„Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht und wenn er auch die Wahrheit spricht“, heisst es so schön im Volksmund. Ob das wirklich stimmt, ist ziemlich zweifelhaft, wie jeder erfahrene Erdenbürger weiss. Aber wer häufig und drastisch lügt, hat es wohl – Donald T.‘s Wahlerfolg hin oder her – schwerer mit der öffentlichen Glaubwürdigkeit.
In postfaktischer Manier
Dafür spricht auch die dröhnende Niederlage, die der Gewerbeverband-Direktor und FDP-Nationalrat Hans-Ulrich Bigler am Wochenende bei der Volksabstimmung über die Unternehmenssteuer-Reform erlitten hat. Gewiss, Bigler muss diese Ohrfeige nicht allein einstecken, das ganze bürgerliche Lager hat sich da in Sachen Glaubwürdigkeit bös verkalkuliert.
Aber Bigler ist der Boss des Gewerbeverbandes, der die teure und wirkungslose Ja-Kampagne federführend dirigiert hat. Und Bigler gilt inzwischen im überschaubaren helvetischen Rahmen als so etwas wie ein Paradefall für lügenhafte Behauptungen und bewusst irreführend aufgetischte Halbwahrheiten. Die Bezeichnung „Lügen-Bigler“ ist zwar in erster Linie ein Kampfbegriff der Linken, aber immerhin hat es auch die NZZ für angemessen befunden, sich kritisch mit Biglers mehr als dubiosem Umgang mit der Wahrheit auseinanderzusetzen.
So behauptete der Gewerbeverband in einer Stellungnahme zu einer Studie des Forschungsinstituts BAK in Basel in völlig postfaktischer Manier, bei einem Nein am 12. Februar zur Unternehmenssteuerreform würden fast eine Million Arbeitsplätze verschwinden. Nicht weniger bewusst irreführend ist in einer von Biglers Gewerbeverband in sämtliche Haushalte verteilten Abstimmungszeitung dem Leser suggeriert worden, drei SP-Ständeräte seien ebenfalls für diese Reform, obwohl sie sich zur Nein-Parole ihrer Partei bekannt hatten. Die NZZ hat das so kommentiert: „Die Texte sind oft so verfasst, dass hinter der Suggestion auch noch eine sachlich korrekte Lesart möglich ist.“ Möglich schon – aber natürlich nach den Intentionen des notorischen Wahrheitsmanipulators Bigler keineswegs beabsichtigt.
Bigler und Trump
Besonders drastisch trieb es „Lügen-Bigler“ im Abstimmungskampf gegen das Radio- und Fernsehgesetz vor zwei Jahren. Da wurde wiederum in einer vom Gewerbeverband in alle Haushalte gebrachte Propaganda-Zeitung unbeschwert von irgendwelchen Fakten dem Bürger eingeredet, die Fernseh- und Radio-Gebühren würden bei einer Annahme bald jeden Schweizer Bürger 1000 Franken kosten. Diese Behauptung, schrieb die NZZ, hätte auch von Donald Trump stammen können.
Bigler definiert sich selber als „engagierter Christ“ und besucht offenbar häufig Veranstaltungen der im Stil amerikanischer evangelikaler Bewegungen agierenden ICF (International Christian Fellowship). Wie er seine gezielt verbreiteten Unwahrheiten mit seinem Glaubensbekenntnis vereinbart, bleibt sein Geheimnis.
Für die FDP dürfte ein Politiker, der chronisch einen derart lockeren Umgang mit der Wahrheit pflegt, allmählich zu einer ernsthaften Belastung werden, wie das Abstimmungsergebnis vom Sonntag zeigt. Sachabstimmungen hierzulande funktionieren erfreulicherweise anders als amerikanische Präsidentschaftswahlkämpfe. Dort hat Donald T. mit seiner „alternativfaktischen“ Schlagseite zwar nicht die Mehrheit der Wähler, aber doch die Mehrheit des Wahlkollegiums gewinnen können. „Die Wirschaft muss wieder mehr Vertrauen schaffen“, sagt die FDP-Chefin Petra Gössi nach dem Unternehmenssteuer-Debakel im Interview mit der heutigen NZZ.
Wer Vertrauen verdient
Richtig. Aber solange ein Politiker, der in breiten Teilen der Öffentlichkeit nicht zu Unrecht als „Lügen-Bigler“ apostrophiert wird, in der klassischen Wirtschaftspartei bei wichtigen Abstimmungen entscheidende Kampagne-Fäden zieht, wird diesem Vertrauen nicht aufgeholfen.
Bigler sollte von der FDP-Führung enger an die Leine genommen werden. Glaubwürdigkeit geniessen bei der Mehrheit der Stimmbürger gerade bei wirtschaftspolitischen Themen nicht die Behauptungen einschlägig bekannter Demagogen, sondern die Argumente kompetenter und zweifelsfrei unabhängiger Persönlichkeiten wie Evelyn Widmer-Schlumpf und Rudolf Strahm. Deren Einfluss wird umso stärker, je giftiger skrupellose Wadenbeisser wie Hans-Ulrich Bigler oder Christoph Mörgeli über sie herfallen. Die wachen Wähler durchschauen das Spiel und ziehen daraus ihre Schlüsse.