Die vier Abgeordneten haben eines gemein: Ihre Wahlkreise befinden sich allesamt in landschaftlich ausgesprochen reizvollen Regionen Frankreichs: Thierry Mariani hat den seinen in Avignon und Umgebung, Christian Estrosi und Eric Ciotti in Nizza, Lionnel Luca vertritt den Landstrtich nebenan, der Cagnes –sur-Mer und Vence umfasst.
Alle vier sind sie seit langem in ihren Wahlkreisen mit extrem hohen Wahlergebnissen für die Nationale Front konfrontiert. Und mit der Zeit scheint das einfach abzufärben. Denn alle vier haben sich auf der Themenpalette „Innere Sicherheit, Ausländer und Immigration“ ein Vokabular zugelegt, das sich von dem der Nationalen Front schon seit langem nicht mehr unterscheidet.
Konsequent sind drei von ihnen auch Mitglieder der 40-köpfigen Parlamentariergruppe aus der konservativen UMP-Partei, die sich „Droite Populaire“ nennt und mit ihren ausländerfeindlichen, homophoben und stets martialischen Äusserungen seit zwei Jahren fast jede Woche einmal für Aufsehen sorgt.
Christian Estrosi…
… zum Beispiel, in jungen Jahren französischer Motorradmeister und heute neben seinem Abgeordnetenmandat auch noch Bürgermeister von Nizza und enger Freund Sarkozys, hat erst jüngst in einem Erlass für seine Stadt Nizza das laute Feiern von Hochzeiten untersagt. Im Visier hat er dabei die Franzosen nordafrikanischer Herkunft, die manchmal mit Gesangsgruppen und Fahnen der Herkunftsländer ihrer Eltern zur Trauung im Rathaus erscheinen.
Lionnel Luca…
… hat sich jüngst ausgezeichnet, als er Präsident Hollandes Lebensgefährtin Trierweiler als Rottweiler bezeichnete, im Vorjahr zum Nationalfeiertag einen „Wurst-und Rotwein -Aperitif“ in der Nationalversammlung organisierte - was bis dahin ausschliesslich ein Provokations- und Propagandainstrument der extremen Rechten gegen die Muslime im Land gewesen war.
Vor zwei Jahren hat er bei den Filmfestspielen in Cannes eine Demonstration gegen den Film von Rachid Bouchareb „Hors La Loi“ organisiert. Der Film hat unter anderem das Massaker der französischen Armee in Setif an der algerischen Zivilbevölkerung am 8. Mai 1945 zum Gegenstand. Für Luca und seine Klientel, unter ihnen viele ehemalige Algerienfranzosen bzw. ihre Nachfahren, war dies, auch 65 Jahre nach den Ereignissen, immer noch ein Affront, eine Zumutung, eine Ungeheuerlichkeit – von Skandal und Geschichtsfälschung sprachen sie, mit Schaum vor dem Mund und den blau-weiss-roten Schärpen über den Anzügen. „Hors La Loi“ wurde im Jahr darauf für den Oscar des besten ausländischen Films nominiert und Lionel Luca musste auch zugeben, dass er den Film nicht einmal gesehen hatte.
Thierry Mariani…
… fehlt bei praktisch keiner Initiative oder Aktion, bei der es darum geht, die Rechte von Ausländern, Immigranten oder politischen Asylanten weiter zu beschneiden. Das reicht von der Forderung nach Einführung von DNA-Analysen bei der Vergabe von Touristenvisa an Bürger afrikanischer Staaten, über einen Gesetzesvorschlag, in dem Frankreich das Leiden der Franzosen Nordafrikas und die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, denen die Algerienfranzosen ausgesetzt gewesen seien, anerkennen sollte, bis hin zur Einbringung eines Gesetzes, wonach man Franzosen ausländischer Herkunft ihre Staatsbürgerschaft wieder aberkennen soll, wenn sie ganz besonders schwere Verbrechen begangen haben.
Eric Ciotti…
… schliesslich, der Spezialist für Fragen der Inneren Sicherheit, hat unter anderem durch einen Gesetzesvorschlag auf sich aufmerksam gemacht, der die Streichung der Sozial- und Familienbeihilfen für Eltern vorsieht, deren Kinder zu oft die Schule schwänzen. Oder durch den Vorschlag, die Beschimpfung von Symbolen der Republik stärker unter Strafe zu stellen .
Alle vier sind sie in ihren Wahlkreisen dem Druck einer überdurchschnittlich alten und eher gut betuchten Bevölkerung ausgesetzt, die die Nostalgie eines verflossenen Frankreichs pflegt, wach gehalten von der langsam aussterbenden Generationen der früheren Algerienfranzosen, die an der Côte d'Azur, aber auch im südlichen Rhônetal besonders zahlreich vertreten sind.
In diesen über weite Strecken protzig–reichen Landstrichen mit hunderttausenden, streng gesicherten Anwesen hinter hohen Mauern und mit für französische Verhältnisse vielfach unverschämt hohen Lebenshaltungskosten, scheint die Kohabitation vor allem mit der jungen Generation von Franzosen nordafrikanischer Herkunft besonders spannungsgeladen.
Für die anfallende Drecksarbeit unerlässlich
Die Hundertausenden von Franzosen, deren Eltern vom gegenüberliegenden Ufer des Mittelmeers stammen und die zum Unterhalt der teuren Anwesen und für die anfallende Drecksarbeit in der Region aber unerlässlich sind - sie möchte man hier, noch weniger als anderswo , wahrhaben, geschweige denn, sie im Grunde der Seele als gleichberechtigte französische Mitbürger akzeptieren. Dies ist der Bodensatz, mit dem die rechtsextreme Nationale Front hier schon seit einem Vierteljahrhundert wuchert und dem auch die vier Abgeordneten aus dem Südosten des Landes Rechnung tragen.
Sie sind in Frankreich mittlerweile so etwas wie ein Symbol für den Rechtsruck der Rechten geworden. Gleichzeitig stehen sie vor einem Dilemma. Offiziell dienen ihr harter Kurs, ihre Kraftmeierei und ihre starken Worte dazu, die extreme Rechte klein zu halten. Indem sie aber selbst immer häufiger die Thesen der extremen Rechten im Mund führen, sorgen sie letztlich für die Legitimation von Marine Le Pen und Konsorten.
Brückenbauer zwischen traditioneller und extremer Rechten
Diskussionen, ja Absprachen zwischen ihnen und der Nationalen Front werde es nie geben, schwören Mariani & Co. mit der Hand auf dem Herzen. De facto sind sie aber sui generis die idealen Gesprächspartner, ja die Brückenbauer für eine Annäherung zwischen der traditionellen und der extremen Rechten. Seit geraumer Zeit geniert man sich jetzt auch nicht mehr, offen zu sagen, dass man mit Marine Le Pen durchaus weitgehend dieselben Werte habe.
Und ausserdem sind an der Côte d'Azur - man hat es schon fast wieder vergessen – die Grenzen zwischen den beiden rechten Lagern ohnehin fliessender als anderswo. Jacques Peyrat, langjähriger Bürgermeister von Nizza, war vor seiner Amtszeit Mitglied der Nationalen Front gewesen und ist es heute wieder. Und die Hafenstadt Toulon hatte auch schon mal einen Bürgermeister der rechtsextremen Partei.
Was denken die Väter von den Söhnen?
Eines verblüfft aber, auch nach mehreren Jahren, immer noch ungemein, wenn man die vier Musketiere des französischen Südostens bei ihrem laut tönenden Kreuzzug gegen Kriminalität, Ausländer und Immigration beobachtet. Nämlich die Tatsache, dass gerade sie die heftigsten Tiraden gegen alles Nicht-Französische im Repertoire haben. Dabei heissen sie doch: Luca, Mariani, Estrosi und Ciotti. Besonders französisch klingt das nicht gerade, würde jeder rechtsextreme Wärter der französischen Nation da sagen. Wie kann es sein, dass die vier Abgeordneten fast tagtäglich gegen die angeblichen Fluten von legalen und illegalen Einwanderern einen deftigen Spruch nach dem anderen in die Mikrofone diktieren und nie daran denken, woher sie selbst kommen, keinen Gedanken daran zu verschwenden scheinen, wie es ihren Eltern oder Grosseltern ergangen war, als sie hier in Frankreich ankamen. Nie was gehört von Itakern, Maccaronis und ähnlichen Koseworten in den Erzählungen der Vorfahren?
Marianis Vater war Bauarbeiter und hat später ein kleines Baugeschäft aufgemacht, der Vater von Ciotti hat mit Schrauben und Nägeln gehandelt und Lucas Vater, aus Rumänien geflohen, bei Renault in Boulogne-Billancourt am Fliessband gearbeitet.
Was die Väter, sofern sie noch leben, wohl heute von ihren Söhnen denken mögen?