Formel, wonach Frankreich wieder Frankreich werden müsse, dies alles, ohne ihm hinterher zu hecheln – so lange, bis sich ein Teil von Zemmours potentiellen Wähler zu fragen begann, ob der Polemiker, Journalist und Buchautor auch sonst noch was im Programm hätte und sein Absturz in den Meinungsumfragen um runde sieben Prozent seinen Lauf nahm.
Auf leisen Sohlen
Währenddessen führte Marine Le Pen seit Monaten einen ausgesprochen leisen, unaufwändigen, aber stetigen Wahlkampf und zwar ganz überwiegend in der Provinz. Angesichts der katastrophalen Finanzlage ihrer Partei, die mit 20 Millionen Euro verschuldet ist, konnte sie sich mehr auch nicht leisten. Also liess sie sich im Wahlkampfbus quer durch Frankreich kutschieren zu den so genannten kleinen Leuten in der weiten Peripherie und auf dem weiten Land und machte dort, von der Pariser Presse wenig beachtet, ihren Wahlkampf, gestützt auf regionale Radios, Fernsehen und Zeitungen.
Und setzte dabei seit Wochen ganz überwiegend auf das Thema, das die Franzosen seit Monaten am allermeisten beschäftigt: nicht die Einwanderung, nicht der Islam, nicht die Kriminalität, nein – die mangelnde Kaufkraft. Ein Thema, welches durch die Folgen des Kriegs in der Ukraine nun ausgerechnet gegen des Ende des Wahlkampfs immer akuter wird. Während gleichzeitig der «Kriegsbonus», der Macron in den Umfragen zwischenzeitlich auf über 30 Prozent klettern liess, für den Präsidenten mittlerweile eindeutig verfallen ist.
Marine Le Pen hat es auf diese Art geschafft, sich schon seit Wochen und erneut, wie vor fünf Jahren, gegen Macron in Stellung zu bringen, als die Kandidatin der kleinen Leute gegen den Kandidaten der Eliten und der Reichen.
Und dieser Kandidat des urbanen Milieus, der Start-up-Unternehmen und der Welt der neuen Technologien, hat seit zwei Wochen, sozusagen genau zum Wahlkampfendspurt, zudem einen weiteren, schweren Klotz am Bein, der sein Image als Präsident der Besserverdienenden und des Milieus der Finanzwelt und der Beratungsunternehmen weiter verfestigen sollte.
Ein Untersuchungsausschuss des angestaubten Senats – wahrlich keine Ansammlung von bösartigen Linken – hat ans Licht gebracht, dass der Präsident und seine Regierung in den letzten, knapp fünf Jahren 2,4 Milliarden Euro an grosse Beratungsfirmen wie Roland Berger und vor allem McKinsey bezahlt haben, für Arbeiten, bei denen man sich fragen darf, ob der ohnehin grosse Staatsapparat sie nicht hätte selbst erledigen können. Das Peinliche dabei: Fast ein Dutzend Mitarbeiter von McKinsey hatten vor über fünf Jahren unentgeltlich im Wahlkampfteam des damaligen Präsidentschaftskandidaten Emmanuel Macron gearbeitet.
Wölfin im Schafspelz
Wie schon gesagt: 45 Prozent für die extreme Rechte bei den wichtigsten Wahlen in Frankreich am 24. April wären auch so schon eine Katastrophe und würden unterstreichen, ja überdeutlich machen, wie weit sich das politische Spektrum in diesem Land in den letzten zehn Jahren nach rechts verschoben hat. Man kann sich heute kaum noch vorstellen, dass im Jahr 2012 noch ein Sozialist, Francois Hollande, zum Staatspräsidenten gewählt worden war.
Marine Le Pen jedenfalls, deren Wahlprogramm nach wie vor deutlich rechtsextreme Züge trägt, hat sich sehr clever durch die Untiefen dieses schwierigen Wahlkampfs bewegt und dabei vor allem ihren noch radikaleren, rechtsextremen Konkurrenten Zemmour im Laufe der letzten Wochen in die Schranken gewiesen.
Letzterer hat sie durch seine Radikalität, seine Geschichtsklitterungen und durch eine ganze Reihe empörender, skandalöser Vorschläge und Äusserungen unfreiwillig ein Stück weiter hoffähig gemacht, er spielte für sie die Rolle des Blitzableiters, so dass Marine Le Pen kurz vor der Wahl und ohne viel eigenes Zutun, plötzlich in der Öffentlichkeit als relativ gemässigt daherkommt.
Auch wenn man persönlich überzeugt ist, dass sie es auch diesmal am Ende nicht schaffen wird, in der Stichwahl die 50-Prozent-Hürde zu überspringen, so stimmt einen doch nachdenklich, wenn etwa Nonna Mayer, altgediente Soziologin und Spezialistin der Extremen Rechten, in einem Interview dieser Tage sagt, sie habe noch nie eine Wahl mit so vielen Ungewissheiten erlebt. Ein Sieg der Kandidatin des «Rassemblement National» sei höchst unwahrscheinlich, doch letztlich sei nichts unmöglich.
Wahlbeteiligung
Vor allem wenn die für Präsidentschaftswahlen extrem niedrige Wahlbeteiligung, die mit nicht mal 70 Prozent angekündigt wird, Marine Le Pen zugute kommen sollte.
Erinnerungen werden wach – an das Jahr 2002, als es damals im ersten Durchgang die bisher grösste Stimmenthaltung bei Präsidentschaftswahlen gegeben hatte. Das Ergebnis: Jean Marie Le Pen und nicht Lionel Jospin kam damals in die Stichwahl gegen Jacques Chirac. Ein politisches Erdbeben für Frankreich. Die Meinungsforscher hatten damals nur ganz vereinzelt und erst vier Tage vor der Wahl eine mögliche Qualifikation des Front-National-Chefs ins Auge gefasst.