Um keinen anderen aktuellen Politiker wird derzeit mehr gemutmasst als um Emmanuel Macron. Mit Grund. Wie es ihm gelungen ist, innert kürzester Zeit eine Bewegung zu gründen, la république en marche, mit dieser Bewegung im Eilzugstempo durchzumarschieren, sich zum jüngsten Präsidenten Frankreichs wählen zu lassen und dann auch noch die Mehrheit im Parlament zu erringen – das wirkt, obwohl genauestens kalkuliert, rätselhaft.
Kein Wunder, dass solche Rätsel die eloquente schreibende Zunft unseres Nachbarlandes zu Höchstleistungen inspirieren, die sich fast täglich in den Medien, inzwischen auch schon in Büchern niederschlagen. Wenn es darum geht, den politisch schwer fassbaren Präsidenten zu charakterisieren, kennen unsere französischen Kollegen keine Grenzen.
Es bereitet Vergnügen, ihnen zuzuhören, sie zu lesen, wenn sie über das Phänomen Macron sinnieren und fantasieren, wenn sie glorifizieren, mythisieren, verteufeln. Mit Jeanne d’Arc ist er verglichen worden, mit de Gaulle, mit Napoleon Bonaparte. Die Feingeister bedienen sich in der Literatur und werden bei Balzac fündig. Der hat in mehreren seiner Romane Eugène de Rastignac auftreten lassen, einen von Ehrgeiz durchdrungenen Emporkömmling, dessen Sinnen und Trachten darin besteht, „parvenir“, anzukommen, möglichst zuoberst. Macron gleich Rastignac.
Der so schwer fassbare französische Präsident ist vor allem ein glänzender Stratege. Sein raffinierter Umgang mit den Eliten seines Landes, die noch jede ernsthafte Reformbewegung im Keim zu ersticken wussten, zeitigt – vorerst noch kleine – Erfolge.
Das Vorbild freilich, mit dem sich Macron als Student nachweislich ausgiebig beschäftigt hat, um zu lernen, wie man es nach ganz oben schafft, war nicht die mythische Jungfrau, nicht der ungestüme Feldherr und Kaiser, nicht der Balzac-Protagonist. Macron hat über den Vater aller durchtriebenen Machtspiele eine Magister-Arbeit geschrieben, über Niccolo Machiavelli.